Der Pharmakonzern Pfizer gelangte vor das Bundesgericht mit einer Beschwerde gegen die Ablehnung des Gesuchs, das von ihm hergestellte und von Swissmedic als Arzneimittel zugelassene Präparat „Champix“ zur Rauchentwöhnung bei Erwachsenen in die Spezialitätenliste (SL) aufzunehmen (vgl. Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG). Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hatte die Aufnahme von Champix in die Spezialitätenliste mangels nachgewiesener Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistung abgelehnt (vgl. Art. 32 Abs. 1 KVG, Art. 65 Abs. 3 KVV, Art. 30 Abs. 1 lit. a sowie Art. 32 ff. KLV). Das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Frage offengelassen und die Nichtaufnahme mit der Begründung bestätigt, bei der Nikotinabhängigkeit handle es sich nicht um eine selbständige Krankheit (vgl. Art. 1a Abs. 2 lit. a KVG) und die medikamentöse Nikotinentwöhnung sei nicht in der Positivliste der durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmenden präventiven Massnahmen aufgeführt (vgl. Art. 26 und 33 Abs. 5 KVG; Art. 33 lit. d KVV i.V.m. Art. 12 ff. KLV und Anhang I).
In dem zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil 9C_69/2011 vom 11. Juli 2011 hat das Bundesgericht dargelegt, dass die Nikotinsucht eine Krankheit darstellen kann und ein Medikament zur Rauchentwöhnung gegebenenfalls von den Kassen zu bezahlen ist. Es hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen, den angefochtenen Entscheid aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit diese nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über die Aufnahme von „Champix“ in die Spezialitätenliste neu verfüge.
Das Bundesgericht zieht bei der Beurteilung, ob es sich bei der Nikotinsucht um eine Krankheit handelt, die Rechtsprechung zur Alkohol- und Drogensucht heran, die als Krankheit anerkannt sind (vgl. BGE 101 V 77 E. 1a S. 79):
5.3.2 In BGE 118 V 107 E. 1b S. 109 wurde im Zusammenhang mit Drogenkonsum Sucht als unbezwingbares Verlangen zur fortgesetzten Einnahme mit Entziehungserscheinungen nach Absetzen, Tendenz zur Steigerung der Dosis, Schäden für Individuum und Gesellschaft charakterisiert. Diese Begriffsumschreibung gilt im Wesentlichen auch heute noch […], und zwar in gleicher Weise für Nikotinabhängigkeit und Abhängigkeit von anderen psychoaktiven Substanzen wie Drogen und Alkohol […]. […] Ebenfalls differenzieren die anerkannten internationalen Klassifikationssysteme ICD-10 der WHO sowie DSM IV der American Psychiatric Association hinsichtlich der “Krankheitseigenschaft” nicht zwischen Nikotinsucht und Drogen- und Alkoholsucht.
5.3.3 Abgesehen von den — krankenversicherungsrechtlich allerdings nicht relevanten — Auswirkungen auf das soziale Verhalten resp. den Folgen für das “Funktionieren der Gesellschaft”, ist kein Grund ersichtlich, mit Bezug auf den Krankheitswert zwischen der Nikotinsucht einerseits, Alkohol- und Drogensucht anderseits zu unterscheiden. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass Nikotinabhängigkeit als solche eine Krankheit im Sinne der obligatorischen Krankenpflegeversicherung darstellt. Die Sucht muss aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig sein, damit ihr Krankheitswert zukommt.
Im Folgenden gibt das Urteil bestimmte Kriterien vor, nach denen der Krankheitswert einer Nikotinsucht bestimmt werden kann:
5.4.2 […] Es wird Aufgabe des Bundesamtes sein, nach Konsultation der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (Art. 37a lit. a KVV) Bedingungen zu formulieren, unter denen die Behandlungsbedürftigkeit der Nikotinsucht und damit deren Krankheitswert zu bejahen ist. Dabei geht es vorab darum, einen Mindestgrad an Nikotinabhängigkeit festzulegen […] unter Berücksichtigung der Expositionsdauer (pack-years) und der Art des Konsums […], welcher erreicht werden muss, um überhaupt von einer Krankheit sprechen zu können. Nicht jedes Rauchverhalten ist als behandlungsbedürftige Sucht zu betrachten. Mit Bezug auf (Begleit-)Erkrankungen sodann kann nicht vorausgesetzt werden, dass diese bereits ein Stadium erreicht haben, wo auch ein sofortiger Rauchstopp weder zu einer Verbesserung noch wenigstens zu einer Stabilisierung des Gesundheitszustandes beitragen kann. […] Ist die Nikotinsucht Symptom resp. Folge einer Erkrankung — in Betracht fallen insbesondere psychische Leiden […] — stellt sich im Sinne einer den Krankheitswert bestimmenden medizinischen Limitation (BGE 129 V 32 E. 4.2.2 S. 39) etwa die Frage, ob die betreffende Person den Willen aufbringen kann, mit dem (übermässigen) Tabakkonsum aufzuhören.
Die Wirksamkeit des in Frage stehenden Medikaments wird vom Bundesgericht bejaht:
6.1.2.2 […] Im Lebensversicherungsbereich gilt eine Person, die früher geraucht hat, als Nichtraucher, sobald sie während 12 Monaten nicht mehr geraucht hat […]. Unter diesen Umständen hat der Nachweis der Wirksamkeit von Champix grundsätzlich als erbracht zu gelten.
Auch die Zweckmässigkeit des Präparats wird hier vom Bundesgericht anerkannt:
6.2.2.3 Aufgrund der Akten […] ist davon auszugehen, dass in allen klinischen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit (effectiveness) einer Raucherentwöhnungstherapie die Probanden der Placebo-Gruppe die aufgetretenen gesundheitlichen Störungen, soweit notwendig, ärztlich behandeln liessen. Im dargelegten Sinne kann somit auch die Zweckmässigkeit einer Behandlung mit Champix nicht verneint werden.
Die Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels wird vom Bundesgericht nicht abschliessend geklärt:
6.3.4.2 […] Die Frage der Wirtschaftlichkeit von Champix kann erst dann abschliessend beurteilt werden, wenn feststeht, unter welchen Bedingungen die Nikotinsucht Krankheitswert hat, d.h. eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne der sozialen Krankenversicherung darstellt (vgl. E. 5.4.2), und unter welchen indikations- und mengenmässigen Limitierungen eine Aufnahme dieses Arzneimittels in die SL erfolgen kann (vgl. E. 6.2.2.2 und 6.3.4.1). Die Sache ist zu diesem Zweck und zu anschliessender neuer Verfügung über das Aufnahmegesuch an das BAG zurückzuweisen.