1B_131/2012: Ausstand im Strafverfahren; Befangenheit verneint

In einem Strafver­fahren emp­fahl der Vor­sitzende der I. Strafkam­mer des OGer ZH, Vizepräsi­dent Peter Mar­ti, im Ver­fahren ein­er Beschw­erde gegen den Schuld­spruch des BezGer ZH dem Vertei­di­ger, RA Bruno Stein­er, mit dem Klien­ten ern­sthaft einen Rück­zug der Beru­fung wegen schlechter Erfol­gsaus­sicht­en zu disku­tieren. Auf die Antwort des Vertei­di­gers, er halte an der Beru­fung fest, teilte Peter Mar­ti mit, er nehme dies zur Ken­nt­nis, und er werde am weit­eren Ver­fahren nicht mitwirken. In der Folge stellte der Vertei­di­ger den Antrag, sämtliche Mit­glieder der I. Strafkam­mer des OGer hät­ten wegen des Anscheins der Befan­gen­heit in den Aus­stand zu treten. Der Antrag wurde abgewiesen, der Aus­stand von Peter Mar­ti dage­gen bewil­ligt. Eine Beschw­erde gegen diesen Entscheid hat­te das BGer mit BGE 137 I 227 abgewiesen. Dage­gen ist der Vertei­di­ger an den EGMR gelangt.

Nach­dem in der Folge die Gerichts­be­set­zung für die Beru­fungsver­hand­lung bekan­nt wurde, ver­langte der Vertei­di­ger den Aus­stand bes­timmter Richter und des Gerichtss­chreibers, worauf der Ter­min für die Beru­fungsver­hand­lung aufge­hoben wurde. Die II. Strafkam­mer des OGer wies das Aus­stands­begehren daraufhin ab. Dage­gen gelangt der Vertei­di­ger erneut ans BGer.

Das BGer weist die Beschw­erde ab (vgl. auch den Beitrag bei strafprozess.ch). Diese war offen­bar u.a. damit begrün­det wor­den, dass das Schreiben von Peter Mar­ti, der entsprechende Beschluss des OGer und BGE 137 I 227 in die Beru­fungsak­ten aufgenom­men wor­den waren und dass ein­er der Ober­richter damals vor BGer den Stand­punkt der I. Strafkam­mer vertreten hat­te.

Aus Sicht des BGer begrün­den diese Umstände jedoch nicht den Anschein der Befan­gen­heit der abgelehn­ten Gerichtspersonen:

Die Auseinan­der­set­zung, welche zu BGE 137 I 227 führte, bet­rifft das hängige Beru­fungsver­fahren, und es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die daran mitwirk­enden Richter an die frühere Beurteilung der Sach- und Recht­slage durch den nun­mehr in Aus­stand getrete­nen Ober­richter Mar­ti gebun­den fühlen soll­ten. Die vom Beschw­erde­führer ver­langte sep­a­rate Archivierung der Akten betr­e­f­fend die Aus­stands­frage erscheint unter den vor­liegen­den Umstän­den jeden­falls nicht geboten. Auch liegen keine Anhalt­spunk­te vor, dass die Mit­glieder der I. Strafkam­mer, die sich im ersten Aus­standsver­fahren gegen sie im bun­des­gerichtlichen Ver­fahren aus­führlich zur Aus­stands­frage äusserten, deswe­gen im Beru­fungsver­fahren befan­gen sein soll­ten. Sie waren berechtigt, zur dama­li­gen Beschw­erde Stel­lung zu nehmen und haben sich dabei auf die Aus­stands­frage beschränkt. Daraus kann nicht abgeleit­et wer­den, es beste­he der Anschein der Befan­gen­heit in Bezug auf die materielle Beurteilung der Berufung.