5A_842/2011: Unentgeltliche Rechtspflege für Verfahren um Abänderung eines Scheidungsurteils (amtl. Publ.)

Zum ersten Mal hat sich das Bun­des­gericht in dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 5A_842/2011 vom 24. Feb­ru­ar 2012 einge­hend mit dem Anspruch auf unent­geltliche Recht­spflege nach Art. 117 ZPO im Zusam­men­hang mit der Abän­derung von Schei­dung­surteilen auseinan­derge­set­zt. Es stützt sich dabei auf die höch­strichter­liche Prax­is zum Begriff der Aus­sicht­slosigkeit gemäss Art. 29 Abs. 3 BV (vgl. Urteil 5A_711/2011 vom 21. Dezem­ber 2011 E. 3.1).

Zunächst fasst das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zur Aus­sicht­slosigkeit des Rechts­begehrens im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV zusam­men, welche – neben dem Fehlen der erforder­lichen Mit­tel – auch für den Anspruch auf unent­geltliche Recht­spflege aus Art. 117 ZPO voraus­ge­set­zt wird:

2.2.4 […] Als aus­sicht­s­los sind dem­nach Begehren anzuse­hen, bei denen die Gewin­naus­sicht­en beträchtlich geringer sind als die Ver­lust­ge­fahren und die deshalb kaum als ern­sthaft beze­ich­net wer­den kön­nen. Dage­gen gilt ein Begehren nicht als aus­sicht­s­los, wenn sich Gewin­naus­sicht­en und Ver­lust­ge­fahren unge­fähr die Waage hal­ten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Mass­gebend ist, ob eine Partei, die über die nöti­gen Mit­tel ver­fügt, sich bei vernün­ftiger Über­legung zu einem Prozess entschliessen würde. […] Ob im Einzelfall genü­gende Erfol­gsaus­sicht­en beste­hen, beurteilt sich auf­grund ein­er vor­läu­fi­gen und sum­marischen Prü­fung der Prozes­saus­sicht­en, wobei die Ver­hält­nisse im Zeit­punkt der Ein­re­ichung des Gesuchs mass­gebend sind (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616 mit Hinweisen).

Bei der Abän­derung ein­er im Schei­dung­surteil zuge­sproch­enen Entschädi­gung ist für die Beurteilung der Aus­sicht­slosigkeit eines Gesuchs um unent­geltliche Recht­spflege und Ver­beistän­dung auf Art. 124 ZGB abzustellen. Nach Abs. 1 ist eine angemessene Entschädi­gung geschuldet, wenn bei einem oder bei bei­den Ehe­gat­ten ein Vor­sorge­fall bere­its einge­treten ist oder aus andern Grün­den Ansprüche aus der beru­flichen Vor­sorge, die während der Dauer der Ehe erwor­ben wor­den sind, nicht geteilt wer­den kön­nen. Und gemäss Abs. 2 kann das Gericht den Schuld­ner verpflicht­en, die Entschädi­gung sicherzustellen, wenn es die Umstände rechtfertigen.

Bish­er hat sich das Bun­des­gericht nur in ein­er (unpub­lizierten) Erwä­gung zur Abän­der­barkeit ein­er Entschädi­gung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB geäussert:

4.4 […] Soll die angemessene Entschädi­gung in Form eines erhöht­en nachehe­lichen Unter­halts bezahlt wer­den, muss aus dem Urteil beziehungsweise aus der Schei­dungsvere­in­barung klar her­vorge­hen, unter welchem Titel die Zahlun­gen erfol­gen. Die Angabe ist unab­d­ing­bar, da sich Vor­sorgeaus­gle­ich in Renten­form und Unter­halt­srente sowohl bezüglich Vererblichkeit als auch hin­sichtlich Abän­der­barkeit unter­schei­den (Urteil 5C.66/2002 vom 15. Mai 2003 E. 3.4.3 […]). Auf dieser Lin­ie hat das Bun­des­gericht denn auch fest­ge­hal­ten, dass der Abän­derung­sprozess nach Art. 129 Abs. 1 ZGB einzig den nachehe­lichen Unter­halt in Form ein­er Rente, nicht hinge­gen andere Schei­dungs­fol­gen bet­rifft (Urteil 5A_721/2007 vom 29. Mai 2008 E. 4.1).

Mit der Sich­er­stel­lung der Entschädi­gung nach Art. 124 Abs. 2 ZGB musste sich das Bun­des­gericht bish­er noch nicht auseinan­der­set­zen, weshalb es dies­bezüglich auf die Lit­er­atur und die kan­tonale Recht­sprechung abstellt:

4.5 […] Von einem Teil der Lehre und kan­tonalen Prax­is wird die Möglichkeit anerkan­nt, zur Sich­er­stel­lung der Entschädi­gung in Renten­form – sofern diese einen Unter­halt­szweck erfüllt – eine Schuld­ner­an­weisung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 ZGB zu erlassen ([…] Urteil des Kan­ton­s­gerichts St. Gallen vom 14. Okto­ber 2002, FamPra.ch 2003 S. 415; Urteil 5C.155/2005 vom 2. Feb­ru­ar 2006 E. 5 […]).

Diese Erwä­gun­gen machen im Hin­blick auf die Beurteilung der Aus­sicht­slosigkeit deut­lich, dass sich die rechtliche Aus­gangslage im vor­liegen­den Fall nicht als ein­fach darstellt und ver­tiefter Abklärung bedarf: 

5.3 Solch schwierige und teil­weise auch heik­le Fra­gen sind von vorn­here­in […] nicht geeignet, im Rah­men der Prü­fung der Erfol­gsaus­sicht­en […] ein­deutig beant­wortet zu wer­den. […] Der Entscheid über das Gesuch um unent­geltliche Recht­spflege (und dabei ins­beson­dere über die Voraus­set­zung der fehlen­den Aus­sicht­slosigkeit) muss zwar mit ein­er gewis­sen Genauigkeit erfol­gen, darf aber ger­ade nicht dazu führen, dass der Haupt­prozess vorver­lagert wird […].

Die Vorin­stanz hat die Rechts­begehren des Beschw­erde­führers in sein­er Klage zur Abän­derung des Schei­dung­surteils und in sein­er Beschw­erde gegen die Abweisung des Gesuchs um unent­geltliche Recht­spflege somit zu Unrecht als aus­sicht­s­los beurteilt. Das Bun­des­gericht weist die Beschw­erde gut und bestellt dem Beschw­erde­führer einen unent­geltlichen Rechts­bei­s­tand, da er nach den Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanzen nicht über die für das Ver­fahren erforder­lichen Mit­tel verfügt.