6B_560/2010 und 6B_561/2010: Amtsmissbrauch

Zwei Polizeibeamten, die von der Vorin­stanz wegen Amtsmiss­brauchs gemäss Art. 312 StGB schuldig gesprochen wur­den, sind vor dem Bun­des­gericht mit ihrer Beschw­erde dage­gen durchge­drun­gen, weil ihr Ver­hal­ten bei ein­er Verkehrskon­trolle keine Zweck­ent­frem­dung der polizeilichen Macht darstelle. In den bei­den Ver­fahren 6B_560/2010 und 6B_561/2010 (jew­eils Urteil vom 13. Dezem­ber 2010) erkan­nte das Bun­des­gericht, dass die von den Beschw­erde­führern vorgenommene Fes­selung des Ehe­mannes der kon­trol­lierten Aut­o­fahrerin ver­hält­nis­mäs­sig gewe­sen sei.

Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung ist der Straftatbe­stand angesichts der unbes­timmt umschriebe­nen Tathand­lung ein­schränk­end auszulegen.

2.3 […] Amtsmiss­brauch ist der zweck­ent­fremdete Ein­satz staatlich­er Macht. Art. 312 StGB schützt ein­er­seits das Inter­esse des Staates an zuver­läs­si­gen Beamten, welche mit der ihnen anver­traut­en Macht­po­si­tion pflicht­be­wusst umge­hen, und ander­er­seits das Inter­esse der Bürg­er, nicht unkon­trol­liert­er und willkür­lich­er staatlich­er Mach­t­ent­fal­tung aus­ge­set­zt zu wer­den (BGE 127 IV 209 E. 1b). […] Seine Amts­ge­walt miss­braucht etwa der­jenige, welch­er die Macht­befug­nisse, die ihm sein Amt ver­lei­ht, unrecht­mäs­sig anwen­det, d.h. kraft seines Amtes ver­fügt oder Zwang ausübt, wo dies nicht geschehen dürfte. Amtsmiss­brauch liegt ausser­dem vor, wenn der Ein­satz des Macht­mit­tels zwar recht­mäs­sig gewe­sen ist, hier­bei das erlaubte Mass an Zwang jedoch über­schrit­ten wurde ([…] Urteil 6B_649/2009 vom 16. Okto­ber 2009 E. 2.3 mit Hin­weis auf BGE 127 IV 209 E. 1b […]).


In der vor­liegen­den Sit­u­a­tion sieht das Bun­des­gericht diese Voraus­set­zun­gen nicht gegeben. Der Beifahrer beschimpfte die Beamten, die Polizei sowie den Staat und weigerte sich, seine Ausweis­doku­mente vorzuzeigen. Nach­dem er sich zu Fuss von dan­nen machen wollte, hiel­ten sie ihn mit einem Griff am Ober­arm wieder­holt zurück. Als sich der Mann los­reis­sen wollte, über­wältigten sie ihn mit einem sog. “Arm­streck­hebel-Griff”, gin­gen mit ihm zu Boden und legten ihm anschliessend Hand­schellen an. Obwohl er sich beim Sturz ver­let­zte, weigerte sich der Mann weit­er­hin, seinen Namen zu nen­nen, solange er in Hand­schellen daste­he, gab seine Per­son­alien aber später bekan­nt. Die Polizis­ten ent­fer­n­ten daraufhin die Handschellen.

Die Polizis­ten mussten laut Bun­des­gericht alle zumut­baren Möglichkeit­en zur Iden­titätsabklärung vor Ort auss­chöpfen. Da sie die Fes­selung erst vor­nah­men, nach­dem sie der Beifahrer laut beschimpfte und schliesslich los­reis­sen wollte, war die Fes­selung mit­tels Arm­streck­hebel hier nicht unver­hält­nis­mäs­sig und erfüllte das objek­tive Tatbe­standsmerk­mal des Miss­brauchs der Amts­ge­walt gemäss Art. 312 StGB nicht (E. 2.7).