5A_261/2011: Belegenheit der Arrestforderung / Personalunion Arrestgläubiger und Drittschuldner (amtl. Publ.)

In Entscheid 5A_261/2011 (ital.; zur amtl. Publ. vorge­se­hen) befasste sich das Bun­des­gericht u.a. mit Fra­gen zum Bele­gen­heit­sort ein­er Arrest­forderung. Zudem war strit­tig, ob ein sog. Drittschuld­ner (Schuld­ner des Arrestschuld­ners) gle­ichzeit­ig Arrest­gläu­biger sein könne.

Dem Entscheid lag verkürzt fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die B. s.r.o. (wohl eine GmbH tschechis­chen oder slowakischen Rechts, im Entscheid nicht näher spez­i­fiziert) liess der A. SA mit Sitz in der Schweiz einen Zahlungs­be­fehl in Höhe von rund CHF 50’000 zustellen. Der Rechtsvorschlag der A. SA wurde durch pro­vi­sorische Recht­söff­nung beseit­igt. Der Recht­söff­nungsentscheid wurde defin­i­tiv, nach­dem eine Aberken­nungs- und gle­ichzeit­ige Schaden­er­satzk­lage der A. SA gegen die B. s.r.o. auf­grund ein­er prozes­sualer Ver­wirkung am Pro­tokoll abgeschrieben wor­den war

Im Sep­tem­ber 2010 liess die A. SA gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG (in der dama­li­gen Fas­sung; “Aus­län­der­ar­rest”) ihrer­seits die Forderung von rund CHF 50’000 ver­ar­restieren, die Gegen­stand des Recht­söff­nungsentschei­ds war. Dies erfol­gte zur Sicherung ein­er eige­nen Schaden­er­satz­forderung der A. SA gegen die B. s.r.o.

Der Arrestrichter des Bezirks Bellinzona bewil­ligte den Arrest und wies die Arrestein­sprache der B. s.r.o. ab. Das Beru­fungs­gericht des Kan­tons Tessin entsch­ied auf Antrag der B. s.r.o. gegen­teilig, indem sie die Arrestein­sprache guthiess und den Arrest wegen örtlich­er Unzuständigkeit für nichtig erklärte. 

Auf Beschw­erde in Zivil­sachen der A. SA hin hob das Bun­des­gericht den kan­tonalen Entscheid auf und wies diesen zur Neubeurteilung an die Vorin­stanz zurück: 

Das Bun­des­gericht ver­weist zunächst auf seine Recht­sprechung, wonach die nicht in einem Wert­pa­pi­er verkör­perten Forderun­gen grund­sät­zlich am Wohn­sitz ihres Inhab­ers ver­ar­restiert wer­den. Soweit dieser keinen Wohn­sitz in der Schweiz hat, wird die Forderung am Wohn­sitz oder Sitz des Drittschuld­ners in der Schweiz ver­ar­restiert (BGE 128 III 473 E. 3.1).

Gemäss Vorin­stanz sei die Arrest­gläu­bigerin, und gle­ichzeit­ige Schuld­ner­in der ver­ar­restierten Forderung, keine Drittschuld­ner­in. Der Bele­gen­heit­sort der Forderung sei daher einzig der Sitz der Arrestschuld­ner­in (B. s.r.o.) 

Das Bun­des­gericht schützte das Argu­ment der A. SA, wonach Art. 272 SchKG nicht vorse­he, dass der Drittschuld­ner nicht gle­ichzeit­ig Arrest­gläu­biger sein könne (inof­fizielle Über­set­zung aus dem Italienischen):

