5A_473/2011: IPRG 88 I, 91 I, 95 I: auf Erbverträge bei Nachlasspaltung anwendbares Recht (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Ver­fahren über das auf einen Erb­ver­trag zwis­chen Ehe­gat­ten anwend­bare Recht zu entschei­den. Diese Frage beurteilte sich hier — in einem schweiz­erisch-brasil­ian­is­chen Ver­hält­nis - nach dem IPRG, weil die Schweiz das über das auf die Erb­folge anzuwen­dende Recht zwar unterze­ich­net, aber noch nicht rat­i­fiziert hat, und weil zwis­chen der Schweiz und Brasilien keine ein­schlägi­gen völk­er­rechtlichen Verträge beste­hen. Bei Errich­tung des Erb­ver­trags hat­ten die Ehe­gat­ten Wohn­sitz in der Schweiz. Die Erblasserin starb dann mit let­ztem Wohn­sitz in Brasilien. 

In Frage kamen das schweiz­erische und das brasil­ian­is­che Recht, wobei sich die Beschw­erde­führer darauf beriefen, dass nach brasil­ian­is­chem Recht ein absolutes Erb­ver­tragsver­bot beste­he. Nach IPRG 95 I ist auf den Erb­ver­trag zwar das Recht am Wohn­sitz des Erblassers zur Zeit des Ver­tragsab­schlusses mass­ge­blich, was hier zum schweiz­erischen Recht führen würde. Die Aus­nah­mebes­tim­mung von IPRG 95 I werde aber, auf­grund der getren­nten Zuständigkeit der für den Nach­lass zuständi­gen Gerichte nach IPRG 88 (Nach­lasss­pal­tung), durch IPRG 91 I ver­drängt. Daher sei brasil­ian­is­ches Recht anzuwenden.

Das BGer weist diese Auf­fas­sung zurück. IPRG 95 weicht mit Bezug auf den Anknüp­fungszeit­punkt bewusst — aus Grün­den der Verkehrssicher­heit und im Inter­esse der Aufrechter­hal­tung der im Ver­trag getrof­fe­nen Anord­nun­gen — vom Erb­statut ab, das sich grund­sät­zlich nach dem Wohn­sitz im Todeszeit­punkt richtet (IPRG 90 I und IPRG 91 I). So klar wird der mass­ge­bliche Zeit­punkt des Wohn­sitzes, näm­lich der Zeit­punkt des  Ver­tragss­chlusses) zwar nur in IPRG 95 I erwäh­nt (ein­seit­ige Erb­verträge). Dieser Zeit­punkt gilt aber auch für IPRG 95 III (gegen­seit­ige Erbverträge):

Die Unter­schei­dung [sc. zw. IPRG 95 I / 95 III] ändert indessen nichts an den in bei­den Fällen gle­icher­massen beste­hen­den Bindungswirkun­gen des Erb­ver­trags, die durch den Wohn­sitzwech­sel des Erblassers oder auch nur eines der Ver­fü­gen­den nicht hin­fäl­lig wer­den dür­fen. Dass sich das anzuwen­dende Recht sowohl beim ein­seit­i­gen Erb­ver­trag als auch beim zwei- oder mehr­seit­i­gen Erb­ver­trag nach dem Wohn­sitz des bzw. jedes Erblassers im Zeit­punkt des Ver­tragsab­schlusses richtet, ist in der Lehre — soweit sie sich dazu äussert — anerkannt […]

Das auf Erb­verträge anwend­bare Recht ist auch im Fall ein­er Nach­lasss­pal­tung nach IPRG 95 zu bes­tim­men. Zwar bes­timmt sich das Recht gemäss der Lehre (das BGer macht sich diese Ansicht hier allerd­ings nicht aus­drück­lich zu eigen) im Fall ein­er Nach­lasss­pal­tung grund­sät­zlich nach IPRG 91 I, um eine ein­heitliche Recht­san­wen­dung sicherzustellen. Gegenüber dem Grund­satz bleiben jedoch die Son­der­anknüp­fun­gen nach IPRG 93 ff., u.a. für Erb­verträge und gegen­seit­i­gen Ver­fü­gun­gen von Todes wegen (IPRG 95) vor­be­hal­ten:

Weshalb das all­ge­meine Erb­statut dem beson­deren Erb­ver­tragsstatut vorge­hen soll, ver­mö­gen die Beschw­erde­führer nicht nachvol­lziehbar zu begrün­den. Ger­ade weil die Son­der­anknüp­fung gemäss Art. 95 IPRG eine Beein­träch­ti­gung der erb­ver­traglichen Bindungswirkun­gen durch Wohn­sitzwech­sel zu ver­hin­dern bezweckt, muss sie dem Erb­statut vorge­hen und auch im Fall ein­er Nach­lasss­pal­tung berück­sichtigt wer­den, die ihrer­seits auf einen Wech­sel des Wohn­sitzes in einen Staat mit entsprechen­der Zuständigkeit­sregelung zurück­zuführen ist.

Im vor­liegen­den Fall kam auch eine Son­der­anknüp­fung nach IPRG 19 nicht in Betracht:

Dass das brasil­ian­is­che Recht ein Erb­ver­tragsver­bot ken­nt, ste­ht unange­focht­en fest. Für dessen Berück­sich­ti­gung gemäss Art. 19 IPRG ist indessen entschei­dend, ob das Erb­ver­tragsver­bot brasil­ian­is­chen Rechts auch auf den zu beurteilen­den Sachver­halt zwin­gend angewen­det wer­den will. Ungeachtet der fehlen­den Ver­fas­sungsrü­gen ([…]) darf die Frage unter Willkür­gesicht­spunk­ten verneint wer­den. Das brasil­ian­is­che Erb­ver­tragsver­bot zählt nach über­wiegen­der Mei­n­ung nicht oder nicht mehr zum ordre pub­lic, soweit der Erb­ver­trag — wie hier — nach dem Recht am Ort des Ver­tragsab­schlusses zuläs­sig ist. Der Anwen­dungs­bere­ich des ordre pub­lic im Erbrecht ist insoweit eingeschränkt […]. Der Befund entspricht offen­bar ein­er all­ge­meinen Ten­denz, die für andere Staat­en mit einem aus­drück­lichen Erb­ver­tragsver­bot fest­gestellt wird. 

Der Erb­ver­trag war daher nach schweiz­erischem Recht nach dem Ver­trauen­sprinzip auszule­gen. Das BGer prüft in der Folge mehrere Aspek­te des Erb­ver­trags, so u.a. seine allfäl­lige stillschweigende Aufhe­bung durch einen späteren Ehev­er­trag (verneint, weil sich die bei­den Verträge sin­nvoll ergänzen).