6B_118/2011: Friedensbürgschaft; Verwirklichungsabsicht der Drohung (amtl. Publ.)

Die in Art. 66 StGB geregelte Friedens­bürgschaft ist bis anhin nur in einem BGE behan­delt wor­den (BGE 71 IV 72 E. 2). Nun hat sich das Bun­des­gericht in dem eben­falls für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 6B_118/2011 vom 11. Juli 2011 erneut mit dieser präven­tiv­en Mass­nahme auseinan­derge­set­zt. Dabei hat es die bish­er ungek­lärte Frage behan­delt, ob der Dro­hende tat­säch­lich die Absicht haben muss, die Tat auszuführen. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass nicht auf den Ver­wirk­lichungswillen des Täters, son­dern auf den Empfänger­hor­i­zont beim Opfer abzustellen ist.

Ein­lei­t­end erläutert das Bun­des­gericht die Voraus­set­zun­gen und den Regelungszweck von Art. 66 StGB:

2.3 Beste­ht die Gefahr, dass jemand ein Ver­brechen oder Verge­hen aus­führen wird, mit dem er gedro­ht hat, oder legt jemand, der wegen eines Ver­brechens oder eines Verge­hens verurteilt wird, die bes­timmte Absicht an den Tag, die Tat zu wieder­holen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedro­ht­en das Ver­sprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhal­ten, angemessene Sicher­heit dafür zu leis­ten (Art. 66 Abs. 1 StGB). Der Richter wird hier­bei nicht von Amtes wegen tätig, son­dern auf Antrag der bedro­ht­en Per­son. Auch bei einem entsprechen­den Antrag ste­ht es im richter­lichen Ermessen, eine Friedens­bürgschaft auszusprechen.
2.4 Der von der Friedens­bürgschaft bezweck­te Schutz ist auf Ver­hält­nisse zugeschnit­ten, in denen der poten­tielle Täter und sein Opfer […] durch die Zuge­hörigkeit zur gle­ichen über­schaubaren sozialen Gruppe miteinan­der ver­bun­den sind (Urteil 6B_10/2008 vom 15. April 2008 E. 1.4 mit Hinweisen).

Anschliessend hält es fest, dass das Tatbe­standsmerk­mal der Dro­hung keine strafrechtlich rel­e­vante Dro­hung im Sinne von Art. 180 StGB voraussetzt:

2.5 […] Genü­gend ist jede Dro­hung mit einem Ver­brechen oder Verge­hen, wenn die Gefahr beste­ht, dass der Dro­hende sie ver­wirk­lichen werde. Art. 66 StGB set­zt auch nicht voraus, dass die Dro­hung aus­drück­lich und gegenüber dem Bedro­ht­en geäussert wurde (BGE 71 IV 72 E. 2).

Das Bun­des­gericht hat­te bish­er offen­ge­lassen, ob der Dro­hende tat­säch­lich die Absicht haben muss, die Tat auszuführen. Nun­mehr bestätigt es die Auf­fas­sung im Schrift­tum, dass die Dro­hung unab­hängig des konkreten Ver­wirk­lichungswil­lens zumin­d­est als ern­st­ge­meint erscheinen soll:

2.6 Es erscheint sachgerecht, unab­hängig vom konkreten Ver­wirk­lichungswillen auf die Wirkung der Dro­hung gegenüber dem Dro­hungsempfänger abzustellen, ana­log dem Tatbe­stand der Dro­hung nach Art. 180 StGB. Tathand­lung bildet dort, den Empfänger der Dro­hung in Schreck­en oder Angst zu ver­set­zen. Der Täter muss nicht die Absicht haben, die Dro­hung tat­säch­lich in die Tat umzuset­zen […]. Höhere Anforderun­gen an die Ver­wirk­lichungsab­sicht der Dro­hung im Rah­men der Friedens­bürgschaft sind nicht angezeigt.
2.7 Der Bedro­hte muss eine ern­ste, nahe­liegende Besorg­nis haben, dass die ange­dro­hte Straftat ver­wirk­licht wird, was der franzö­sis­che Geset­zes­text zum Aus­druck bringt („S’il y a lieu de crain­dre“). Dem zuständi­gen Richter kommt für die Beurteilung der Ver­wirk­lichungschan­cen der Dro­hung ein gross­er Ermessensspiel­raum zu, wobei er die gesamten Umstände im konkreten Fall zu berück­sichti­gen hat (Urteil 1P.86/1999 vom 5. Juli 1999 E. 2c […]).

Die Beschw­erde wurde abgewiesen – wie auch die Beschw­erde der Beschw­erdegeg­ner­in, die auch vor das Bun­des­gericht gelangte (Urteil 6B_190/2011 eben­falls vom 11. Juli 2011, nicht zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­hen; siehe auch unseren Beitrag hierzu).