6B_729/2010: Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften; Geldwäscherei, Kriminelle Organisation (amtl. Publ.)

Im Entscheid 6B_729/2010 (frz.; zur Publ. in der amtl. Samm­lung vorge­se­hen) befasste sich das Bun­des­gericht im Wesentlichen mit zwei Fragestellungen:

  • ein­er­seits mit der Reich­weite der Iden­ti­fika­tion­spflicht (Art. 305ter StGB);
  • ander­er­seits mit der Frage von Geld­wäscherei (Art. 305bis StGB) von Ver­mö­genswerten ein­er krim­inellen Organ­i­sa­tion i.S.v. Art. 260ter StGB.

Dem Entscheid lag verkürzt fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Der Bankmi­tar­beit­er X. war zuständig für das Lateinameri­ka-Geschäft der Bank A. Im Juni 2003 eröffnete er für die Kundin C. eine Kon­to­beziehung auf den Namen ein­er pana­mais­chen Gesellschaft. Die Kundin wün­schte, dass als einziger wirtschaftlich Berechtigter ihr Sohn H. erscheine.

Im Okto­ber 2003 fand in Brasilien eine grossan­gelegte Stra­fun­ter­suchung statt, im Rah­men welch­er die Kundin C. und ihr Ex-Lebens­ge­fährte, ein brasil­ian­is­ch­er Bun­desrichter und Vater des H., ver­haftet wur­den. Die brasil­ian­is­che Presse, welche der Bankmi­tar­beit­er täglich las, berichtete ab Novem­ber 2003 aus­führlich über den Fall. Im Novem­ber 2003 informierte der Bankmi­tar­beit­er die Com­pli­ance-Abteilung über die Ver­haf­tung der Mut­ter des wirtschaftlich Berechtigten sowie über weit­ere erste Erken­nt­nisse aus dem brasil­ian­is­chen Strafver­fahren. Seinem Vorge­set­zten schlug er vor, das Kon­to intern zu block­ieren, indes vor­erst noch keine Mel­dung an die Meldestelle für Geld­wäscherei zu erstat­ten. Im Juni 2004 wurde das Kon­to von der Bun­de­san­waltschaft gesperrt.

Das Bun­desstrafgericht verurteilte den Bankmi­tar­beit­er wegen man­gel­nder Sorgfalt bei Finanzgeschäften (Art. 305ter StGB) und Geld­wäscherei (Art. 305bis StGB). Als Begrün­dung führte es an, der Bankmi­tar­beit­er hätte die Beziehung von Anfang an als “Polit­i­cal­ly Exposed Per­son” (PEP) qual­i­fizieren müssen; dies deshalb, weil er die Ver­wandtschafts­beziehung zwis­chen dem wirtschaftlich Berechtigten und einem Richter kan­nte. Auf­grund dieses Umstandes hätte er seine Abklärun­gen ver­tiefen müssen, was zur Erken­nt­nis geführt hätte, dass es sich um einen rang­ho­hen Richter han­delte. Zudem habe der Bankmi­tar­beit­er ab Novem­ber 2003 gewusst, dass die Ver­mö­genswerte auf dem Kon­to aus einem Ver­brechen her­rührten kön­nten. Er hätte daher, so das Bun­desstrafgericht, min­destens ab jen­em Zeit­punkt die Geschäfts­beziehung als “PEP” qual­i­fizieren müssen und bis zur Mel­dung bei der Meldestelle für Geld­wäscherei die Abklärun­gen inten­sivieren, seine Vorge­set­zten über die Sit­u­a­tion in Brasilien auf dem Laufend­en hal­ten und die Frage der Herkun­ft der Ver­mö­genswerte klären. Diese Unter­las­sun­gen wür­den Geld­wäscherei darstellen. 

