Nach Art. 119 Abs. 6 ZPO werden – ausser bei Bös- und Mutwilligkeit – im Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben. Bisher war ungeklärt, ob sich die Kostenlosigkeit auch auf das Beschwerdeverfahren gegen einen ablehnenden oder entziehenden Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege bezieht.
Diese Frage wird in der Lehre und der kantonalen Praxis unterschiedlich beantwortet. Eine Auffassung geht davon aus, dass auch das Beschwerdeverfahren gegen einen Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege der ersten Instanz kostenlos sei. Nach anderer Ansicht betreffe die Regelung einzig das Gesuchsverfahren. Das Bundesgericht hatte seit dem Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung bis anhin noch nicht darüber befinden. Nun hat es in einem zur amtlichen Publikation vorgesehen Urteil vom 27. September 2011 (5A_405/2011) entschieden, dass Art. 119 Abs. 6 ZPO auf das Beschwerdeverfahren nicht anwendbar ist (E. 6.6).
Bei der Auslegung der Bestimmung geht das Bundesgericht, entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung, nach dem pragmatischen Methodenpluralismus vor: Danach bildet der Wortlaut der Norm zunächst den Ausgangspunkt jeder Auslegung, um schliesslich unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, wie der Entstehungsgeschichte und des Sinngehalts der Regelung sowie des Zusammenhangs mit anderen Vorschriften, die wahre Tragweite zu erfassen (E. 6.4).
Nach dem Gesetzeswortlaut von Art. 119 Abs. 6 ZPO werden abgesehen von Bös- oder Mutwilligkeit „im Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben“, das heisst:
6.5.1 […] Art. 119 Abs. 6 ZPO bestimmt nicht näher, ob unter Verfahren nur das Gesuchs- oder auch das Beschwerdeverfahren zu verstehen ist.
Die Materialien (Vorentwurf der Expertenkommission und Bericht zum Vorentwurf, Entwurf des Bundesrats, Botschaft zur ZPO sowie Protokolle der vorberatenden Kommissionen des Ständerats und des Nationalrats) geben ebenfalls keinen zuverlässigen Aufschluss über die Auslegung von Art. 119 Abs. 6 ZPO:
6.5.2 Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich damit keine klaren Rückschlüsse auf die vorliegende Frage. Festzuhalten bleibt jedoch immerhin, dass die Kostenlosigkeit einzig im Zusammenhang mit dem (summarischen) Gesuchsverfahren diskutiert wurde. Hinweise, dass die Kostenlosigkeit auch für das Beschwerdeverfahren gemäss Art. 121 ZPO gelten sollte, finden sich keine.
Aus systematischer Sicht ist zwischen Gesuch(sverfahren) gemäss Art. 119 ZPO einerseits und Rechtsmittel(verfahren) gemäss Art. 121 ZPO andererseits zu differenzieren, die in unterschiedlichen Bestimmungen und chronologisch geregelt sind:
6.5.3 […] Das Beschwerdeverfahren (Art. 319 ff. ZPO) im Einzelnen beziehungsweise das Rechtsmittelverfahren im Allgemeinen (mit Ausnahme von Art. 318 Abs. 3 ZPO) enthalten keine speziellen Kostenvorschriften. Vielmehr gelten die allgemeinen Regeln gemäss Art. 104 ff. ZPO (beziehungsweise gemäss Art. 95 ff. ZPO) grundsätzlich auch für die Rechtsmittelinstanz.
Im Hinblick auf den Sinn und Zweck von Art. 119 Abs. 6 ZPO ist auf das Ziel der unentgeltlichen Rechtspflege abzustellen, die eine „gewisse Waffengleichheit“ gewährleisten soll, damit jeder Betroffene grundsätzlich ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situation auch Zugang zum Gericht und Anspruch auf Vertretung durch einen Rechtskundigen hat:
6.5.4 […] Es handelt sich beim fraglichen Institut um einen eigentlichen Pfeiler des Rechtsstaates […]. Mit Blick auf diese Grundsätze dürfte sich auch die gewählte Normierung in Art. 119 Abs. 6 ZPO einordnen lassen. […] Die fragliche Bestimmung bezweckt damit einerseits die Wahrung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege in dem Sinne, dass der Betroffene nicht soll befürchten müssen, dass ihm bereits für ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege Kosten auferlegt werden können. Andererseits sind wohl auch prozessökonomische und vollstreckungsrechtliche Gesichtspunkte von Bedeutung, wobei diese nur eine Rolle spielen, wenn das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wird. Diese Betrachtungsweise könnte auch in einem Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Entscheid eine gewisse Berechtigung haben.
Als Auslegungsergebnis hält das Bundesgericht fest:
6.5.5 […], dass sich aus dem Wortlaut von Art. 119 Abs. 6 ZPO nicht ergibt, ob die Kostenlosigkeit auch für das Rechtsmittelverfahren gelten soll. Aus der Entstehungsgeschichte und insbesondere der systematischen Stellung der Bestimmung folgt jedoch, dass sie einzig das Gesuchsverfahren vor der ersten oder zweiten Instanz betrifft. Daran vermag auch der Sinn und Zweck der Norm nichts zu ändern.
Im vorliegenden Fall wird die Beschwerde, die sich gegen die Auferlegung der Kosten in dem Beschwerdeverfahren nach Verweigerung der unentgeltlichen Rechtshilfe in einer Scheidungssache richtete, daher vom Bundesgericht abgewiesen.