2C_239/2011: Finanzierung der Abfallentsorgung; “Littering” und Verursacherprinzip; Verantwortlichkeit des Grundeigentümers (amtl. Publ.)

Auf den 1. Mai 2007 trat das Abfall­re­gle­ment der Stadt Bern vom 25. Sep­tem­ber 2005 (AFR) in Kraft. Gestützt darauf stellte die dama­lige Abfal­l­entsorgung der Stadt Bern der Genossen­schaft Migros Aare, der Krompholz + Co AG (heute: Krompholz AG), der Coop (heute: Coop Genossen­schaft) sowie der Mag­a­zine zum Globus AG für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Dezem­ber 2007 sowie der Loeb AG für den Zeitraum vom 1. Mai — 31. Okto­ber 2007 Abfall­grundge­bühren für ins­ge­samt 23 Liegen­schaften in Rech­nung. Dage­gen wehrten sich die Betroffenen.

Die Zuständigkeit der Stadt Bern war nicht umstrit­ten. Stre­it­ig war dage­gen die Bun­desrecht­skon­for­mität der von den Betrof­fe­nen erhobe­nen Grundge­bühren insoweit, als damit auch die Kosten für “die angemessene Abgel­tung für das Wegräu­men von Sied­lungsab­fall aus dem öffentlichen Raum durch andere städtis­che Stellen” gedeckt wer­den (Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. e AFR). Und in diesem Zusam­men­hang ins­beson­dere um die Kosten für die Reini­gung der Strassen und Grü­nan­la­gen von acht­los wegge­wor­fen­em Abfall (sog. “Lit­ter­ing”), für die Entsorgung des­sel­ben und für die Entsorgung des in den öffentlichen Abfall­eimern zurück­ge­lasse­nen Abfalls.

Die Stadt Bern trat im Ver­fahren vor BGer als Beschw­erde­führerin auf, die Beschw­erde wurde abgewiesen.

Im aus­führlich begrün­de­ten Entscheid nimmt das BGer eine detail­lierte Analyse der ver­schiede­nen Kat­e­gorien von Abfällen vor (vgl. auch USG 31b).

(E. 4.3.2) Die Abfälle, deren Inhab­er nicht ermit­telt wer­den kann oder zahlung­sun­fähig ist, bilden demge­genüber eine ganz andere Gruppe, die nicht auf Herkun­ft oder Zusam­menset­zung der Abfälle abstellt. Alle in USG 31b und USG 31c des Geset­zes genan­nten Abfal­lkat­e­gorien (E. 4.3.1) kön­nen in diesem Sinne “her­ren­los” wer­den, wenn sich der Inhab­er ihrer entledigt. Die “her­ren­losen Abfälle” sind daher nicht eine beson­dere Kat­e­gorie des gle­ichen Typus wie die anderen genan­nten Kat­e­gorien. Vielmehr über­schnei­det sich das Merk­mal der “Her­ren­losigkeit” zwangsläu­fig jew­eils mit ein­er dieser Kat­e­gorien. Dementsprechend sind auch Entsorgungs- und Kos­ten­tra­gungspflicht­en dif­feren­ziert: Her­ren­lose Abfälle kön­nen ein­er­seits Sied­lungsabfälle oder Abfälle aus dem Unter­halt von Strassen und Abwasser­reini­gungsan­la­gen sein, bezüglich welch­er eine primäre Entsorgungspflicht der Kan­tone beste­ht. Her­ren­los kön­nen aber auch Abfälle sein, die an sich vom Inhab­er entsorgt wer­den müssten, wobei dieser aber nicht mehr ermit­telt wer­den kann. In diesem Fall sind zwar nach Art. 31b Abs. 1 Satz 1 USG eben­falls die Kan­tone entsorgungspflichtig, doch han­delt es sich dabei um eine sub­sidiäre Ersatzvor­nah­mepflicht anstelle des primär pflichti­gen Inhab­ers. Die her­ren­losen Abfälle kön­nen somit nicht als eine beson­dere Abfal­lkat­e­gorie mit ein­heitlichem rechtlichem Schick­sal betra­chtet werden.

Mit Blick auf die Kos­ten­tra­gungspflicht hält das BGer weit­er fest, was folgt.

