Das BGer heisst die Beschwerde von Google gegen das Streetview-Urteil des BVGer teilweise gut (zum Urteil des BVGer vgl. hier).
1. Personenbezug / Bestimmbarkeit
Mit Bezug auf die datenschutzrechtlichen Fragen hielt das BGer zunächst fest, dass eine Bearbeitung von Personendaten i.S.v. DSG 2 I vorliege und der sachliche Anwendungsbereich des DSG damit eröffnet sei. Die auf den Bildern des Street View-Dienstes erkennbaren Personen seien bestimmbar i.S.v. DSG 3 lit. a. Auch ein Augenbalken oder die Verwischung der Gesichtspartie schliesst die Erkennbarkeit nicht ohne Weiteres aus. Die Erkennbarkeit kann sogar vorliegen, wenn das Gesicht automatisch verwischt wurde. Zudem können auch Bilder von privaten Gärten etc. Personendaten sein. Offengelassen wurde die Frage, ob schon Aufnahmen von Hausfassaden schon Personendaten sind. — Bei den Rohdaten von Google (vor Verwischung) handelt es sich selbstverständlich (häufig) ebenfalls um Personendaten. Es war zudem davon auszugehen, dass Dritte ein Interesse an diesen Angaben haben und entsprechend bereit sind, eine Identifizierung vorzunehmen.
2. Rechtfertigungsbedarf und ‑möglichkeit
Zu prüfen war sodann die Einhaltung der Bearbeitungsgrundsätze von DSG 4, 5 I und 7 I, wobei das BGer daran erinnert, dass auch eine Bearbeitung entgegen dieser Grundsätze gerechtfertigt sein kann (obwohl DSG 12 I a — der auf diese Bestimmungen verweist — den Vorbehalt eines Rechtfertigungsgrunds nicht mehr ausdrücklich enthält). Eine Rechtfertigung ist aber nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen (BGE 136 II 508 i.S. Logistep). Das soll auf Dienste wie Street View (systematische Bearbeitung und unbestimmbarer Nutzerkreis) sogar besonders zutreffen.
Das BGer sieht sodann in mehrfacher Hinsicht Rechtfertigungsbedarf. Man könne nicht allgemein sagen, die in Street View erkennbaren Personen seien bloss “Beiwerk” (Staffage). Die betroffenen Personen können ins Zentrum des Bildes gerückt oder herangezoomt werden. Das schliesse eine rechtliche Behandlung als blosses “Beiwerk” aus. Ausserdem können missliche Situationen aufgenommen werden; Personen und Fahrzeuge können im Bereich von sensiblen Einrichtungen fotografiert werden; und Gärten und umfriedete Höfe fallen in die Privatsphäre. Daher liege oft eine Persönlichkeitsverletzung vor und folglich eine unrechtmässige Bearbeitung i.S.v. DSG 4 I.
Ausserdem sei der Grundsatz der Erkennbarkeit (DSG 4 IV) und der Zweckbindung (DSG 4 III) verletzt, weil der Zweck der Google-Fahrzeuge und ihre konkrete Aufnahmetätigkeit nicht ohne Weiteres erkennbar seien und auch die Information jeweils eine Woche im Voraus nicht reiche.
3. Rechtfertigung: Interessenabwägung
Eine Rechtfertigung (DSG 13) kam im vorliegenden Fall aufgrund der privaten Interessen von Google in Betracht, aber auch des Interesses der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit des Street View-Dienstes in Betracht. Das BVGer hatte dazu noch festgehalten, “[d]ie Kostenlosigkeit von Google Street View lässt sich denn auch nicht als überwiegendes privates oder gar öffentliches Interesse anführen”. Diesen Interessen stehen die Persönlichkeitsschutzinteressen der Betroffenen entgegen. Zu beachten ist aber, dass
angesichts der in der heutigen Gesellschaft faktisch bestehenden Einbindung von Personendaten in die soziale Realität nicht ein totaler Schutz vor einer unbefugten Bildveröffentlichung gewährleistet werden kann.
Das BGer kommt im Rahmen der ausführlichen Interessenabwägung zum Ergebnis, eine Fehlerquote (d.h. Quote von versehentlich nicht ausreichend anonymisierten Aufnahmen) sei hinzunehmen (konkret: 1%), sofern die die unterbliebenen Anonymisierungen auf Anzeige hin manuell vorgenommen werde und diese Möglicheit durch einen gut sichtbaren Link (z.B. “Anonymisierung verlangen”) angezeigt wird. “Berechtigte” Anonymisierungswünsche müssen rasch und kostenlos umgesetzt werden, ohne dass ein Interesse an der Anonymisierung nachzuweisen wäre. Ausserdem muss eine Postadresse für analoge Beanstandungen angegeben werden. Google muss die Widerspruchsmöglichkeiten zudem regelmässig (mindestens alle 3 Jahre) in “weit verbreiteten Medien, namentlich auch Presseerzeugnissen” öffentlich bekannt machen, und neue Kamerafahrten sind ebenfalls in den Medien anzukündigen.
Ausserdem muss Google im Bereich von sensiblen Einrichtungen (z.B. Schulen, Spitäler, Frauenhäuser, Gerichte usw.) nicht nur Gesichter und Kontrollschilder anonymisieren, sondern die Aufnahmen so weitgehend verwischen, dass auch zusätzliche individualisierende Merkmale (Hautfarbe, Kleidung, Hilfsmittel von körperlich behinderten Personen usw.) nicht mehr erkennbar sind.
Zudem ist die Kamerahöhe auf max. 2 m zu beschränken, damit ein Sichtschutz (Zäune oder Hecken) auch gegenüber den Kameras wirken.
Dem BGer ist natürlich klar, dass die Einhaltung dieser Vorgaben nicht überprüfbar ist. Es betont aber, dass der EDÖB über die Fortschritte bei der automatischen Anonymisierung und den Aufwand über die zusätzliche Verwischung zu informieren ist (DSG 29 II). Zudem muss Google “mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln eine vollständige Anonymisierung an[zu]streben und die automatische Anonymisierung laufend dem Stand der Technik an[zu]passen”.