6B_1293/2015: Unterscheidung zwischen genehmigungsbedürftiger verdeckter Ermittlung und genehmigungsfreier verdeckter Fahndung (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Urteil die genehmi­gungs­bedürftige verdeck­te Ermit­tlung i.S.v. StPO 285a von der nicht genehmi­gungs­bedürfti­gen verdeck­te Fah­n­dung nach StPO 298 abzu­gren­zen. Beamte der Stadt­polizei Zürich hat­ten sich in einem Chat in einem Gepräch sex­uellen Inhalts als min­der­jähriges Mäd­chen aus­gegeben, worauf der Gesprächspart­ner u.a. wegen ver­suchter sex­ueller Hand­lun­gen mit Kindern angeklagt wurde. Das OGer ZH sprach den Angeklagten frei, weil die erhobe­nen Beweis­mit­tel man­gels Genehmi­gung nicht ver­w­ert­bar seien.

Eine verdeck­te Ermit­tlung liegt vor,

wenn Ange­hörige der Polizei oder Per­so­n­en, die vorüberge­hend für polizeiliche Auf­gaben angestellt sind, unter Ver­wen­dung ein­er durch Urkun­den abgesicherten falschen Iden­tität (Leg­ende) durch täuschen­des Ver­hal­ten zu Per­so­n­en Kon­tak­te knüpfen mit dem Ziel, ein Ver­trauensver­hält­nis aufzubauen und in ein krim­inelles Umfeld einzu­drin­gen, um beson­ders schwere Straftat­en aufzuklären.

Um eine verdeck­te Fah­n­dung han­delt es sich hingegen,

wenn Polizeiange­hörige im Rah­men kurz­er Ein­sätze ohne Erkennbarkeit ihrer wahren Iden­tität und Funk­tion Ver­brechen und Verge­hen aufzuk­lären ver­suchen und dabei ins­beson­dere Scheingeschäfte abschliessen oder den Willen zum Abschluss vortäuschen (Abs. 1). Verdeck­te Fah­n­derin­nen oder Fah­n­der wer­den nicht mit ein­er Leg­ende aus­ges­tat­tet (Abs. 2 Satz 1). 

Für das Vor­liegen ein­er verdeck­ten Ermit­tlung sprechen daher laut dem vor­liegen­den Urteil fol­gende Punkte:

  • qual­i­fizierte Täuschung durch Ver­wen­dung ein­er Urkunde;
  • Inter­ak­tion mit der Zielper­son, Auf­bau eines Vertrauensverhältnisses;
  • län­gere Dauer des Ein­satzes (wobei dies weniger ein eigen­ständi­ges Tatbe­stand­se­le­ment ist, son­dern eher eine aus der Voraus­set­zung des Ver­trauensver­hält­niss­es abgeleit­ete Anforderung).

Im konkreten Fall beurteilte das BGer das Vorge­hen der Polizei als verdeck­te Fah­n­dung, weshalb eine Gene­hi­gung nicht erforder­lich war und die Beweis­mit­tel ver­w­ertet wer­den konnten:

  • Leg­ende: Die Polizei über­mit­telte dem Angeklagten die ver­meintlich von der Chat­part­ner­in stam­mende Emailadresse. Die Angabe von Namen, Wohnort, Alter, Ausse­hen, die Angabe ein­er E‑Mail-Adresse mit falschem Namen, das Versenden von Fotos und die Ver­wen­dung ein­er Tele­fon­num­mer, die nicht auf eine Scheiniden­tität des Fah­n­ders aus­gestellt ist, schafft noch keine durch Urkun­den abgestützte Leg­ende i.S.v. StPO 285a;
  •  Inter­ak­tion mit der Zielper­son: vor­liegend beschränk­te sich der Kon­takt auf den Aus­tausch von Nachricht­en per Inter­net, Email und SMS, aber beschränkt auf die Anbah­nung eines Sex­u­alkon­tak­ts. Von einem pri­vat­en oder per­sön­lichen Kon­takt könne hier nicht gesprochen werden.
  • Dauer: Da sich der Kon­takt vor­liegend auf knappe Textbotschaften über rund 9 Tage beschränk­te, könne man nicht von län­ger­er Dauer ausgehen.

Im Ergeb­nis war deshalb von ein­er genehmi­gungs­freien Fah­n­dung auszuge­hen. Das BGer weist die Sache deshalb an das OGer ZH zu neuer Beurteilung zurück (u.a. zur Prü­fung, ob der Ver­w­ert­barkeit ggf. andere Gründe entgegenstehen).