2C_657/2023: Anfechtungsobjekte im Einladungsverfahren (Submissionsrecht; zur Publikation vorgesehen)

Im Entscheid 2C_657/2023 vom 4. Sep­tem­ber behan­delte das Bun­des­gericht die Frage, ob Anbi­eterin­nen im Ein­ladungsver­fahren Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen selb­ständig anfecht­en kön­nen bzw. müssen.

Sachver­halt

Die Gemeinde Surs­es (Ver­gabebe­hörde) kündigte am 20. April 2023 in ein­er Lokalzeitung die Ver­gabe von Win­ter­di­en­star­beit­en für fünf Jahre an. In den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen, die bei der Ver­gabebe­hörde bezo­gen wer­den kon­nten, wurde das Ein­ladungsver­fahren für mass­gebend erk­lärt. Als Zuschlagskri­te­rien legte die Ver­gabebe­hörde die Qual­ität der Anbi­eterin (40 %), die Qual­ität des Ange­bots (30 %) sowie den Preis (30 %) fest.

Mit Ein­ladung vom 26. April 2023 lud die Ver­gabebe­hörde unter anderem die A. SA (Beschw­erde­führerin) zur Offer­tein­re­ichung ein. Innert Frist reicht­en unter anderem die B. AG (Beschw­erdegeg­ner­in) und die Beschw­erde­führerin ein Ange­bot ein. Der Zuschlag wurde der Beschw­erdegeg­ner­in erteilt.

Gegen den Zuschlag erhob die Beschw­erde­führerin Beschw­erde beim Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Graubün­den (Vorin­stanz). Sie begrün­dete ihre Beschw­erde namentlich damit, dass die Ver­gabebe­hörde den Preis mit 30 % unter der rechtlich zuläs­si­gen Min­dest­gewich­tung von 60 % für die vor­liegend stan­dar­d­isierte Ver­gabe gewichtet habe. Die Vorin­stanz wies die Beschw­erde ab, woge­gen die Beschw­erde­führerin an das Bun­des­gericht gelangte.

Erwä­gun­gen

Die Vorin­stanz erwog im Wesentlichen, die Rüge betr­e­f­fend falsch­er Gewich­tung des Zuschlagskri­teri­ums “Preis” sei ver­spätet erfol­gt. Die Anord­nun­gen in den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen müssten auch im Rah­men des Ein­ladungsver­fahrens zusam­men mit der Auss­chrei­bung ange­focht­en werden.

Diese Ansicht stützte das Bun­des­gericht nicht: Es hielt fest, dass das Ein­ladungsver­fahren ohne Auss­chrei­bung ein­geleit­et werde: «Das Ein­ladungsver­fahren zeich­net sich gemäss Art. 20 Abs. 2 IVöB dadurch aus, dass die Ver­gabebe­hörde zwar Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen im Sinne von Art. 36 IVöB erstellt (Satz 2), aber keine Auss­chrei­bung veröf­fentlicht (Satz 1)». Anstelle der Auss­chrei­bung trete die Ein­ladung zur Offert­stel­lung (E. 3.2.1).

Das Bun­des­gericht ver­wies auf die herrschende Lehre, wonach diese Ein­ladung zur Offert­stel­lung nicht unter den Begriff der Auss­chrei­bung i.S.v. Art. 53 Abs. 1 lit. a IVöB sub­sum­miert wer­den könne und fol­gte dieser Ansicht: Der Begriff der Auss­chrei­bung beziehe sich auf die im offe­nen und selek­tiv­en Ver­fahren zwin­gend zu pub­lizierende Auss­chrei­bung (vgl. Art. 48 Abs. 1 IVöB). Im Ein­ladungsver­fahren beste­he demge­genüber für eine  Auss­chrei­bung – deren Min­des­tin­halt aus Art. 35 IVöB her­vorge­ht – kein Raum. Die Ein­ladung zur Offer­st­stel­lung stelle keine anfecht­bare Auss­chrei­bung dar, wom­it, man­gels Beschw­erdeob­jekt, die zum Ange­bot ein­ge­lade­nen Anbi­eterin­nen somit auch nicht gegen die Ein­ladung zur Offert­stel­lung vorge­hen kön­nten (E. 3.2.2). Zumal Art. 53 Abs. 1 IVöB einen abschliessenden Kat­a­log der anfecht­baren Ver­fü­gun­gen enthalte, könne, so das Bun­des­gericht, eine Anbi­eterin auch nicht die Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen anfecht­en – zumal diese ger­ade nicht Bestandteil des genan­nten Kat­a­logs bilde­ten (E. 3.3.1). Bean­stan­dun­gen von allfäl­li­gen Män­geln in den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen kön­nten im Ein­ladungsver­fahren erst im Rechtsmit­tel gegen das näch­ste zuläs­sige Beschw­erdeob­jekt vor­ge­tra­gen wer­den (E. 3.3.2).

Ergeb­nis

Im Ergeb­nis habe die Vorin­stanz zu Unrecht die Rüge der zu tiefen Gewich­tung des Zuschlagskri­teri­ums “Preis” nicht zuge­lassen und nicht geprüft. Die Beschw­erde in öffentlich-rechtlichen Angele­gen­heit­en erweise sich in diesem Punkt als begrün­det. Die Prü­fung der Rüge der unrecht­mäs­si­gen Gewich­tung der Zuschlagskri­te­rien habe die Vorin­stanz in einem zweit­en Rechts­gang vorzunehmen, wozu die Angele­gen­heit an die Vorin­stanz zurück­zuweisen sei (E. 3.5).