9C_173/2009: Verjährung von Vorsorge-Beitragsforderungen bei rückwirkender Aufnahme (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te zu prüfen, ob eine durch die BVG-Sam­mel­s­tiftung Swiss Life eingeklagte Beitragsnach­forderung für 1985 bis 1995 ver­jährt war. Die Beiträge bezo­gen sich auf die für einen Angestell­ten des Schuld­ners 2001 rück­wirk­end für die Zeit von 1985 (Inkraft­treten des BVG ) bis 1995 (Beendi­gung des Arbeitsver­trags) geschlossene Ver­sicherung. Es fragte sich, ob die Ver­jährung mit Fäl­ligkeit gemäss (altrechtlich, vor 2005) dem Regle­ment bzw. (seit 2005) nach BVG 66 IV ein­tritt, oder ob sie erst mit der effek­tiv­en Begrün­dung des indi­vidu­ellen Ver­sicherungsver­hält­niss­es (d.h. der nachträglichen Auf­nahme) begin­nen kann.

Nach BVG 41 II ver­jähren “Forderun­gen auf peri­odis­che Beiträge und Leis­tun­gen […] nach fünf, andere nach zehn Jahren. Die Artikel 129–142 des Oblig­a­tio­nen­rechts sind anwend­bar.” Die Ver­jährungs­frist begin­nt nach OR 130 I mit Fäl­ligkeit. Da die Fäl­ligkeits­bes­tim­mung von BVG 66 IV zum fraglichen Zeit­punkt noch nicht anwend­bar war, war auf die regle­men­tarische Bes­tim­mung abzustellen, wonach die Prämien zu Beginn jedes Ver­sicherungs­jahres in einem Betrag fäl­lig wur­den. Die Ver­jährungs­frist begann für jede einzelne Jahre­sprämie gesondert. 

Nach der bish­eri­gen Recht­sprechung des BGer galt, dass die Fäl­ligkeit von Beitrags­forderun­gen für ver­gan­gene Beschäf­ti­gungszeit­en vom tat­säch­lichen Bestand eines entsprechen­den Rechtsver­hält­niss­es abhängig ist, so dass der Beginn der Beitragsver­jährungs­frist nach BVG 41 II mit der Begrün­dung des Rechtsver­hält­niss­es zusam­men­fiel, also nur ex nunc begin­nen kon­nte (vgl. 9C_655/2008 und BVG 11 Abs. 5 und 6) zum zwangsweisen Anschluss des Arbeit­ge­bers). Das galt auch für die Fäl­ligkeit von Beitrags­forderun­gen aus der nachträglichen Begrün­dung eines indi­vidu­ellen Vor­sorgev­er­hält­niss­es im Rah­men eines beste­hen­den Anschlussver­trages ergeben. 

Davon weicht das BGer im vor­liegen­den Urteil ab. Es sei 

angezeigt, die Fäl­ligkeit von Beitrags­forderun­gen, die sich aus einem im Nach­hinein begrün­de­ten indi­vidu­ellen Ver­sicherungsver­hält­nis ergeben, grund­sät­zlich ex tunc, das heisst mit der beitragspflichti­gen Arbeit­sleis­tung (…) ein­treten zu lassen.”

Diese Auf­fas­sung des BGer beruht darauf, dass nicht jede rück­wirk­ende Begrün­dung eines Ver­sicherungsver­hält­niss­es gle­ich zu beurteilen ist. Beim Zwangsan­schluss nach BVG 11 ist noch nicht bes­timm­bar, welche Insti­tu­tion den kollek­tiv­en Vor­sorgeschutz später übernehmen wird. Bei der rück­wirk­enden Begrün­dung eines indi­vidu­ellen Ver­sicherungsver­hält­niss­es im Rah­men eines beste­hen­den Anschlussver­trages ste­hen dage­gen alle wesentlichen Bemes­sungs­grund­la­gen der Beitrags­forderung fest. 

In Änderung der Recht­sprechung ist daher festzuhal­ten, dass die Beitragsver­jährungs­frist bei beste­hen­dem Anschlussver­hält­nis grund­sät­zlich nicht erst mit dem nachträglichen Abschluss eines Vor­sorgev­er­trags für einen bes­timmten Arbeit­nehmer begin­nt, son­dern bere­its mit der Fäl­ligkeit der Prämie für dessen beitragspflichtige Arbeit­sleis­tung; der Fäl­ligkeit­ster­min richtet sich dabei nach Art. 66 Abs. 4 BVG oder nach Reglement.”

Damit stellt sich die Frage, ob Unken­nt­nis der Vor­sorgeein­rich­tung und eine allfäl­lige Zuwider­hand­lung des Arbeit­ge­bers gegen die Meldepflicht (BVV 10 2 10; BVG 11 I; BVV 2 7 I) die Fäl­ligkeit der Beitragss­chuld bee­in­flussen. Ein­er­seits tritt nach der Recht­sprechung und herrschen­den Ansicht zu OR 130 I die Fäl­ligkeit unab­hängig von der Ken­nt­nis des Gläu­bigers von Forderung und Fäl­ligkeit ein. Dem Ziel der Rechtssicher­heit ste­ht aber das Inter­esse, dass alle Beiträge zur Finanzierung der Vor­sorgeleis­tun­gen regle­mentskon­form bezahlt wer­den, gegenüber. 

Das BGer löst den Zielkon­flikt durch den Schutzz­weck der Ver­jährung trotz Unken­nt­nis: Diese Regel diene “vor allem” dem Schutz des Schuld­ners. Der Schuld­ner könne sich aber nach Treu und Glauben nicht auf diesen Schutz berufen, wenn er allein und aus eigen­em, vor­w­erf­barem Ver­hal­ten dafür ver­ant­wortlich ist, dass die Forderung der Gläu­bigerin ver­bor­gen geblieben ist. Die Beru­fung des Beitragss­chuld­ners auf einen Ein­tritt der Fäl­ligkeit vor erfol­gter Ken­nt­nis­nahme wäre in diesem Fall rechtsmiss­bräuch­lich:

Wenn der Schuld­ner die vor­läu­fige Unken­nt­nis der Gläu­bigerin zu ver­ant­worten hat­te, hängt der Ein­tritt der Fäl­ligkeit somit aus­nahm­sweise von deren Wis­sen um die Grund­la­gen der Forderung ab. Da der Zeit­punkt, zu welchem sämtliche für die Bemes­sung der Beitrags­forderung notwendi­gen Angaben vor­liegen, auch von der Aufmerk­samkeit der Vor­sorgeein­rich­tung abhängig ist, wirkt nicht erst die tat­säch­liche, son­dern bere­its die nor­ma­tiv anrechen­bare — zumut­bare — Ken­nt­nis fristauslösend.”

Das BGer präzisiert in der Folge das Erforder­nis des Selb­stver­schuldens des Schuld­ners: Nicht jede objek­tive Ver­let­zung der Meldepflicht recht­fer­tige den Auf­schub des Fris­ten­laufs. Wenn der Arbeit­ge­ber im konkreten Fall davon aus­ge­hen durfte, der nicht gemeldete Arbeit­nehmer sei nicht ver­sicherungspflichtig gewe­sen, ist die geforderte qual­i­fizierte Meldepflichtver­let­zung (im Sinne ein­er unentschuld­baren Unter­las­sung) nicht erreicht:

Ein rechtsmiss­bräuch­lich­es Ver­hal­ten ist nicht schon dann gegeben, wenn der Arbeit­ge­ber die Ver­sicherungspflicht aus ein­fach­er Fahrläs­sigkeit verkannte.”