In dem bundesgerichtlichen Verfahren 6B_586/2010 rügte ein Beschwerdeführer, dass das Obergericht Zug ihm auf seine Berufung hin eine unbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten auferlegte, nachdem das Strafgericht ihn zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt hatte. Dieses Vorgehen verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und ein gerechtes Verfahren, selbst wenn der Kanton Zug kein Verbot der Schlechterstellung (Verbot der reformatio in peius) kenne, weil das Risiko einer Verschärfung der Strafe dem Beschuldigten faktisch die Möglichkeit nehme, ein Strafurteil anzufechten.
Das Bundesgericht kommt im Urteil vom 23. November 2010 zu dem Schluss (E. 2.2), dass ein kantonales Gericht in Abweichung von der ersten Instanz grundsätzlich einen vollständigen Vollzug der Strafe anordnen durfte, wenn der betreffende Kanton ein Verbot der reformatio in peius (noch) nicht kannte (vgl. aber den nunmehr geltenden Art. 391 Abs. 2 StPO). Dem Verzicht auf den (teilweisen) Strafaufschub stand nach Auffassung des Bundesgerichts auch nicht der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und ein gerechtes Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) entgegen. Das Gericht musste den Angeklagten aber spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung (1) darauf hinweisen, dass bei Ergreifung eines Rechtsmittels das Risiko einer Strafschärfung drohte, sowie (2) darüber informieren und Möglichkeit zur Stellungnahme geben, wenn es ihm eine Schlechterstellung aufzuerlegen beabsichtigte.
2.3 […] Das rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Es umfasst verschiedene Teilgehalte wie den Anspruch des Betroffenen auf Orientierung, Äusserung, Teilnahme am Beweisverfahren und Begründung (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1 S. 293 mit Hinweisen). Der Anspruch auf Orientierung verpflichtet die Behörde, welche auf ein Rechtsmittel hin zu einer reformatio in peius zu schreiten beabsichtigt, die betroffene Partei vorgängig darauf aufmerksam zu machen und ihr Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen (BGE 129 II 385 E. 4.4.3 S. 395 mit Hinweis).
Der Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung gemäss Art. 29 Abs. 1 BV gewährleistet grundsätzlich ein faires Verfahren im Rahmen der Rechtsanwendung. Ein Ausfluss dieser Verfahrensgarantie liegt im Verhalten der Behörden (und der Parteien) nach Treu und Glauben. Im Rahmen ihrer generellen prozessualen Fürsorgepflicht muss die Behörde einen Verfahrensbeteiligten von Amtes wegen informieren, wenn er sich anschickt, einen offensichtlichen Verfahrensfehler zu begehen, der rechtzeitig behoben werden kann. Eine erhöhte Sorgfalt des Entscheidungsträgers ist geboten, wenn die in Frage stehende Rechtsfolge (z.B. Freiheitsentzug) besonders schwerwiegend auf die persönliche Stellung einwirkt ([BGE-Fehlzitat] […]).