Der Entscheid des Bun­des­gerichts ist aus­führlich begrün­det (rund 24 Druck­seit­en). Nach­fol­gend wird in nur sehr verk­nappter Form auf einige Erwä­gun­gen eingegangen:

Zum Vor­wurf der man­gel­nden Sorgfalt bei Finanzgeschäften (E. 3):

Die Vorin­stanz hielt fest, der Bankmi­tar­beit­er habe den wirtschaftlich Berechtigten zwar iden­ti­fiziert, warf dem Mitar­beit­er aber vor, die Iden­ti­fika­tion sei “unvoll­ständig” bzw. “inko­r­rekt”: Gemäss Bun­desstrafgericht kann die Iden­ti­fika­tion­spflicht neben den Basise­le­menten (Name, Wohn­sitz etc.) weit­ere Einzel­heit­en umfassen, wie z.B. das Kindesver­hält­nis eines min­der­jähri­gen Kindes oder die Iden­tität sowie die beru­fliche Tätigkeit der Eltern oder von Verwandten. 

Das Bun­des­gericht befasst sich daher zunächst mit dem Umfang der Iden­ti­fika­tion­spflicht gemäss Art. 305ter StGB. Unter Hin­weis auf 136 IV 127 E. 3.1.3.2 hält es fest, die Iden­ti­fika­tion­spflicht beschränke sich auf die Basise­le­mente (Name, Vor­name, Geburts­da­tum, Nationalität). 

Weit­er set­zt sich das Bun­des­gericht mit dem Vor­wurf der Vorin­stanz auseinan­der, der Bankmi­tar­beit­er habe die Bankbeziehung nicht als “poli­tisch exponierte Per­son” (PEP) qual­i­fiziert. Das Bun­des­gericht erläutert das hin­ter “PEP” ste­hende Konzept, wobei es auch auf die Unter­schiede und Wech­sel­beziehun­gen zwis­chen Art. 4 GwG (Fest­stel­lung der wirtschaftlich berechtigten Per­son) und Art. 6 GwG (Abklärungspflicht­en des Finanz­in­ter­mediärs) einge­ht. Es kommt zum Schluss, die Ver­let­zung von weit­erge­hen­den Abklärungspflicht­en falle bei gegebe­nen Voraus­set­zun­gen unter Art. 305bis StGB, nicht aber unter Art. 305ter StGB.

Zum Vor­wurf der Geld­wäscherei (E. 4): 

Das Bun­des­gericht erin­nert zunächst daran, dass bei der Geld­wäscherei, wie auch bei der Hehlerei, kein strik­ter Nach­weis der Vor­tat gefordert wird; es ist mithin nicht notwendig, im Detail die Umstände der Vor­tat, ins­beson­dere des Täters, zu ken­nen. Der geforderte Zusam­men­hang zwis­chen dem Delikt, aus dem die Ver­mö­genswerte stam­men, und der Geld­wäscherei ist bewusst schwach (“volon­taire­ment ténu”) (E. 4.1.3., mit Ver­weis auf Entschei­de BGE 120 IV 323 E. 3d S. 328 und 6B_141/2007 E. 3.3.3).

Weit­er set­zt sich das Bun­des­gericht aus­führlich mit dem Begriff der “krim­inellen Organ­i­sa­tion” i.S.v. Art. 260ter StGB auseinan­der. Es kommt zum Schluss, dass im vor­liegen­den Fall die im brasil­ian­is­chen Ver­fahren inkri­m­inierten Hand­lun­gen aus Sicht des Schweiz­er Rechts die Tatbe­standsmerk­male ein­er krim­inellen Organ­i­sa­tion erfüll­ten (E. 4.1.3.1 ff.). 

In E. 4.2.2 kommt das Bun­des­gericht nochmals auf das Erforder­nis der Vor­tat zu sprechen. Dabei präzisiert es, dass der Zusam­men­hang zwis­chen Vor­tat und Geld­wäscherei zwar “bewusst schwach” sei, das Erforder­nis ein­er Vor­tat gle­ich­wohl aber den Nach­weis ver­lange, dass die Ver­mö­genswerte aus einem Ver­brechen her­rühren.

