5A_663/2011: Ungenügendes Begehren im Rechtsmittelverfahren aufgrund fehlender Bezifferung des Ehegatten- und Kinderunterhalts (amtl. Publ.)

In dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 5A_663/2011 vom 8. Dezem­ber 2011 beant­wortet das Bun­des­gericht die Frage, ob vor der Beru­fungsin­stanz und damit im Rechtsmit­telver­fahren bez­if­ferte Begehren zu stellen sind, soweit es um einen Ehe­gat­ten- und Kinderun­ter­halt geht, eine Rück­weisung an die erste Instanz auss­er Betra­cht fällt und daher Anträge in der Sache erfol­gen sollen.

Der Beschw­erde­führer rügte den Entscheid der Vorin­stanz, welche wegen ungenü­gen­der Anträge (fehlende Bez­if­fer­ung) nicht auf die Beru­fung einge­treten war, als eine Ver­let­zung des Ver­bots der formellen Rechtsver­weigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) und des Willkürver­bots (Art. 9 BV). Das Rechts­begehren war von sein­er Recht­san­wältin ver­fasst wor­den und lautete: „Die vom Beru­fungskläger zu bezahlen­den Unter­halts­beiträge seien unter Ein­bezug der Erwä­gun­gen in nach­fol­gen­der Begrün­dung festzule­gen. Unter Kosten- und Entschädi­gungs­folge.

Zum Inhalt des Rechts­begehrens ein­er Beru­fung­seingabe hält das Bun­des­gericht fest:

4.3 Ein Rechts­begehren muss so bes­timmt sein, dass es im Falle der Gutheis­sung der Klage unverän­dert zum Urteil erhoben wer­den kann […]. Aus diesem Prozess­grund­satz fol­gt dem­nach im vor­liegen­den Ver­fahren, in dem der Beschw­erde­führer Begehren in der Sache stellen will, dass die auf Geldzahlung gerichteten Beru­fungsanträge zu bez­if­fern sind […] Das­selbe ergibt sich im Übri­gen aus Art. 315 Abs. 1 ZPO, wonach die Beru­fung die Recht­skraft und die Voll­streck­barkeit des ange­focht­e­nen Entschei­ds im Umfang der Anträge hemmt. […] Schliesslich ermöglichen erst klare und im Falle von Geld­forderun­gen bez­if­ferte Anträge der Gegen­partei, sich in der Beru­fungsant­wort zu vertei­di­gen (Art. 312 ZPO) und darüber zu entschei­den, ob sie — soweit dies möglich ist — Anschluss­beru­fung erheben will (Art. 313 f. ZPO).

Diese Anforderun­gen an die Bez­if­fer­ung ein­er Beru­fung­seingabe ändern sich laut Bun­des­gericht auch nicht, soweit für den Kinderun­ter­halt die Offizial­maxime anwend­bar ist:

4.5.3 Ob ein Rechtsmit­tel ergrif­f­en wer­den soll und in welchem Umfang, ste­ht in der Dis­po­si­tion der Parteien, unab­hängig davon, ob sie über das stre­it­ige Recht ver­fü­gen kön­nen oder nicht. Die Ein­leitung des Rechtsmit­telver­fahrens set­zt damit auch unter der Offizial­maxime voraus, dass eine Partei ein form- und frist­gerecht­es Rechtss­chutzer­suchen an die Rechtsmit­telin­stanz richtet […]. Während somit die formellen Voraus­set­zun­gen der Beru­fungss­chrift die (gültige) Ein­leitung des Beru­fungsver­fahrens betr­e­f­fen, geht es bei der Offizial­maxime darum, dass das Gericht in der Folge nicht an die Parteianträge gebun­den ist (vgl. auch BGE 96 II 69 E. 2 S. 73 f.) und von diesen abwe­ichen kann, zumal das Ver­schlechterungsver­bot unter der Offizial­maxime nicht zum Tra­gen kommt (BGE 129 III 417 E. 2.1.1 S. 419 f.).

Den Ein­wand des Beschw­erde­führers, im Anwen­dungs­bere­ich der Unter­suchungs­maxime (Art. 272 ZPO) seien keine bez­if­fer­ten Anträge erforder­lich, son­dern sei vielmehr vom Gericht über die Höhe der Unter­halts­beiträge zu befind­en, ver­wirft das Bundesgericht:

5.2 […] Die Unter­suchungs­maxime bet­rifft nur die Art der Samm­lung des Prozessstoffs, nicht aber die Frage der Ein­leitung und Beendi­gung des Ver­fahrens. Sie beschlägt auch nicht die Frage, wie das Rechts­begehren for­muliert sein muss, damit der Rechtsstre­it über­haupt an die Hand genom­men wer­den kann. Aus der Unter­suchungs­maxime ergibt sich auch keine Pflicht des Gerichts, die Parteien in prozes­sualen Fra­gen zu berat­en (Urteil 4C.340/2004 vom 2. Dezem­ber 2004 E. 4.1).

Die Rechts­folge des Nichtein­tretens auf unbez­if­ferte Begehren ste­ht jedoch, so das Bun­des­gericht, unter dem Vor­be­halt des über­spitzten For­mal­is­mus (Art. 29 Abs. 1 BV):

6.2 […] Daraus fol­gt, dass auf eine Beru­fung mit formell man­gel­haften Rechts­begehren aus­nahm­sweise einzutreten ist, wenn sich aus der Begrün­dung, allen­falls in Verbindung mit dem ange­focht­e­nen Entscheid, ergibt, was der Beru­fungskläger in der Sache ver­langt oder — im Falle zu bez­if­fer­n­der Rechts­begehren — welch­er Geld­be­trag zuzus­prechen ist. Rechts­begehren sind im Lichte der Begrün­dung auszule­gen (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317).

Im ange­focht­e­nen Entscheid hat­te die Vorin­stanz nicht geprüft, ob sich aus der Beru­fungs­be­grün­dung ergibt, auf welchen Betrag der Beschw­erde­führer die Unter­halts­beiträge her­abge­set­zt haben möchte. Ob darin eine formelle Rechtsver­weigerung zu erblick­en ist, kon­nte jedoch offen bleiben, da sich aus der Beru­fungss­chrift des Beschw­erde­führers nicht ein­mal sin­ngemäss ent­nehmen liess, auf welchen Betrag der Ehe­gat­ten- und Kinderun­ter­halt reduziert wer­den soll. Das Bun­des­gericht weist die Beschw­erde daher ab.