Im Entscheid 4A_466/2023 vom 6. Februar 2025 (zur Publikation vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob ein Investor mit doppelter Staatsangehörigkeit (Spanien-Venezuela) ein Investitionsschiedsverfahren gegen einen seiner beiden Heimatstaaten (Venezuela) einleiten könne. Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung des Schiedsgerichts, wonach die dominante und effektive Staatsangehörigkeit des Klägers die venezolanische sei, und es sich daher zu Recht für unzuständig erklärt hatte.
A., venezolanisch-spanischer Doppelbürger, tätigte Investitionen in Venezuela. 2020 leitete er ein Schiedsverfahren gegen Venezuela ein und machte eine Verletzung des Abkommens zwischen Spanien und Venezuela über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen vom 2. November 1995 (nachfolgend «BIT») geltend. Er forderte über 200 Mio. USD Schadensersatz. Das UNCITRAL-Schiedsgericht mit Sitz in Genf kam zum Schluss, dass A.s dominante Nationalität die venezolanische sei und erklärte sich mangels Zuständigkeit ratione personae für unzuständig. Gegen diesen Entscheid erhob A. Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht hielt einleitend fest, dass es die Frage nicht abschliessend zu klären habe, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Doppelstaatsangehöriger einen seiner beiden Heimatstaaten auf Grundlage eines bilateralen Investitionsschutzabkommens belangen könne. Im konkreten Fall gehe es vielmehr darum, zu klären, ob der Beschwerdeführer als unter dem BIT geschützter Investor qualifiziere.
Zur Beantwortung dieser Frage legte das Bundesgericht das BIT nach den Auslegungsregeln der Art. 31 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge («VRK») aus. Zunächst führte das Bundesgericht aus, dass verschiedene Schiedsgerichte bei der Auslegung des BIT zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt waren, und dass das Bundesgericht seine eigene Auslegung vornehme.
Das Bundesgericht stellte fest, dass sich der Wortlaut von Art. I Abs. 1 lit. a des BIT nicht ausdrücklich zu Doppelstaatsangehörigen äussere und das Abkommen insofern lückenhaft sei. Es folgte der Auffassung des Schiedsgerichts, wonach das Schweigen zu Doppelstaatsangehörigen in der einschlägigen Klausel des TBI nach Treu und Glauben nicht so ausgelegt werden könne, dass Doppelstaatsangehörigen der Schutz verweigert oder gewährt werde. Ein Doppelstaatsangehöriger könne daher nicht gleich behandelt werden wie jemand, der nur die Staatsangehörigkeit einer der beiden Vertragsstaaten besitze.
Es bestätigte sodann auch die Ansicht des Schiedsgerichts betreffend die Streitbeilegungsklausel in Art. XI BIT. Selbst wenn Doppelstaatsangehörige wegen ihrer Nationalität vom Verfahren nach dem ICSID-Übereinkommen ausgeschlossen seien (Art. 25 Abs. 2 lit. a ICSID-Übereinkommen), könnten sie gestützt auf Art. XI Abs. 3 BIT dennoch ein Schiedsverfahren nach den UNCITRAL-Regeln einleiten. Daher stehe die doppelte Staatsangehörigkeit einer Investorenklage grundsätzlich nicht entgegen.
Das Bundesgericht schloss sich zudem dem Vorgehen des Schiedsgerichts an, bei der Auslegung des BIT nach Art. 31 Abs. 3 lit. c VRK andere in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare Völkerrechtsätze beizuziehen. Insbesondere hielt das Bundesgericht es für sachgerecht, dass sich das Schiedsgericht zur Klärung der Streitfrage auf das Völkergewohnheitsrecht zum diplomatischen Schutz, insbesondere auf das Konzept der dominanten und effektiven Staatsangehörigkeit, gestützt habe. Denn das BIT enthalte zur Streitfrage keine Bestimmung. Das Bundesgericht präzisierte jedoch, dass dieser Grundsatz im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit «mit besonderer Sorgfalt» geprüft werden müsse, da das Risiko bestehe, dass ein Investor mehrere Passanträge stelle und versuche, sich durch Treaty Shopping Vorteile zu verschaffen.
Da die Auslegung anhand der Kriterien in Art. 31 VRK nicht zu einem Ergebnis führe, das dem Sinn und Zweck des BIT widerspreche oder offensichtlich unzumutbar sei, sei keine ergänzende Auslegung nach Art. 32 VRK erforderlich.
Schliesslich befasste sich das Bundesgericht mit dem Argument des Beschwerdeführers, dass seine dominante und effektive Nationalität nicht die venezolanische sei. Dies sei gemäss Bundesgericht eine rechtliche Frage. Das Schiedsgericht habe zu Recht die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers als entscheidendes Kriterium zur Bestimmung seiner dominanten und effektiven Staatsangehörigkeit herangezogen. Trotz seiner langjährigen persönlichen und sozialen Bindungen in die USA und nach Spanien und seiner Wohnsitznahme in den USA seit 1989 seien seine wirtschaftlichen Interessen weiterhin in Venezuela verankert gewesen. Die Rüge des Beschwerdeführers ziele ohnehin in erster Linie auf die Beweiswürdigung, ohne die wirtschaftliche Verankerung in Venezuela überzeugend zu bestreiten.
Daher bestätigte das Bundesgericht die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts und wies die Beschwerde ab.