4A_388/2012: Streit über Geldforderung aus Arbeitsvertrag ist schiedsfähig, auch wenn eine Bestimmung einer ausländischen Rechtsordnung, die mit dem Rechtsstreit Verbindungen aufweist, für solche Streitigkeiten zwingend die staatliche Gerichtsbarkeit vorschreibt

Im Entscheid 4A_388/2012 vom 18. März 2013 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob ein Rechtsstre­it aus einem Arbeitsver­trag deshalb nicht schieds­fähig war, weil eine Bes­tim­mung ein­er aus­ländis­chen Recht­sor­d­nung, die mit dem Rechtsstre­it Verbindun­gen aufwies, für Arbeit­srechtsstre­it­igkeit­en zwin­gend die staatliche Gerichts­barkeit vorschreibt.

Beschw­erde­führer vor Bun­des­gericht war der ehe­ma­lige Chef­train­er der nationalen Fuss­ball­mannschaft Bul­gar­iens. Beschw­erdegeg­ner­in war der nationale Fuss­bal­lver­band Bul­gar­iens. Im Jan­u­ar 2008 schlossen die Parteien einen Arbeitsver­trag ab. Ziff 16 des Arbeitsver­trags lautete:

The dis­putes con­cern­ing the inter­pre­ta­tion of the mean­ing and the per­for­mance of the con­tract will be resolved ami­ca­bly by agree­ment of the par­ties. In case an agree­ment is impos­si­ble to reach, the dis­pute shall be referred for resolv­ing by the com­pe­tent court. The par­ties to the con­tract rec­og­nize the Court of Arbi­tra­tion for Sport (CAS) in Lau­sanne, Switzer­land as in this case the Statute and the reg­u­la­tions of BFU and the pro­vi­sions of Bul­gar­i­an leg­is­la­tion will apply.

Als die Beschw­erdegeg­ner­in den Arbeitsver­trag vorzeit­ig kündigte, klagte der Beschw­erde­führer vor dem Region­al­gericht Sofia und beantragte die Zahlung von EUR 132’000. Das Region­al­gericht erk­lärte sich mit der Begrün­dung für zuständig, arbeit­srechtliche Stre­it­igkeit­en seien nach Art. 19 Abs. 1 der bul­gar­ischen Zivil­prozes­sor­d­nung (“bZPO”) nicht schieds­fähig, son­dern müssten von
den staatlichen Gericht­en beurteilt wer­den. Das Gericht wies die Klage in der Folge ab. Art. 19 Abs. 1 bZPO sieht (in sein­er englis­chen Über­set­zung) Fol­gen­des vor:

The par­ties to a prop­er­ty dis­pute may agree that it be set­tled by a court of arbi­tra­tion, unless the dis­pute has as its sub­ject prop­er­ty rights or pos­ses­sion of immove­able prop­er­ty, alimo­ny or rights as per employ­ment relationship.

Im Okto­ber 2011 reichte der Beschw­erde­führer beim Region­al­gericht Sofia eine weit­ere Klage ein und ver­langte Schaden­er­satz aus Ver­tragsver­let­zung. Das Region­al­gericht erk­lärte sich man­gels Schieds­fähigkeit der Stre­it­sache wiederum in Anwen­dung von Art. 19 bZPO für zuständig.

Am 8. Novem­ber 2011 erhob der Beschw­erde­führer beim Tri­bunal Arbi­tral du Sport (“TAS”) Schied­sklage gegen die Beschw­erdegeg­ner­in. Mit Schied­sentscheid vom 24. Mai 2012 erk­lärte sich das TAS man­gels Schieds­fähigkeit für unzuständig. Es erachtete Art. 19 Abs. 1 bZPO für anwend­bar, der arbeit­srechtliche Stre­it­igkeit­en von der Beurteilung durch ein Schieds­gericht auss­chliesst. Diesem Ergeb­nis ste­he auch Art. 177 IPRG nicht im Weg, zumal das IPRG eine Berück­sich­ti­gung zwin­gen­der Bes­tim­mungen eines aus­ländis­chen Rechts zulasse. Im Weit­eren wies das TAS darauf hin, es beste­he die reelle Gefahr, dass ein Schied­sentscheid des TAS in Bul­gar­ien nicht durchge­set­zt wer­den könne.

