6B_1076/2009: Beschleunigungsgebot; Anklagegrundsatz und rechtliches Gehör

In einem Ver­fahren u.a. wegen gewerb­smäs­si­gen Betruges (Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB) und der gewerb­smäs­si­gen Geld­wäscherei (Art. 305bis Ziff. 1 und 2 lit. c StGB) hat­te das Bun­des­gericht auch über die Rügen, es seien das Beschle­u­ni­gungs­ge­bot sei ver­let­zt sowie der Anklage­grund­satz und der Anspruch auf rechtlich­es Gehör ver­let­zt wor­den, zu entschei­den. Es hat die Beschw­erde teil­weise gut­ge­heis­sen und die Sache zur Neuentschei­dung an die Vorin­stanz zurück­gewiesen (Urteil 6B_1076/2009 vom 22. März 2010).

Im Hin­blick auf das Beschle­u­ni­gungs­ge­bot hat­te das Bun­des­gericht zu beurteilen, ob die Vernehmung des Beschw­erde­führers, der bei einem in Deutsch­land durchge­führten Ver­fahren gegen mehrere andere Per­so­n­en als Zeuge auf­trat, den Beginn des gegen ihn angestrengten Strafver­fahrens begrün­det hat. Dies ist von Bedeu­tung, weil das in Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK fest­geschriebene Beschle­u­ni­gungs­ge­bot die Strafver­fol­gungs­be­hör­den verpflichtet, ein Strafver­fahren ab dem Zeit­punkt, in welchem der Angeschuldigte darüber in Ken­nt­nis geset­zt wurde, mit der gebote­nen Beförderung zu behan­deln, damit der Angeschuldigte nicht länger als notwendig den Belas­tun­gen eines Strafver­fahrens aus­ge­set­zt wird (vgl. BGE 133 IV 158 E. 8; 124 I 139 E. 2a). Das Bun­des­gericht verneinte dies im vor­liegen­den Fall:

2.3.1 […] Die Vernehmung des Beschw­erde­führers als Zeuge […] in dem in Deutsch­land gegen Y. und andere geführten Strafver­fahren begrün­det […] noch nicht den Beginn des Ver­fahrens, da in der Befra­gung des Beschw­erde­führers als Zeuge in einem anderen Ver­fahren noch keine Unter­rich­tung über die ihn selb­st belas­ten­den Ver­dachtsmo­mente liegt, auch wenn sein dama­liger Vertei­di­ger davon aus­ging, der Beschw­erde­führer werde als Mit­täter beschuldigt wer­den und sich daher auf seine prozes­sualen Rechte berief.

Auch mit sein­er Rüge hin­sichtlich des Anklage­grund­satzes und des rechtlichen Gehörs drang der Beschw­erde­führer nicht durch. Er argu­men­tierte, der Über­weisungs­beschluss umschreibe lediglich die Teil­nah­me­for­men der Mit­täter­schaft und der Gehil­fen­schaft, nicht aber die der mit­tel­baren Täter­schaft, weshalb er nicht habe damit rech­nen müssen. Das Bun­des­gericht ver­warf diese Begrün­dung und schloss sich der Ansicht der Vorin­stanz an. Diese hat­te zwar angenom­men, dass die Anklageschrift keine exak­te rechtliche Würdi­gung des umschriebe­nen Sachver­halts enthalte, weil der Über­weisungs­beschluss tat­säch­lich in erster Lin­ie sug­geriere, die drei Mitangeklagten hät­ten vorsät­zlich und als Mit­täter oder Gehil­fen an den Betrugs- und Geld­wäscherei­hand­lun­gen des Beschw­erde­führers mit­gewirkt; dies sei jedoch nicht von Belang. Das Bun­des­gericht pflichtete bei, dass die Anklageschrift den sich aus der Umgren­zungs- und Infor­ma­tions­funk­tion ergeben­den Anforderun­gen genüge. Der Beschw­erde­führer sei ohne weit­eres in der Lage gewe­sen, sich angemessen zu vertei­di­gen. Der Anklage­sachver­halt sei klar umris­sen und führe die wesentlichen Umstände auf, unter denen die den Angeklagten vorge­wor­fe­nen straf­baren Hand­lun­gen began­gen wor­den sein sollen.

3.2 […] Der fehlende Hin­weis auf ein nicht vorsät­zlich­es Han­deln der Mitangeklagten, ins­beson­dere auf eine allfäl­lige mit­tel­bare Täter­schaft ver­let­ze den Anklage­grund­satz aber nicht. Denn dem Über­weisungs­beschluss kön­nten auch Hin­weise auf eine Bege­hung in mit­tel­bar­er Täter­schaft ent­nom­men wer­den. So lasse die Wen­dung mit Hil­fe von nicht nur auf Gehil­fen­schaft schliessen, son­dern umfasse auch die mit­tel­bare Täter­schaft. Denn auch ein Aus­nützen des Tat­mit­tlers führe let­ztlich zu ein­er Bege­hung der Tat mit Hil­fe eines anderen. Eben­falls auf die Tat­bege­hung als mit­tel­bar­er Täter weise die For­mulierung, der Beschw­erde­führer habe sich des Betruges schuldig gemacht, indem er durch die Mitangeklagten gel­tend machen liess, die Gelder wür­den ohne Ver­lus­trisiko und gewinnbrin­gend ver­wen­det. Im Übri­gen ergebe sich die rechtliche Würdi­gung als mit­tel­bare Täter­schaft aus dem Umstand, dass die Mitangeklagten — jeden­falls bis zu einem bes­timmten Zeit­punkt — von der Anklage des Betruges freige­sprochen wor­den seien, weil ihnen bloss fahrläs­siges Han­deln habe nachgewiesen wer­den kön­nen. Dieser Freis­pruch basiere auf der Sachver­haltss­childerung der Anklageschrift.

3.5 […] Es liegt auch keine Ver­let­zung des Anspruchs auf rechtlich­es Gehör vor. Denn wenn man annehmen wollte, der Beschw­erde­führer hätte auf eine abwe­ichende rechtliche Beurteilung hingewiesen wer­den müssen, kön­nte der Man­gel in der oberen Instanz als behoben gel­ten, da dem Beschw­erde­führer im zweitin­stan­zlichen Ver­fahren hin­re­ichend Gele­gen­heit gegeben war, sich zur Würdi­gung des Sachver­halts unter dem Gesicht­spunkt der mit­tel­baren Täter­schaft zu äussern (vgl. BGE 133 I 201 E. 2.2; 127 V 431 E. 3d/aa S. 438 mit Hin­weis; vgl. auch Art. 360 Abs. 1 StrV/BE). Schliesslich ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Beschw­erde­führers auch keine Aus­dehnung der Strafver­fol­gung im Sinne von Art. 300 StrV/BE ersichtlich.