4A_215/2011: ungerechtfertigte fristlose Entlassung eines Krankenpflegers wegen unerlaubter Aufgabe des Postens; Entschädigung von vier Monatsgehältern

Das BGer schützt ein Urteil des KGer VD, das eine frist­lose Ent­las­sung trotz ein­er schw­er­wiegen­den Pflichtver­let­zung als ungerecht­fer­tigt ange­se­hen hat­te. Der ent­lassene Mitar­beit­er war als Anäs­the­siepfleger bei einem pri­vat­en Kranken­haus pri­va­trechtlich angestellt. Er hat­te Mühe, mit Kri­tik von Vorge­set­zten umzugehen.

Die Ent­las­sung stand im Zusam­men­hang mit einem Vor­fall im Novem­ber 2006, als der Angestellte bei ein­er Oper­a­tion “Mate­r­i­al” auf den Boden — neben den Abfall­be­häl­ter — gewor­fen hat­te. Als er am Fol­ge­tag von seinem Vorge­set­zten zur Rede gestellt wurde, schrie er diesen an, ver­liess daraufhin das Kranken­haus im Wis­sen, dass alle Anäs­the­siepfleger am diesem Tag aus­ge­lastet waren und dass sich kaum oder nur schw­er rechtzeit­ig ein Ersatz für seine Funk­tion find­en liess, und liess sich gle­ichen­tags durch seinen Arzt zu 100% arbeit­sun­fähig schreiben. Eben­falls am gle­ichen Tag (aber nach­dem er krankgeschrieben wurde) wurde der Angestellte wegen uner­laubten Ver­lassens seines Postens frist­los ent­lassen. Der Arbeit­ge­ber wusste, dass der Angestellte zu dieser Zeit Ehep­rob­leme hatte.

Wie die Vorin­stanzen beurteilt das BGer die frist­lose Ent­las­sung als ungerecht­fer­tigt und berück­sichtigt dabei fol­gende Umstände:

  • Dass der Angestellte im Rah­men ein­er Oper­a­tion Mate­r­i­al zu Boden gewor­fen hat­te, war im konkreten Fall entschuld­bar und recht­fer­tigte keine frist­lose Kündigung.
  • Das uner­laubte Ver­lassen des Kranken­haus­es war objek­tiv eine schw­er­wiegende Pflichtver­let­zung, weil der Angestellte wusste, dass ein Ersatz nur schwierig zu beschaf­fen war. Er war für eine Oper­a­tion eingeteilt und wusste, dass diese vielle­icht ver­schoben wer­den musste. Er hätte deshalb abwarten müssen, ob ein Ersatz zu find­en war. Eine konkrete Gefahr für die Gesund­heit eines Patien­ten war dage­gen nicht festgestellt.
  • Der Arbeit­ge­ber hätte berück­sichti­gen müssen, dass sich der Angestellte in ein­er schwieri­gen Leben­sphase befand und seine Über­reak­tion darauf zurück­zuführen war. Er kon­nte ausser­dem sehen, dass die Gesund­heit des Angestell­ten ange­grif­f­en war.
  • Die kan­tonalen Gerichte haben zu Recht auch die etwa zehn­jährige Anstel­lungs­dauer und seine guten Beziehun­gen zu seinen Kol­le­gen berücksichtigt.

Das BGer schützte auf­grund dieser Umstände ausser­dem die Entschädi­gung iSv OR 336a für die ungerecht­fer­tigte Ent­las­sung von vier Monats­ge­häl­tern. Die kan­tonalen Gerichte haben dabei auch berück­sichtigt, dass der Angestellte auf­grund der Karen­zfrist zum Bezug von Ver­sicherungsleis­tun­gen gezwun­gen war, sich ans Sozialamt zu wenden.