6B_83/2009: Strafzumessung, lex mitior, Entfernung von Strafregistereinträgen; gewerbsmässiger Betrug, Misswirtschaft und Widerhandlung gegen BankG

Mit Urteil vom 30. Juni 2009 (6B_83/2009) hob das Bun­des­gericht eine Entschei­dung des Kan­ton­s­gericht Schwyz auf, das den Beschw­erde­führer wegen gewerb­smäs­si­gen Betrugs, Mis­s­wirtschaft und Wider­hand­lung gegen Art. 46 Abs. 1 lit. f i.V.m. Abs. 2 BankG (Bankenge­setz) verurteilt hat.

Das Kan­ton­s­gericht hat­te die Beru­fung abgelehnt und war der Auf­fas­sung, dass bei einem Ver­gle­ich zwis­chen dem alten und dem neuen Strafrecht das neue Recht für den Beschw­erde­führer nicht milder sei und aus diesem Grund das alte Recht zur Anwen­dung gelange. Dies deshalb, weil ein teilbe­d­ingter Vol­lzug angesichts des schw­eren Ver­schuldens, das eine Strafe über drei Jahre recht­fer­ti­gen würde, nicht in Frage komme. Da die Anschluss­beru­fung der Staat­san­waltschaft des Kan­tons Schwyz nur eine Frei­heitsstrafe von drei Jahren beantragte, könne das Gericht allerd­ings nicht darüber hin­aus­ge­hen. Das Bun­des­gericht hat die Begrün­dung der Vorin­stanz wie fol­gt abgelehnt:

2.3 […] Wohl ist nach der Recht­sprechung konkret zu prüfen, ob die Beschuldigten nach dem neuen Recht bess­er wegkom­men als nach dem alten Recht. Das Bun­des­gericht führte in einem neueren Entscheid jedoch aus, dass neues Recht auch dann anwend­bar ist, wenn die Prü­fung ergeben hat, dass der allein nach dem neuen Recht mögliche bed­ingte beziehungsweise teilbe­d­ingte Vol­lzug der Frei­heitsstrafe und/oder der Geld­strafe nicht gewährt wer­den kann, weil im konkreten Fall die Prog­nose ungün­stig ist (nicht pub­lizierte E. 2.4 von BGE 134 IV 241).

2.4 Diese Recht­sprechung ist auch in der hier gegebe­nen Kon­stel­la­tion anzuwen­den. Wird eine Frei­heitsstrafe von mehr als 18 Monat­en bis zu 3 Jahren aus­ge­fällt, so ist das neue Recht milder, weil allein nach diesem Recht im konkreten Fall ein bed­ingter beziehungsweise teilbe­d­ingter Strafvol­lzug über­haupt möglich und daher von den Behör­den zu prüfen ist. Das neue Recht ist und bleibt auch anwend­bar, wenn eine Instanz – allen­falls abwe­ichend von ein­er unteren Instanz – im konkreten Fall zum Ergeb­nis gelangt, dass nach dem neuen Recht ein (teil-)bedingter Vol­lzug auss­er Betra­cht fällt, weil die Prog­nose ungün­stig ist. Im vor­liegen­den Fall ist daher ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vorin­stanz nicht das alte, son­dern das neue Recht anwendbar.“

Ausser­dem hat­te das Kan­ton­s­gericht einen teilbe­d­ingten Strafvol­lzug ver­weigert, weil dem Beschw­erde­führer auf­grund sein­er fehlen­den Ein­sicht keine gün­stige Legal­prog­nose gestellt wer­den könne. Fern­er lägen keine beson­ders gün­sti­gen Voraus­set­zun­gen im Sinne von Art. 42 Abs. 2 StGB vor. Anson­sten wirk­ten sich die per­sön­lichen Ver­hält­nisse und das Vor­leben des Beschw­erde­führers nicht auf die Strafzumes­sung aus. Auch in dieser Hin­sicht erteilte das Bun­des­gericht der Vorin­stanz eine Absage:

