Der Lehrbuchfall einer „Veruntreuungsfalle“ ist Gegenstand eines Urteils vom 23. August 2011 (6B_141/2011). Darin konkretisiert und bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur verdeckten Ermittlung, hier im Fall einer fingierten Fundabgabe aufgrund eines Verdachts wegen Veruntreuung.
Zum Sachverhalt: Die Polizeibeamtin X. nahm am Polizeischalter von einer Finderin ein Couvert mit 550 CHF entgegen und stellte eine Fundanzeige aus. Das Geld gelangte aber nie ans Fundbüro. Daher bestand der Verdacht, X. habe das Geld veruntreut. Mit Genehmigung der zuständigen Behörde stellte die Polizei eine „Veruntreuungsfalle“, indem ein Mittelsmann der Polizei der diensthabenden X. eine Tasche mit dem Inhalt von 150 EUR als Fundstück übergab. Vor Dienstschluss wurde festgestellt, dass X. im Formular „Fundanzeige“ das in der Tasche enthaltene Notengeld nicht aufgeführt hatte. In der Befragung gab sie zu, das Geld in beiden Fällen behändigt zu haben. Die erste Instanz sprach X. der mehrfachen qualifizierten Veruntreuung schuldig; die zweite Instanz sprach X. hingegen frei. Dagegen gelangte die Staatsanwaltschaft vor das Bundesgericht, welches die Beschwerde gutheisst.
Die Zulässigkeit des Einsatzes des Mittelsmannes der Polizei bestimmt sich in casu nach dem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung (BVE), das bis zum Inkrafttreten der Strafprozessordnung (vgl. Art. 286 ff. StPO) gegolten hat. Eine verdeckte Ermittlung konnte gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. a aBVE unter anderem angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründeten, besonders schwere Straftaten seien begangen worden oder sollten voraussichtlich begangen werden. Nach Art. 4 Abs. 2 aBVE war der Einsatz aber nur zur Verfolgung der darin aufgeführten Straftaten erlaubt, wozu auch die Veruntreuung im Sinne von Art. 138 StGB zählte. Die Ernennung des verdeckten Ermittlers und der Einsatz des verdeckten Ermittlers im Strafverfahren bedurften zudem der richterlichen Genehmigung (Art. 7 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 aBVE). Bei deren Fehlen durften die durch die verdeckte Ermittlung gewonnenen Erkenntnisse weder für weitere Ermittlungen noch zum Nachteil einer beschuldigten Person verwendet werden (Art. 18 Abs. 5 Satz 2 aBVE).
Der Anwendungsbereich des aBVE war unter anderem mangels einer gesetzlichen Definition des Begriffs der verdeckten Ermittlung unklar. Nach der Rechtsprechung war im Zweifelsfall davon auszugehen, dass jedes Anknüpfen von Kontakten mit einer verdächtigen Person zu Ermittlungszwecken durch einen nicht als solchen erkennbaren Polizeiangehörigen ungeachtet des Täuschungsaufwandes und der Eingriffsintensität als verdeckte Ermittlung im Sinne des aBVE zu qualifizieren ist und unter dessen Anwendungsbereich fällt (BGE 134 IV 266 E. 3.7). Somit sind auch kurzzeitige verdeckte Kontakte, die in der Lehre etwa als „verdeckte Fahndung“ bezeichnet werden, als verdeckte Ermittlung im Sinne des aBVE anzusehen.
2.2 […] Das Kriterium des „Anknüpfens von Kontakten“ nimmt Bezug auf die Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft zum BVE (BBl 1998 4241 ff., 4283), wonach verdeckte Ermittlung das Anknüpfen von Kontakten zu verdächtigen Personen ist, die darauf abzielen, die Begehung von strafbaren Handlungen festzustellen und zu beweisen. Das Kriterium des „nicht als solchen erkennbaren Polizeiangehörigen“ entspricht der Formulierung in Art. 1 aBVE.
Dem Gesetz lässt sich keine hinreichend klare Grundlage für die in der Lehre verbreitete Auffassung entnehmen, dass eine verdeckte Ermittlung nur bei einer (wie auch immer zu definierenden) gewissen Täuschungs- und/oder Eingriffsintensität beziehungsweise Dauer des Einsatzes angenommen werden kann. Diese Kriterien sind im Übrigen zu vage und daher für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes ungeeignet.
2.2 […] Das Bundesgericht hat klargestellt, dass das als wesentlich erkannte Kriterium des „Anknüpfens von Kontakten“ das Element eines aktiven, zielgerichteten Verhaltens enthält. Dieses Kriterium ist nicht ohne weiteres erfüllt, wenn ein nicht als solcher erkennbarer Polizeiangehöriger beispielsweise im Rahmen einer Observation von der Zielperson angesprochen wird und sich auf ein kurzes Gespräch einlässt (Urteile 6B_743/2009 vom 8. März 2010 E. 3.1 und E. 3.3; 6B_837/2009 vom 8. März 2010 E. 3.2 und E. 3.4; 6B_207/2010 vom 22. April 2010 E. 3.2).
Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der vorliegend in Frage stehende Einsatz des Mittelsmannes der Polizei nicht als verdeckte Ermittlung im Sinne des aBVE zu qualifizieren. Es fanden kein Gespräch und keinerlei Interaktion zwischen den beiden Beteiligten im Hinblick auf die Begehung einer strafbaren Handlung statt. Wohl wurde die verdächtige Zielperson über die Identität des Mittelsmannes und den angeblichen Fundgegenstand getäuscht. Doch der Mittelsmann wirkte weder auf die Beschwerdeführerin ein, noch wäre es aufgrund eines irgendwie gearteten Zusammenwirkens mit ihm zu einer strafbaren Handlung gekommen. Daher ist das wesentliche Kriterium des „Anknüpfens von Kontakten“ nicht erfüllt. Die im Rahmen der „Veruntreuungsfalle“ gewonnen Erkenntnisse sind somit verwertbar:
2.4 […] Der Freispruch der Beschwerdegegnerin vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten Veruntreuung kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht damit begründet werden, dass die aus der fingierten Fundabgabe direkt und indirekt gewonnenen Erkenntnisse mangels der für eine verdeckte Ermittlung im Sinne des aBVE erforderlichen richterlichen Genehmigung nicht verwertbar seien.