6B_277/2011: (Keine strafbare) Beschäftigung eines Ausländers ohne Bewilligung bei unentgeltlicher Probearbeit (amtl. Publ.)

Wer einen Aus­län­der ohne Bewil­li­gung im Rah­men eines Rekru­tierung­sprozess­es und vor Abschluss eines Arbeitsver­trages probe­weise während eines eng begren­zten Zeitraumes arbeit­en lässt, macht sich nicht gemäss Art. 117 Abs. 1 AuG straf­bar. Es fehlt insoweit am Tatbe­standsmerk­mal der „Beschäf­ti­gung“. Zu diesem Schluss kommt das Bun­des­gericht in einem Urteil vom 3. Novem­ber 2011 (6B_277/2011), das in der amtlichen Samm­lung pub­liziert wer­den soll.

Der Geschäfts­führer eines Restau­rants liess einen Aus­län­der, der lediglich über einen Ausweis N (für Asyl­suchende) ohne Arbeits­be­wil­li­gung ver­fügte und sich um eine Stelle als Küchen­hil­fe bewor­ben hat­te, an zwei Tagen über die Mit­tagszeit während je anderthalb Stun­den in der Küche zur Probe unent­geltlich arbeit­en. Während ihn das Bezirks­gericht Bülach wegen Beschäf­ti­gung eines Aus­län­ders ohne Bewil­li­gung verurteilte, sprach ihn das Oberg­ericht Zürich von Schuld und Strafe frei. Die Ober­staat­san­waltschaft Zürich hat­te mit ihrer dage­gen ein­gelegten Beschw­erde vor dem Bun­des­gericht keinen Erfolg.

Das Bun­des­gericht weist darauf hin, dass nach sein­er Recht­sprechung zum früheren Recht der Anwen­dungs­bere­ich von Art. 23 Abs. 4 aANAG mit Rück­sicht auf dessen Sinn und Zweck nicht auf Arbeit­ge­ber im zivil­rechtlichen Sinne (Art. 319 ff. OR) beschränkt, son­dern vielmehr weit zu ver­ste­hen war. „Beschäfti­gen“ im Sinne dieser Bes­tim­mung bedeutete, jeman­den eine Erwerb­stätigkeit ausüben zu lassen; auf die Natur des Rechtsver­hält­niss­es kam es nicht an (BGE 128 IV 170 E. 4.1 S. 175). Diese Recht­sprechung gilt, so das Bun­des­gericht, auch für das neue Recht fort.

Danach muss die entsprechende aus­län­der­rechtliche Bewil­li­gung erst im Zeit­punkt des Stel­lenantritts und nach erfol­gtem Ver­tragsab­schluss vorliegen:

1.5.1 […] Nach Art. 91 Abs. 1 AuG, der unter der Mar­gin­alie „Sorgfalt­spflicht von Arbeit­ge­bern und Dien­stleis­tungsempfängern“ ste­ht, hat der Arbeit­ge­ber vor dem Stel­lenantritt der Aus­län­derin oder des Aus­län­ders Abklärun­gen zu tre­f­fen betr­e­f­fend die erforder­liche Berech­ti­gung zur Erwerb­stätigkeit in der Schweiz. […] Liegt eine Bewil­li­gung nicht vor, ist sie vom Arbeit­ge­ber zu beantra­gen (Art. 11 Abs. 3 AuG). […] Zu diesem Zweck hat der Arbeit­ge­ber bei der für die Zulas­sung zum Arbeits­markt zuständi­gen Stelle einen Arbeitsver­trag einzure­ichen. […] Aus der Notwendigkeit, dem Gesuch den im konkreten Fall abgeschlosse­nen und unterze­ich­neten Arbeitsver­trag beizule­gen, erhellt, dass die blosse Bewer­bung und die Teil­nahme an einem Rekru­tierung­sprozess nicht von ein­er Bewil­li­gung abhängig sein können.

Fern­er erscheint eine für bei­de Parteien unverbindliche Teil­nahme an einem Eval­u­a­tionsver­fahren nicht als sank­tion­swürdig:

1.5.2 […] Einem effek­tiv­en Stel­lenantritt gehen in aller Regel eine Ver­tragsan­bah­nung (Stel­lenauss­chrei­bung, Auswahlver­fahren usw.) und der Abschluss des (Arbeits-) Ver­trages voraus. Dass ein aus­ländis­ch­er Bewer­ber bere­its für das Auswahlver­fahren und vor dem Ver­tragsab­schluss über eine Arbeits­be­wil­li­gung im Sinne von Art. 18 ff. AuG ver­fü­gen müsste, ist nicht plau­si­bel geschweige denn prak­tik­a­bel. Eine Inte­gra­tion in den Arbeits­markt ist in diesem Augen­blick nicht erfol­gt. […] Nicht mass­ge­blich ist der Umstand, dass für andere Kan­di­dat­en die Wahrschein­lichkeit ein­er Anstel­lung the­o­retisch geschmälert wird. […] Solange die Stelle nicht beset­zt wird, wird die Sit­u­a­tion von anderen Bewer­bern nicht in rel­e­van­ter Weise tang­iert. Der Arbeits­markt wird erst durch die Anstel­lung respek­tive mit dem Stel­lenantritt mass­ge­blich bee­in­flusst. Hier set­zen die frem­den­polizeilichen Bes­tim­mungen an.