(E. 4.3.3) USG 32 I, wonach grund­sät­zlich der Inhab­er die Kosten der Entsorgung trägt, ist die Grun­dregel, USG 32a demge­genüber eine Son­der­regel für die Sied­lungsabfälle. USG 32 II ist die Aus­nahme von der Grun­dregel (USG 32 I) und daher von vorn­here­in nicht ein­schlägig für diejeni­gen Fälle, die unter die Son­der­regel für Sied­lungsabfälle fall­en. Zudem regelt USG 32 I nur eine sub­sidiäre Kos­ten­tra­gungspflicht, die in den Fällen der primären Kos­ten­tra­gungspflicht der Inhab­er zum Tra­gen kommt, wenn diese die Kosten nicht tra­gen. Demgemäss kann USG 32 I ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vorin­stanz nicht als umfassende und vor­rangige Kos­ten­tra­gungsregel für sämtliche her­ren­losen Abfälle (mit Ein­schluss der her­ren­los gewor­de­nen Sied­lungsabfälle) betra­chtet werden.

Das BGer kommt sodann zum Zwis­ch­en­ergeb­nis (E. 4.5),

dass es ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vorin­stanz nicht bun­desrechtswidrig ist, wenn die Beschw­erde­führerin die hier stre­it­i­gen Entsorgungskosten über die geson­derte Abfall­rech­nung finanzieren und den Verur­sach­ern aufer­legen will. Wird richtiger­weise davon aus­ge­gan­gen, dass die Kosten für die Reini­gung der Strassen und Grü­nan­la­gen von acht­los wegge­wor­fen­em Abfall (sog. “Lit­ter­ing”), für die Entsorgung des­sel­ben und für die Entsorgung des in den öffentlichen Abfall­eimern zurück­ge­lasse­nen Abfalls nach den Vor­gaben für Sied­lungsabfälle im Sinne von USG 32a finanziert wer­den müssen, so ist im Gegen­teil eine solche Finanzierung aus all­ge­meinen Steuer­mit­teln (auss­er im Falle von USG 32 I) grund­sät­zlich aus­geschlossen und es bleibt hier­für nur die Form von Kausalabgaben.

Mit Blick auf die Frage, ob die Gebäudeeigen­tümer als Verur­sach­er für die hier stre­it­i­gen Abfälle betra­chtet wer­den dür­fen und die Finanzierung der­er Entsorgung mit­tels Grundge­bühr zuläs­sig ist, hält das BGer u.a. fest, was folgt.

(E. 5.4.4) Im Lichte dieser Recht­slage ver­stösst es gegen das Willkürver­bot (BV 9) und gegen USG 32a, die Gebäudeeigen­tümer generell als Verur­sach­er der im öffentlichen Raum entsorgten Abfälle zu betra­cht­en. Ein hin­re­ichen­der Zurech­nungszusam­men­hang zwis­chen Grund­stück­nutzung und der Entsorgung von Abfall auf öffentlichem Grund kann zwar bejaht wer­den in Bezug auf Take-away-Betriebe und der­gle­ichen: Diese verkaufen Pro­duk­te, die einen hohen Abfal­lanteil enthal­ten und bes­tim­mungs­gemäss zu einem grossen Teil im öffentlichen Raum kon­sum­iert wer­den. Es liegt auf der Hand, dass ein erhe­blich­er Teil des dabei anfal­l­en­den Abfalls in öffentlichen Abfall­eimern entsorgt oder gelit­tert wird, so dass eine anteilmäs­sige Koste­naufer­legung an solche Betriebe zuläs­sig ist, zumal diese die Kosten auf ihre Kun­den über­wälzen kön­nen. […] Eine Inte­gra­tion des genan­nten Aufwan­des für die Abfal­l­entsorgung auf öffentlichem Grund in die von allen Grun­deigen­tümern bezahlte Grundge­bühr würde aber voraus­set­zen, dass dieser Aufwand nach dem gle­ichen Massstab bzw. den gle­ichen Kri­te­rien auf alle Gebäudeeigen­tümer verteilt wer­den kön­nte wie die Bere­it­stel­lungskosten. Dies ist, was das Ver­hält­nis zwis­chen den Take-away Betrieben und den übri­gen Gebäudeeigen­tümern ange­ht, offen­sichtlich nicht der Fall.