6B_830/2009: betrügerischer Konkurs; Anforderungen an Anklageschriften

Im Urteil vom 30. März 2010 (6B_830/2009), mit dem über den Freis­pruch von einem betrügerischen Konkurs (Art. 163 StGB) und der mehrfachen Urkun­den­fälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB) zu befind­en war, gibt das Bun­des­gericht der beschw­erde­führen­den Staat­san­waltschaft recht und hebt den Entscheid der Vorin­stanz auf.

Der vorin­stan­zliche Freis­pruch beruhte u.a. darauf, dass den bei­den Beschw­erdegeg­n­ern in der Anklageschrift „das Unter­lassen der buch­hal­ter­ischen Abgren­zung der ange­fan­genen Arbeit­en“ zwis­chen zwei ver­schiede­nen Kap­i­talge­sellschaften nicht vorge­hal­ten wor­den sei. Die Beschw­erde­führerin sah darin eine willkür­liche Anwen­dung des kan­tonalen Prozess­rechts (§ 100 Abs. 2 StPO/SO) und eine willkür­liche Sachver­halts­fest­stel­lung sowie eine Ver­let­zung von Bun­desrecht. Sie brachte dage­gen vor, dass sie den Begriff „Abgren­zung“ in der Anklageschrift zwar nicht ver­wen­det habe. Wenn jedoch der Lebensvor­gang in diesem Sinn geschildert werde, dass eine konkursreife Unternehmung während laufend­en Geschäfts­be­triebs ihre ange­fan­genen Arbeit­en an eine Auf­fangge­sellschaft über­trage, ohne dass jene eine entsprechende Entschädi­gung leiste, bedeute diese “Bankrot­thand­lung” gemäss Art. 163 StGB nichts anderes als ein Prob­lem der Abgren­zung laufend­er Aufträge.

Die gegen­teilige Auf­fas­sung der Vorin­stanz rügte die Beschw­erde­führerin als „über­spitzt for­mal­is­tisch und willkür­lich“. Auch das Bun­des­gericht erkan­nte keine Ver­let­zung des Anklageprinzips durch die Beschw­erde­führerin; es stufte die Anforderun­gen an die Anklageschrift durch die Vorin­stanz eben­falls als „über­spitzt for­mal­is­tisch“ ein (E. 3.4):

3.3 […] Das aus Art. 29 Abs. 1 BV fliessende Ver­bot des über­spitzten For­mal­is­mus wen­det sich gegen prozes­suale For­men­strenge. Über­spitzter For­mal­is­mus ist eine beson­dere Form der Rechtsver­weigerung und ist nur gegeben, wenn die strik­te Anwen­dung der For­mvorschriften durch keine schutzwürdi­gen Inter­essen gerecht­fer­tigt ist, zum blossen Selb­stzweck wird und die Ver­wirk­lichung des materiellen Rechts in unhalt­bar­er Weise erschw­ert oder ver­hin­dert. Über­spitzter For­mal­is­mus kann in den Ver­hal­tensvor­gaben an die Recht­suchen­den oder in den daran geknüpften Rechts­fol­gen begrün­det sein (BGE 132 I 249 E. 5).