6B_492/2009: Misswirtschaft

Mit Urteil vom 18. Jan­u­ar 2010 (6B_492/2009) hat das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zum Straftatbe­stand der Mis­s­wirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB) erneut bestätigt.

Zum Merk­mal der “nach­läs­si­gen Beruf­sausübung”, das vor­liegt, wenn geset­zliche Bes­tim­mungen der Unternehmensführung mis­sachtet wer­den, führt das Gericht aus:

2.2 […] Nach der Recht­sprechung des Bun­des­gerichts stellt die Ver­let­zung der Pflicht­en des Ver­wal­tungsrats ein­er Aktienge­sellschaft, ins­beson­dere die Unter­las­sung der Über­schul­dungsanzeige, eine nach­läs­sige Beruf­sausübung im Sinne von Art. 165 StGB dar (Urteil 6S.1/2006 vom 21. März 2006 E. 8.1[…]). Der Ver­wal­tungsrat ein­er Aktienge­sellschaft, der sein­er Pflicht zur Unternehmensleitung nicht nachkommt, indem er die Rech­nungsle­gung ver­nach­läs­sigt (Art. 957 OR) und die Über­schul­dungsanzeige unter­lässt, ver­let­zt die Sorgfalt­spflicht nach Art. 717 OR und betreibt Misswirtschaft […].

Die Anzeigepflicht des Ver­wal­tungsrats bei begrün­de­ter Besorg­nis ein­er Über­schul­dung ist in Art. 725 OR geregelt. Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung kann der Ver­wal­tungsrat bei Über­schul­dung die Benachrich­ti­gung des Richters für eine kurze Zeitspanne auf­schieben, wenn eine vernün­ftige Aus­sicht auf eine kurzfristige Lösung des Prob­lems beste­ht (BGE 132 III 564 E. 5.1 S. 573). Angemessen erscheint eine auf wenige Wochen bemessene Frist […]. Es muss die dauer­hafte finanzielle Gesun­dung der Gesellschaft erwartet und deren Ertragskraft wieder­hergestellt wer­den. Sind erhe­bliche Zweifel an den Erfol­gsaus­sicht­en der Sanierung ange­bracht oder ist diese für die Gläu­biger mit einem erhöht­en Risiko ver­bun­den, hat der Ver­wal­tungsrat den Richter zu benachrichti­gen. Über­triebene Erwartun­gen oder vage Hoff­nun­gen reichen nicht aus (BGE 127 IV 110 E. 5a S. 113; Urteil 4C.366/2000 vom 19. Juni 2001 E. 4b). Zwis­chen der Ver­mö­gen­sein­busse und der Bankrot­thand­lung im Sinne von Art. 165 StGB muss ein Kausalzusam­men­hang beste­hen […]. Grobe Fahrläs­sigkeit genügt (BGE 115 IV 38 E. 2 S. 41).

Fern­er weist das Gericht darauf hin, dass ein gewährter Kred­it (hier in Form eines zweck­ge­bun­de­nen Dar­lehens) die Über­schul­dung nicht beseitigt:

2.3.1 […] Ein Aktionärs­dar­lehen ist Fremd­kap­i­tal. Es schafft kein Eigenkap­i­tal und erhöht in der finanziellen Krise noch den Ver­schul­dungs­grad der geschwächt­en Gesellschaft. Eine Umqual­i­fika­tion kap­i­taler­set­zen­der Dar­lehen in Eigenkap­i­tal kann es nicht geben (Urteil 5C.230/2005 vom 2. März 2006 E. 3).

Schliesslich stützt das Bun­des­gericht die Ansicht der Vorin­stanz, dass der Beschw­erde­führer grob fahrläs­sig gehan­delt hat, da er die ele­mentare Pflicht, Art. 725 OR zu beacht­en, nicht erfüllt habe:

2.3.4.2 […] Wohl erfasst grob fahrläs­sige Mis­s­wirtschaft nicht jede Nach­läs­sigkeit, die einen finanziellen Zusam­men­bruch bewirkt. Erforder­lich ist vielmehr die Ver­let­zung ele­mentar­er Sorgfalt­spflicht­en. Dabei ist von zen­traler Bedeu­tung die Frage, welche Gefahren ein Schuld­ner in ein­er bes­timmten Sit­u­a­tion einge­hen darf und wo die Gren­zen des strafrechtlich erlaubten Risikos über­schrit­ten sind. Gewisse Anhalt­spunk­te sind beson­ders im Han­del­srecht zu find­en […]. Eine solche Ref­erenz stellt Art. 725 OR dar. […]

Der Umstand, dass der Beschw­erde­führer und möglicher­weise weit­ere Per­so­n­en an eine erfol­gre­iche Sanierung glaubten und somit die Sit­u­a­tion falsch ein­schätzen, ist allein nicht aus­re­ichend, um im Fehlver­hal­ten des Beschw­erde­führers lediglich eine leichte Fahrläs­sigkeit zu erblick­en. Umstände, die den Grund der nicht erfol­gten Anzeige in einem milderen Licht erscheinen liessen, liegen nicht vor. Vielmehr ist vom Beschw­erde­führer, der als Recht­san­walt mehrere Ver­wal­tungsrats­man­date bek­lei­det, eine erhöhte Sorgfalt zu ver­lan­gen. Die Über­schul­dung brachte einen unmit­tel­baren Hand­lungs­be­darf für den Ver­wal­tungsrat. Die ihm eingeräumte Tol­er­anzfrist endete jedoch, als die Sit­u­a­tion der Finanzen sich unter­dessen ver­schlechterte (vgl. Urteil 4C.366/2000 vom 19. Juni 2001 E. 4b). Im Ergeb­nis hat der Beschw­erde­führer aus pflichtwidriger Unvor­sichtigkeit mit der Benachrich­ti­gung des Richters zu lange zuge­wartet und in ver­ant­wor­tungslos­er Weise das Risiko der Ver­schlechterung und die Kon­se­quen­zen für die Gläu­biger ausgeblendet. […]