5A_681/2023: Unentgeltliche Rechtspflege (Art. 117 ff. ZPO)

Im zur Pub­lika­tion in der amtlichen Samm­lung vorge­se­hen­em Urteil 5A_681/2023 vom 6. Dezem­ber 2024 fällte das Bun­des­gericht einen weg­weisenden Entscheid zur unent­geltlichen Prozessführung.

Sachverhalt

In einem Wal­lis­er Kindess­chutz- und darauf­fol­gen­den Beschw­erde­v­er­fahren obsiegte B., die einen Antrag um unent­geltliche Prozess­führung gestellt hat­te, gegen C. Let­zterem wur­den die Gericht­skosten aufer­legt und C. wurde dazu verurteilt, B. eine Parteientschädi­gung zu bezahlen. Aus den Erwä­gun­gen des Beschw­erdeentschei­ds ging her­vor, dass das Gesuch um unent­geltliche Recht­spflege auf­grund des Obsiegens gegen­stand­los gewor­den war.

Fast vier Jahre nach dem Urteil im Beschw­erde­v­er­fahren gelangte der Recht­san­walt von B., gemäss Ausle­gung des Bun­des­gerichts in deren Vertre­tung (E. 2.2.1), an die Vorin­stanz und erneuerte das Gesuch um unent­geltliche Prozess­führung. Er legte dar, dass die damals zuge­sproch­ene Parteientschädi­gung bei der Gegen­partei nicht einzubrin­gen war und deshalb nachträglich die unent­geltliche Prozess­führung zu gewähren sei. Die Vorin­stanz wies den Antrag ab. Sie erwog, im Beschw­erde­v­er­fahren sei bere­its abschliessend über die unent­geltliche Prozess­führung entsch­ieden wor­den. Der Anwalt und B. gelangten daraufhin ans Bun­des­gericht. Auf die Beschw­erde des Anwalts wurde nicht einge­treten, da er erst zur Beschw­erde legim­i­tiert sei, wenn die unent­geltliche Recht­spflege bewil­ligt und es bei der konkreten Aus­rich­tung (z.B. in deren Höhe) zum Stre­it komme. Bei der Frage, ob der Anspruch auf unent­geltliche Recht­spflege beste­he, sei ein Anwalt nicht beschw­erde­berechtigt (E. 2.2.2).

Wesentliche Erwägungen:

Erwägung 6.2

In materieller Hin­sicht hält das Bun­des­gericht ein­lei­t­end fest, dass ein Antrag um unent­geltliche Prozess­führung nicht ein­fach abgelehnt wer­den könne, wenn der Gegen­partei die Kosten aufer­legt werden:

«Une requête d’as­sis­tance judi­ci­aire ne peut être pure­ment et sim­ple­ment rejetée pour le motif que des­dépens ont été mis à la charge de la par­tie adverse, à moins que, par ailleurs, la solv­abil­ité de celle-ci nefasse aucun doute.» (E. 6.2).

Vielmehr könne das Gericht den Antrag um unent­geltliche Recht­spflege gutheis­sen und die Entschädi­gung davon abhängig machen, ob die Kosten bei der Gegen­partei ein­bringlich waren. Wenn bere­its zum Zeit­punkt des Entschei­ds die Nichtein­bringlichkeit fest­ste­ht, set­ze das Gericht die Entschädi­gung konkret fest. Auch könne das Gericht das Ver­fahren um die unent­geltliche Recht­spflege sistieren (E. 6.2.1).

Ist für das Gericht vorausse­hbar, dass die der obsiegen­den Partei zuge­sproch­ene Forderung ein­treib­bar ist, kann es den Antrag für gegen­stand­s­los erk­lären. Das Bun­des­gericht hält aber fest, dass es der obsiegen­den Partei in einem solchen Fall offen­ste­hen müsse, ihr Gesuch zu erneuern, wenn sie die Kosten bei der Gegen­partei nicht ein­treiben kon­nte (E. 6.2.2).

Erwägung 8

Das Bun­des­gericht hob deshalb den Entscheid der Vorin­stanz auf­grund ein­er Ver­let­zung von Art. 122 Abs. 2 ZPO und Art. 29 BV auf und wies die Angele­gen­heit zur weit­eren Prü­fung zurück. Es aufer­legte die Kosten im Umfang des Unter­liegens dem Kan­ton Wal­lis, an dessen Sol­venz – wie das Bun­des­gericht fes­thält ­– «aucun doute» beste­ht. Dies erlaubte dem Bun­des­gericht, das Gesuch um unent­geltliche Recht­spflege im bun­des­gerichtlichen Ver­fahren für gegen­stand­s­los zu erklären.


Weiterführende Links:

  • BGE 142 III 138: Teil­weise Gewährung der unent­geltlichen Rechtspflege
  • BGer 4A_492/2020 vom 19. Jan­u­ar 2021: Unent­geltliche Recht­spflege vor Ein­tritt der Rechtshängigkeit