6B_112/2009: Strafzumessung bei Mittäterschaft (amtl. Publ.)

Die Strafe eines Mit­täters darf nicht an die zu milde Bestra­fung des anderen Mit­täters angepasst wer­den, wie das Bun­des­gericht in seinem Urteil vom 16. Juli 2009 (6B_112/2009) fest­stellt.

Die Vorin­stanz hat­te den Beschw­erdegeg­n­er zu ein­er Frei­heitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt, obwohl es eine Frei­heitsstrafe von 6 Jahren als dem Ver­schulden des Beschw­erdegeg­n­ers angemessen betra­chtete. Diese Strafhöhe halte aber, so die Begrün­dung, im Ver­gle­ich zu der gegen den Mit­täter aus­ge­sproch­enen Strafe von 4 ½ Jahren nicht stand. Um die Frei­heitsstrafe des Beschw­erdegeg­n­ers an die als zu milde betra­chtete Strafe des Mit­täters anzu­passen, wurde sie von der Vorin­stanz auf 4 ½ Jahre reduziert.

Das Bun­des­gericht hält dieses Vorge­hen für fehler­haft und sieht darin einen Ver­stoss gegen Art. 63 aStGB*.

3.3 Ist aus formellen Grün­den nur über einen Mit­täter zu urteilen, während die Strafe des andern bere­its fest­ste­ht, so geht es darum, einen hypo­thetis­chen Ver­gle­ich anzustellen. Der Richter hat sich zu fra­gen, welche Strafen er aus­fällen würde, wenn er bei­de Mit­täter gle­ichzeit­ig beurteilen müsste. Dabei hat er sich einzig von seinem pflicht­gemässen Ermessen leit­en zu lassen. Es wäre mit der richter­lichen Unab­hängigkeit unvere­in­bar, müsste er sich gegen seine Überzeu­gung einem anderen Urteil anpassen. […] Die Autonomie des Richters kann zur Folge haben, dass die Strafen zweier Mit­täter in einem Missver­hält­nis ste­hen. Dies ist ver­fas­sungsrechtlich unbe­den­klich und hinzunehmen, solange die in Frage ste­hende Strafe als solche angemessen ist. Allerd­ings ist zu ver­lan­gen, dass in der Begrün­dung auf die Strafe des Mit­täters Bezug genom­men und dargelegt wird, weshalb sich diese nicht als Ver­gle­ichs­grösse eignet. Ein Anspruch auf “Gle­ich­be­hand­lung im Unrecht” beste­ht grund­sät­zlich nicht.“

Unter Ver­weis auf seine bish­erige Recht­sprechung unter­stre­icht das Gericht den Vor­rang des Legal­ität­sprinzips vor dem Gle­ich­heit­sprinzip und betont, dass eine falsche Recht­san­wen­dung in einem Fall grund­sät­zlich keinen Anspruch begrün­det, sein­er­seits eben­falls abwe­ichend von der Norm behan­delt zu werden:

3.4 […] Wenn die Vorin­stanz fes­thält, die Strafe für den Mit­täter […] sei zu milde, so bringt sie zum Aus­druck, dass jene Strafe in einem unrichti­gen Ver­hält­nis zur Strafe des Beschw­erdegeg­n­ers ste­ht. Dass sie die Strafe des Mit­täters nicht auf die ihres Eracht­ens angemessene — allerd­ings nicht bez­if­ferte — Höhe anhebt, ist prozes­su­al bed­ingt, weil das entsprechende Urteil unange­focht­en blieb. Dies ändert nichts daran, dass die erstin­stan­zlich aus­ge­fällte Frei­heitsstrafe von 6 Jahren auch aus Sicht der Vorin­stanz unter Würdi­gung aller Umstände angemessen ist. Bei dieser Sach­lage ist es unzuläs­sig, die Strafe mit dem for­malen Argu­ment der fehlen­den Rela­tion zu reduzieren. Die Frage würde sich erst stellen, wenn die Strafe für den Beschw­erde­führer zu bean­standen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Vorin­stanz nimmt mit ihrem Entscheid let­ztlich eine “Gle­ich­be­hand­lung im Unrecht” vor, was grund­sät­zlich nicht ange­ht. Es wäre im vor­liegen­den Fall stossend, wenn neben dem Mit­täter auch der Beschw­erdegeg­n­er von ein­er zu milden Strafe prof­i­tieren kön­nte, nur weil jenes Urteil nicht ange­focht­en wurde. Einen Anspruch, mit ein­er unangemessen tiefen Strafe belegt zu wer­den, beste­ht offen­sichtlich nicht. Mit ihrem Vorge­hen hat die Vorin­stanz Art. 63 aSt­GB ver­let­zt, weshalb die Beschw­erde gutzuheis­sen ist.“

* Art. 63 aSt­GB lautete:


Der Richter misst die Strafe nach dem Ver­schulden des Täters zu; er berück­sichtigt die Beweg­gründe, das Vor­leben und die per­sön­lichen Ver­hält­nisse des Schuldigen.