Aufhebung eines Schiedsentscheids wegen der Verletzung des Ordre public (amtl. Publ.)

Mit Entscheid 4A_558/2011 vom 27. März 2012 (zur Pub­lika­tion vorge­se­hen) hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde gegen einen Schied­sentscheid des Tri­bunal Arbi­tral du Sport (TAS) wegen der Ver­let­zung des Ordre pub­lic nach Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG gut und hob diesen auf.

Mit Schied­sentscheid vom 29. Juni 2011 bestätigte das TAS den Entscheid der Diszi­pli­narkom­mis­sion der FIFA vom 31. August 2010, wonach dem Beschw­erde­führer Franceli­no da Sil­va Matuza­lem auf ein­fache Auf­forderung des Gläu­bigers FC Shakhtar Donet­sk hin jegliche in Zusam­men­hang mit dem Fuss­ball ste­hende Tätigkeit ver­boten würde, wenn er oder der Fuss­ball­club Real Saragos­sa in sol­i­darisch­er Haf­tung nicht innert Frist von 90 Tagen die Forderung des FC Shakhtar Donet­sk von über EUR 11 Mio. begle­ichen würden.

Der Beschw­erde­führer argu­men­tierte vor Bun­des­gericht, dass er die Schuld nicht begle­ichen könne, weshalb ihm als pro­fes­sionellem Fuss­ball­spiel­er fak­tisch ein unbe­fris­tetes und weltweites Berufsver­bot aufer­legt würde, sofern der Gläu­biger dies ver­lange. Er sehe darin einen schw­er­wiegen­den Ver­stoss gegen die in Art. 27 Abs. 2 der Bun­desver­fas­sung (BV) und in inter­na­tionalen Kon­ven­tio­nen garantierte Berufs­frei­heit sowie eine über­mäs­sige Beschränkung der per­sön­lichen Frei­heit, wie sie in Art. 27 des schweiz­erischen Zivilge­set­zbuchs (ZGB) konkretisiert ist.

Das Bun­des­gericht fol­gte dieser Argu­men­ta­tion (E. 4.3.4):

Der Ein­griff in die wirtschaftliche Frei­heit des Beschw­erde­führers mag geeignet sein, die Bere­itschaft zur Zahlung und Bemühun­gen zur Auf­bringung des geschulde­ten Betrags zu fördern; wenn allerd­ings die Behaup­tung des Beschw­erde­führers zutrifft, dass er jeden­falls den ganzen Betrag nicht zahlen kann, ist schon die Eig­nung der Mass­nahme zur Erre­ichung des unmit­tel­baren Zieles - näm­lich der Bezahlung der Schaden­er­satz­forderung — fraglich. Denn mit dem Ver­bot der bish­er aus­geübten wirtschaftlichen und ver­wandter Tätigkeit­en wird dem Beschw­erde­führer die Möglichkeit genom­men, durch Betä­ti­gung in seinem anges­tammten Beruf ein Einkom­men zu erzie­len, um sein­er Verpflich­tung nachzukom­men. Die Vere­insstrafe ist aber jeden­falls zur Durch­set­zung der ver­fügten Schaden­er­satz­forderung nicht erforder­lich: Dem ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­ber des Beschw­erde­führers ste­ht die Voll­streck­ung des Urteils des TAS vom 19. Mai 2009 auf dem Weg des New York­er Übereinkom­mens vom 10. Juni 1958 über die Anerken­nung und Voll­streck­ung aus­ländis­ch­er Schiedssprüche (SR 0.277.12) offen, dem die meis­ten Staat­en beige­treten sind und das ins­beson­dere auch für den aktuellen Wohn­sitzs­taat des Beschw­erde­führers Ital­ien gilt.
Die Vere­insstrafe ist aber ins­beson­dere auch insoweit unzuläs­sig, als die Inter­essen, welche der Welt­fuss­bal­lver­band damit durch­set­zen will, den schw­er­wiegen­den Ein­griff in die Per­sön­lichkeit des Beschw­erde­führers nicht zu recht­fer­ti­gen ver­mö­gen. Das abstrak­te Ziel der Durch­set­zung der Ver­tragstreue der Fuss­ball­spiel­er gegenüber ihren Arbeit­ge­bern ist ein­deutig weniger gewichtig als das fak­tisch in zeitlich­er und örtlich­er Hin­sicht unbe­gren­zte Berufsver­bot des Beschw­erde­führers für alle im Zusam­men­hang mit dem Fuss­ball­sport ste­hen­den Betä­ti­gun­gen.
4.3.5 Die auf Art. 64 Abs. 4 des FIFA-Diszi­pli­nar­regle­ments gestützte Andro­hung eines unbe­gren­zten Berufsver­bots stellt einen offen­sichtlichen und schw­er­wiegen­den Ein­griff in die Per­sön­lichkeit­srechte des Beschw­erde­führers dar und mis­sachtet die in Art. 27 Abs. 2 ZGB ver­ankerten grundle­gen­den Schranken rechts­geschäftlich­er Bindung. Der ange­focht­ene Schied­sentscheid führt bei Aus­bleiben der aufer­legten Zahlung nicht nur dazu, dass der Beschw­erde­führer der Willkür seines ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­bers aus­ge­set­zt, son­dern ins­beson­dere seine wirtschaftliche Frei­heit in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Grund­la­gen sein­er wirtschaftlichen Exis­tenz gefährdet sind, ohne dass dies durch ein über­wiegen­des Inter­esse des Welt­fuss­bal­lver­bands bzw. sein­er Mit­glieder gerecht­fer­tigt wäre. Auf­grund der entsprechen­den Andro­hung stellt der Schied­sentscheid des TAS vom 29. Juni 2011 eine offen­sichtliche und schw­er­wiegende Per­sön­lichkeitsver­let­zung dar und ist mit dem Ordre pub­lic (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG) unvereinbar.