3.4 Als “Drittschuld­ner” wird gemäss Recht­sprechung des Bun­des­gerichts der Schuld­ner des Arrestschuld­ners beze­ich­net (BGE 103 III 86 E. 2b). Die Aus­nahme, wonach eine Forderung am Wohn­sitz oder Sitz des Drittschuld­ners ver­ar­restiert wer­den kann, wurde aus Prak­tik­a­bil­itäts­grün­den einge­führt (BGE 31 I 198 E. 3; [div. Ver­weise auf Lehre]). Diese erlaubt es zudem, einen inter­na­tionalen neg­a­tiv­en Kom­pe­ten­zkon­flikt zu ver­mei­den. Im Gegen­satz zum Schweiz­er Recht erachtet der grösste Teil der aus­ländis­chen Recht­sor­d­nun­gen die Forderung als am Wohn­sitz des Drittschuld­ners bele­gen, und ohne Ein­führung ein­er solchen Aus­nahme hät­ten sich Sit­u­a­tio­nen ergeben, in denen eine Forderung — sei es aus Sicht des Wohn­sitzs­taates des Arrestschuld­ners, sei es aus Sicht der Schweiz — im Aus­land zu ver­ar­restieren wäre ([Ver­weis auf Lehre]). Wenn man in die Anwen­dung von Art. 272 Abs. 1 SchKG die Bedin­gung ein­führen würde, dass der Arrest­gläu­biger nicht gle­ichzeit­ig der Drittschuld­ner sein kann, würde man gle­ichzeit­ig Sit­u­a­tio­nen her­beiführen, in denen ein Gläu­biger (mit Wohn­sitz oder Sitz in der Schweiz) die Ver­ar­restierung ein­er Forderung, deren Schuld­ner er sel­ber ist, wed­er in der Schweiz noch im (aus­ländis­chen) Wohn­sitzs­taat des Arrestschuld­ners ver­lan­gen könnte.
Zudem ist her­vorzuheben, dass gemäss Recht­sprechung ver­ar­restier­bar jene Ver­mö­genswerte sind, die in der Zwangsvoll­streck­ung zugun­sten des Drit­tk­lass­gläu­bigers ver­w­ertet wer­den kön­nen, die mithin Objekt ein­er Pfän­dung sein oder zur Konkurs­masse gehören kön­nen (BGE 107 III 100). Mit­tels Arrests wird der ver­ar­restierte Ver­mö­genswert nicht automa­tisch dem Gläu­biger zuerkan­nt, son­dern es bedarf am Ende des Bewil­li­gungsver­fahrens zunächst ein­er Ver­w­er­tung. Nun hat das Bun­des­gericht bere­its Gele­gen­heit gehabt zu entschei­den, dass im Rah­men der Ver­w­er­tung ein­er gepfän­de­ten Forderung diese dem Pfän­dungs­gläu­biger zugeschla­gen wird, der gle­ichzeit­ig Schuld­ner dieser Forderung ist (BGE 109 III 62 E. 2 und 3). Es recht­fer­tigt sich daher nicht, der Beschw­erde­führerin [A. SA] zu ver­bi­eten, eine Forderung ver­ar­restieren zu lassen, die nicht nur ver­w­ert­bar ist, son­dern welche sie sog­ar befugt wäre, an ein­er öffentlichen Ver­steigerung zu erwerben.

Das Bun­des­gericht befasste sich weit­er mit ein­er Erwä­gung der Vorin­stanz, wonach die mit dem Arrest erlangte Sicher­heit gle­ich Null sei und sich daher die Frage stelle, ob das Ver­hal­ten der A. SA rechtsmiss­bräuch­lich sei (E. 4.1. und 4.2). Gemäss Bun­des­gericht liegt ein Rechtsmiss­brauch indes nicht vor:

4.3 [all­ge­meine Aus­führun­gen zum Rechtsmiss­brauch] […] Anders als von der Vorin­stanz erwogen, lässt sich vor­liegend nicht sagen, dass die durch das Arrest­begehren angestrebte Sicher­heit gle­ich Null ist. Auch wenn der Arrest­gläu­bigerin die Arrest­forderung zugeschla­gen wird, deren Schuld­ner­in sie gle­ichzeit­ig ist, erhält diese eine durch Vere­ini­gung unterge­gan­gene Forderung; dies bedeutet indes nicht, dass sie nichts erhält, zumal sie die Erlöschung ein­er Verpflich­tung erzielt, die sie andern­falls erfüllen müsste (vgl. auch BGE 109 III 62 E. 2). Wenn aber die ver­ar­restierte Forderung einem Drit­ten zugeschla­gen wird, erhält der Betrei­bungs­gläu­biger den Erlös dieses Zuschlags: Dies­falls stellt sich auch nicht die Frage der Erlöschung durch Vere­ini­gung i.S.v. Art. 118 Abs. 1 OR. Das prozes­suale Vorge­hen der [A. SA] erfol­gt daher nicht ohne Inter­esse und stellt keinen offen­sichtlichen Rechtsmiss­brauch i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB dar.