Das Bun­des­gericht beschäftigt sich hier zum ersten Mal mit der Frage, unter welchen Voraus­set­zun­gen die Ver­mö­genswerte ein­er krim­inellen Organ­i­sa­tion als “aus einem Ver­brechen her­rührend” i.S.v. Art. 305bis StGB betra­chtet wer­den kön­nen bzw. ob die Teil­nahme an ein­er solchen Organ­i­sa­tion ein Ver­brechen darstellen kann, aus dem die Ver­mö­genswerte her­rühren. Das Bun­des­gericht weist darauf hin, dass diese Fra­gen in der Lehre umstrit­ten sind und zitiert diverse Lehrmei­n­un­gen (E. 4.2.3. und 4.2.3.1).

Das Bun­des­gericht befasst sich sodann mit der Frage, welche Art Zusam­men­hang zwis­chen den einzel­nen Tat­en ein­er krim­inellen Organ­i­sa­tion und den gewasch­enen Ver­mö­genswerten dieser Organ­i­sa­tion beste­hen muss (freie Über­set­zung aus dem Französischen): 

[E. 4.2.3.2 a.E.] […] sind jeden­falls keine über­höht­en Anforderun­gen an den Nach­weis der durch die Organ­i­sa­tion began­genen Ver­brechen zu stellen. Auch ist kein Nach­weis eines natür­lichen und adäquat­en Kausalzusam­men­hangs zwis­chen den einzel­nen indi­vid­u­al­isierten Ver­brechen und den gewasch­enen Ver­mö­genswerten zu ver­lan­gen. Der von der Recht­sprechung geforderte “notwendi­ger­weise schwache” Zusam­men­hang ist hin­re­ichend erstellt, wenn nachgewiesen ist, dass die Ver­brechen im Rah­men der Organ­i­sa­tion began­gen wur­den und die Ver­mö­genswerte von dieser her­stam­men. Zu fordern ist also, selb­st wenn die delik­tis­che Herkun­ft nur indi­rekt ist, ein natür­lich­er und adäquater Kausalzusam­men­hang zwis­chen den Ver­brechen, in ihrer Gesamtheit betra­chtet, und den Vermögenswerten. 

Da dem Bankmi­tar­beit­er vor­liegend Unter­las­sun­gen vorge­wor­fen wor­den waren, befasst sich das Bun­des­gericht weit­er mit der Frage der Garan­tenpflicht. Unter Ver­weis auf seine jüng­ste Recht­sprechung (BGE 136 IV 188, E. 6) hält das Bun­des­gericht fest, dass sich aus den in Art. 6 und 9 GwG, den Richtlin­ien der Auf­sichts­be­hörde sowie den bank­in­ter­nen Richtlin­ien eine Garan­ten­stel­lung ergibt (E. 4.3). Das Bun­des­gericht schützt die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, die dem Bankmi­tar­beit­er vorge­wor­fe­nen Unter­las­sun­gen seien geeignet gewe­sen, die Ermit­tlung der Herkun­ft, die Auffind­ung oder die Einziehung von Ver­mö­genswerten zu vere­it­eln. (Aus­führliche Prü­fung im vor­liegen­den Fall: E. 4.3.1 ff.). 

Den sub­jek­tiv­en Tatbe­stand von Art. 305bis StGB erachtet das Bun­des­gericht im Sinne eines Even­tu­alvor­satzes als erstellt (aus­führlich E. 4.5 ff.). 

Ins­ge­samt schützte das Bun­des­gericht den vorin­stan­zlichen Entscheid in Bezug auf den Vor­wurf der Geld­wäscherei durch Unter­lassen. Hin­sichtlich Vor­wurf der man­gel­nden Sorgfalt bei Finanzgeschäften wurde der vorin­stan­zliche Entscheid indes aufge­hoben und an die Vorin­stanz zurückgewiesen.