3.5.2 […] Das Argu­ment, dass der Beschw­erde­führer auf­grund des schw­eren Ver­schuldens eine über drei­jährige Frei­heitsstrafe ver­di­enen würde, die man­gels Antrag im vor­liegen­den Beru­fungsver­fahren nicht aus­ge­sprochen wer­den durfte, kann nicht als ungün­stige Legal­prog­nose dienen. Eben­so erscheint zweifel­haft, wenn die Vorin­stanz einzig aus dem Ergreifen von Rechtsmit­teln durch den Beschw­erde­führer auf dessen fehlende Ein­sicht schliesst. Schliesslich beze­ich­net die Vorin­stanz die aktuelle beru­fliche Tätigkeit des Beschw­erde­führers als “undurch­sichtig erscheinend”. Aus dieser Fest­stel­lung allein kann nicht eine ungün­stige Prog­nose abgeleit­et wer­den […]. Die Vorin­stanz würdigte wed­er die pri­vate Sta­bil­isierung, noch die langjährige delik­ts­freie Zeit des Beschwerdeführers.

3.5.3 Bei der Prü­fung, ob der Verurteilte für ein dauern­des Wohlver­hal­ten Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdi­gung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung mit einzubeziehen sind neben den Tatum­stän­den auch das Vor­leben und der Leu­mund sowie alle weit­eren Tat­sachen, die gültige Schlüsse auf den Charak­ter des Täters und die Aus­sicht­en sein­er Bewährung zulassen. Für die Ein­schätzung des Rück­fall­risikos ist ein Gesamt­bild der Täter­per­sön­lichkeit uner­lässlich. Rel­e­vante Fak­toren sind etwa strafrechtliche Vor­be­las­tung, Sozial­i­sa­tions­bi­ogra­phie und Arbeitsver­hal­ten, das Beste­hen sozialer Bindun­gen, Hin­weise auf Sucht­ge­fährdun­gen usw. Dabei sind die per­sön­lichen Ver­hält­nisse bis zum Zeit­punkt des Entschei­des mit einzubeziehen. Es ist unzuläs­sig, einzel­nen Umstän­den eine vor­rangige Bedeu­tung beizumessen und andere zu ver­nach­läs­si­gen oder über­haupt auss­er Acht zu lassen. Wie bei der Strafzumes­sung (Art. 50 StGB) müssen die Gründe im Urteil so wiedergegeben wer­den, dass sich die richtige Anwen­dung des Bun­desrechts über­prüfen lässt (BGE 128 IV 193 E. 3a; 118 IV 97 E. 2b).“

Schliesslich kam das Bun­des­gericht zu dem Schluss, dass das Kan­ton­s­gericht die Tat­sache nicht berück­sichtigt habe, dass die erste Instanz in ihrem Urteil unter anderem zur Strafzumes­sung aus­führte, dass die – mitunter ein­schlägi­gen – Vorstrafen „mas­siv strafer­höhend“ zu werten seien. In diesem Zusam­men­hang wur­den Strafver­fahren erwäh­nt, die bis 1987 zurück­re­ichen und teil­weise nicht eröffnet, abgeschrieben oder eingestellt wor­den waren.

4.3 Nach expliziter Geset­zesvorschrift in Art. 369 Abs. 7 StGB kön­nen dem Betrof­fe­nen ent­fer­nte Strafen nicht mehr ent­ge­gen gehal­ten wer­den. Aus dem geset­zge­berischen Willen der voll­ständi­gen Reha­bil­i­ta­tion muss gefol­gert wer­den, dass ent­fer­nte Urteile wed­er bei der Strafzumes­sung noch bei der Prog­nose­beurteilung zu Las­ten des Betrof­fe­nen ver­wen­det wer­den dür­fen. Diese Ver­w­er­tung­sein­schränkung ist gerecht­fer­tigt, da die Vor­tat­en auf­grund der grosszügig bemesse­nen Ent­fer­nungs­fris­ten (vgl. Art. 369 Abs. 1 StGB) mitunter Jahrzehnte zurück­liegen. Nach Ablauf dieser Fris­ten sind die Reha­bil­i­tierungs- und Resozial­isierungsin­ter­essen des Betrof­fe­nen von Geset­zes wegen schw­er­er zu gewicht­en als die öffentlichen Infor­ma­tions- und Straf­bedürfnisse (BGE 135 IV 87 E. 2.4 mit Hinweisen).“