6B_190/2011: Friedensbürgschaft; Unzulässigkeit bei Übertretungen

Im bun­des­gerichtlichen Urteil 6B_190/2011 vom 11. Juli 2011 geht es um die Frage, wie eine Dro­hung aus­gestal­tet sein muss, um eine Friedens­bürgschaft gemäss Art. 66 StGB anord­nen zu kön­nen. Die Beschw­erde­führerin richtete sich gegen eine nicht ange­ord­nete Friedens­bürgschaft im Zusam­men­hang mit der Dro­hung des Beschw­erdegeg­n­ers, Intim­bilder und Filme von ihr zu veröf­fentlichen, Drit­ten zu zeigen oder ins Inter­net zu stellen. Im Gegen­satz zur herrschen­den Lehre hält das Bun­des­gericht in dem Urteil fest, dass die Errich­tung ein­er Friedens­bürgschaft nur bei Ver­brechen oder Verge­hen und nicht auch bei Übertre­tun­gen zuläs­sig ist.

Das Bun­des­gericht fasst ein­gangs die Ansicht im Schrift­tum zusammen:

2.4.4 Die Mehrheitsmei­n­ung stützt sich auf Art. 104 StGB, wonach die Bes­tim­mungen des Ersten Teils des Strafge­set­zbuch­es mit den nach­fol­gen­den Änderun­gen (Art. 105–109 StGB) auch für Übertre­tun­gen gel­ten. Da Art. 105 Abs. 3 StGB die Friedens­bürgschaft nicht als Aus­nahme erwähne, finde diese e con­trario auch bei ange­dro­ht­en Übertre­tun­gen Anwen­dung. Diese Auf­fas­sung ist abzulehnen.

Daraufhin begrün­det das Gericht seine gegen­teilige Aufassung:

2.4.5 Die in Art. 105 Abs. 3 StGB aufge­lis­teten Mass­nah­men, die ent­ge­gen der generellen Ver­weisungsnorm in Art. 104 StGB nicht auf Übertre­tun­gen anwend­bar sind, kön­nen nicht als abschliessend zu betra­chtet wer­den. In der bun­desrätlichen Botschaft und den par­la­men­tarischen Beratun­gen (AB S 1999, S. 1136 sowie AB N 2001, S. 602) wurde die Frage der Anwend­barkeit der Friedens­bürgschaft auf Übertre­tun­gen nicht the­ma­tisiert, so dass kein qual­i­fiziertes Schweigen des Geset­zge­bers vor­liegt. Aus der Nichter­wäh­nung der Friedens­bürgschaft in Art. 105 Abs. 3 StGB kann entsprechend nichts gewon­nen wer­den. Wie das Bun­des­gericht in anderem Zusam­men­hang fest­ge­hal­ten hat, erscheint es ohne­hin prob­lema­tisch, aus uner­wäh­nt gebliebe­nen Vorschriften rechtliche Schlüsse abzuleit­en (Urteil 6B_899/2010 vom 10. Jan­u­ar 2011 E. 2.6).
2.4.6 Darüber hin­aus gebi­eten Sinn und Zweck der Friedens­bürgschaft, diese präven­tive Mass­nahme — wie aus dem Geset­zes­text aus­drück­lich her­vorge­ht — auf Ver­brechen und Verge­hen zu beschränken. Bei Übertre­tun­gen wären Friedens­bürgschaften regelmäs­sig unver­hält­nis­mäs­sig […]. Obwohl mit der Höhe der zu zahlen­den Friedens­bürgschaft der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit in gewis­sem Grad Rech­nung getra­gen wer­den kön­nte, ver­bi­etet sich diese Mass­nahme bei Bagatellfällen, da dem zu zahlen­den Geld­be­trag dies­falls jegliche Wirk­samkeit abginge.

Die Beschw­erde wurde abgewiesen – wie auch das Rechtsmit­tel des Beschw­erdegeg­n­ers, dem das Bun­des­gericht mit dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 6B_118/2011 vom 11. Juli 2011 eine Absage erteilte (siehe auch unseren Beitrag hierzu).