2D_10/2011: Anwaltsprüfung und Notendurchschnitt/-kompensation; Verhältnismässigkeit, Rechtsgleichheitsgebot und Willkürverbot

Ein Recht­san­walt­skan­di­dat aus dem Kan­ton Solothurn musste die mündliche Prü­fung zwei Mal absolvieren; dabei erlangte er in den Fäch­ern „Ver­wal­tungsrecht“ und „Strafrecht/Strafprozessrecht“ zuerst ein „gut“ und „gut–sehr gut“ sowie danach jew­eils ein „gut–sehr gut“, während er im Fach im Fach „Zivilrecht/Zivilprozessrecht“ bei­de Male nicht bestand. Daraufhin war er auch vor dem Bun­des­gericht erfol­g­los: Seine Beschw­erde gegen die Nichterteilung des Anwaltspatents wurde mit Urteil 2D_10/2011 vom 15. Juni 2011 abgewiesen. Er machte gel­tend, die Regelung im Kan­ton Solothurn, welche bloss die einzel­nen Noten isoliert betra­chte und nicht auf den Noten­durch­schnitt abstelle, sei unver­hält­nis­mäs­sig und ver­stosse gegen das Rechts­gle­ich­heits­ge­bot (Art. 8 Abs. 1 BV) und das Willkürver­bot (Art. 9 BV).

Im Kan­ton Solothurn ist die mündliche Anwalt­sprü­fung gemäss § 7 Abs. 4 AnwG/SO i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 JPV/SO bestanden, wenn in jedem Fach min­destens das Prädikat „genü­gend“ erteilt wird. Gegen diese Bes­tim­mung brachte der Beschw­erde­führer vor, dass Kan­di­dat­en mit drei „Min­i­mal­prädikat­en genü­gend“ das Anwaltspatent erhiel­ten, während diejeni­gen mit zwei guten oder sehr guten Leis­tun­gen und ein­er ungenü­gen­den Wer­tung vom Anwalts­beruf aus­geschlossen wür­den, obwohl let­ztere einen gle­ichen oder gar einen besseren Noten­schnitt als diejeni­gen mit bloss genü­gen­den Bew­er­tun­gen hät­ten. Der Noten­schnitt sei aber let­ztlich das wesentliche Ver­gle­ichsmerk­mal der Leis­tun­gen von Prü­fungskan­di­dat­en. Einige andere Kan­tone mit unge­fähr gle­ich vie­len Teil­prü­fun­gen wür­den zudem eine Kom­pen­sa­tion ein­er ungenü­gen­den Note mit anderen, besseren Noten ermöglichen.

Zum Ver­gle­ich mit den Prü­fung­sor­d­nung ander­er Kan­tone führt das Bun­des­gericht aus:

3.3 […] hat jed­er Kan­ton nach wie vor das Recht, die Anforderun­gen für den Erwerb des kan­tonalen Anwaltspatents selb­st festzule­gen. Insoweit geht der Vor­wurf des Ver­stoss­es gegen das Rechts­gle­ich­heits­ge­bot durch den Ver­gle­ich mit den Prü­fung­sor­d­nun­gen ander­er Kan­to­nen von vorn­here­in fehl (BGE 131 I 467 E. 3.3 S. 474; vgl. auch BGE 125 I 173 E. 6d S. 179). Daran ändert ent­ge­gen der Ansicht des Beschw­erde­führers nichts, dass Kan­di­dat­en, die in einem anderen Kan­ton eine ungenü­gende Note mit besseren Noten aus­gle­ichen dür­fen, her­nach gemäss Art. 4 ff. BGFA eben­falls im Kan­ton Solothurn als Anwälte prak­tizieren kön­nen. […] Er macht nur gel­tend, dass jene anderen Kan­tone teil­weise eine ähn­lich geringe Anzahl von Einzel­prü­fun­gen aufwiesen. Das allein führt jedoch nicht dazu, dass unter dem Gesicht­spunkt der Rechts­gle­ich­heit auch im Kan­ton Solothurn die Kom­pen­sa­tion ein­er ungenü­gen­den Note zu gewähren ist. Eben­so wenig ist der vom Beschw­erde­führer angestellte blosse Ver­gle­ich mit den Regelun­gen mehrerer ander­er Kan­tone, die eine ungenü­gende Note unter Umstän­den hin­nehmen, geeignet, bere­its die Willkür der inter­essieren­den Solothurn­er Bes­tim­mung zu begrün­den. Wie die Vorin­stanzen zudem richtig bemerken, beste­ht in den Kan­to­nen Luzern und Zug eine ähn­liche Regelung wie in § 13 Abs. 2 JPV/SO.

Zum Ver­gle­ich mit den innerkan­tonalen Kan­di­dat­en heisst es im Urteil:

3.4 […] Unter dem Blick­winkel von Art. 8 BV ist dem Beschw­erde­führer zunächst ent­ge­gen­zuhal­ten, dass die Sit­u­a­tion zwis­chen Kan­di­dat­en, die alle Prü­fung­steile bestanden haben, und den­jeni­gen, die bei einem Prü­fung­steil gescheit­ert sind, offen­sichtlich nicht die gle­iche ist. Es ist ihm zwar Recht zu geben, dass der Noten­durch­schnitt des Kan­di­dat­en mit ein­er ungenü­gen­den Bew­er­tung und mehreren befriedi­gen­den, guten bis sehr guten Bew­er­tun­gen bess­er sein kann als der­jenige eines Konkur­renten mit bloss genü­gen­den Bew­er­tun­gen. Der Beschw­erde­führer über­sieht jedoch, dass das Anwaltspatent einen Leis­tungsausweis bzw. eine Beruf­szu­las­sung für alle wesentlichen Rechts­ge­bi­ete darstellt. Der Bewer­ber, der das Anwaltspatent erhält, kann ohne Ein­schränkung grund­sät­zlich in allen Rechts­ge­bi­eten als Anwalt auftreten. […] Zudem bedarf es auch für in einem Fach­bere­ich spezial­isierte Anwälte genü­gen­der Ken­nt­nisse in allen wesentlichen Rechts­ge­bi­eten. Anders kön­nen Rechts­fälle oft nicht angemessen behan­delt wer­den. Daher beste­hen ern­sthafte sach­liche Gründe dafür, dass im Kan­ton Solothurn in der mündlichen Prü­fung eine genü­gende Note in allen drei erwäh­n­ten Rechts­ge­bi­eten ver­langt wird, zumal sich das Gesamtergeb­nis […] nur aus weni­gen Prü­fungsnoten zusam­menset­zt und der beim Beschw­erde­führer als ungenü­gend bew­ertete Prü­fung­steil nicht ein für Anwälte seltenes Spezial­ge­bi­et betraf.