Mit Beschw­erde in Zivil­sachen beantragt der Kläger dem Bun­des­gericht, der Schied­sentscheid vom 24. Mai 2012 sei aufzuheben und das TAS sei für zuständig zu erklären. 

Die Beschw­erdegeg­ner­in bestritt nicht, dass es sich bei den mit der Schied­sklage gel­tend gemacht­en Geld­forderun­gen infolge Ver­let­zung des Arbeitsver­trags um ver­mö­gen­srechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 177 Abs. 1 IPRG han­delte. Sie argu­men­tierte jedoch, Art. 19 Abs. 1 bZPO, nach dem arbeit­srechtliche Stre­it­igkeit­en nicht von Schieds­gericht­en beurteilt wer­den kön­nen, sei im konkreten Fall als Teil des bul­gar­ischen Ordre pub­lic zu beacht­en und ver­bi­ete die Anrufung eines Schieds­gerichts. Das Bun­des­gericht teilte diese Auf­fas­sung nicht (E. 3.3):

Das Bun­des­gericht hat in sein­er Recht­sprechung zwar die Möglichkeit in Betra­cht gezo­gen, die Schieds­fähigkeit eines konkreten Rechtsstre­its gegebe­nen­falls mit Blick auf Bes­tim­mungen zu verneinen, die zwin­gend die staatliche Gerichts­barkeit vorschreiben und deren Beach­tung unter dem Blick­winkel des Ordre pub­lic (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG) geboten ist (BGE 118 II 353 E. 3c S. 357; Urteile 4A_654/2011 vom 23. Mai 2012 E. 3.4; 4A_370/2007 vom 21. Feb­ru­ar 2008 E. 5.2.2). Dies kann ent­ge­gen dem ange­focht­e­nen Entscheid allerd­ings nicht dahinge­hend ver­standen wer­den, dass ohne Weit­eres zwin­gende Bes­tim­mungen ein­er aus­ländis­chen Recht­sor­d­nung zu berück­sichti­gen wären, mit welch­er die Rechtsstre­it­igkeit Verbindun­gen aufweist, und die den Begriff der Schieds­fähigkeit möglicher­weise enger fassen (vgl. BGE 118 II 193 E. 5c/aa S. 196).

Das Bun­des­gericht kri­tisierte auch, dass das TAS im Rah­men der Zuständigkeits­frage die Gefahr der fehlen­den Durch­set­zung des Schiedsspruchs in Bul­gar­ien berück­sichtigte (E. 3.3):

Zudem hat es im Rah­men der Zuständigkeits­frage zu Unrecht berück­sichtigt, es beste­he auf­grund von Art. 19 bZPO und Art. V Abs. 2 lit. ades New York­er Übereinkom­mens vom 10. Juni 1958 über die Anerken­nung und Voll­streck­ung aus­ländis­ch­er Schiedssprüche (SR 0.277.12) die Gefahr, dass ein Schied­sentscheid des TAS in Bul­gar­ien nicht durchge­set­zt wer­den könne. Dass Entschei­de inter­na­tionaler Schieds­gerichte mit Sitz in der Schweiz, die gestützt auf Art. 177 Abs. 1 IPRG einen Rechtsstre­it als schieds­fähig erachtet haben, in einem bes­timmten Land gegebe­nen­falls nicht voll­streckt wer­den kön­nen, ist nach dem Willen des Geset­zge­bers, der sich ganz bewusst für eine materielle Regelung der Schieds­fähigkeit aus­ge­sprochen hat, hinzunehmen; es ist mithin Sache der Parteien, ein solch­es Risiko abzuwä­gen (BGE 118 II 353 E. 3c S. 357 und E. 3d S. 358; Urteil 4A_654/2011 vom 23. Mai 2012 E. 3.4; vgl. auch BGE 118 II 193 E. 5c/aa S. 196; vgl. bere­its die Botschaft vom 10. Novem­ber 1982 zum Bun­des­ge­setz über das inter­na­tionale Pri­va­trecht, BBl 1983 I 460). Abge­se­hen davon kann das Schieds­gericht im Erken­nt­nisver­fahren ohne­hin nicht mit Sicher­heit vorherse­hen, in welchem Staat eine Partei dere­inst die Voll­streck­ung des Schied­sentschei­ds ver­lan­gen wird (vgl. BERNHARD BERGER/FRANZ KELLERHALS, Inter­na­tion­al and Domes­tic Arbi­tra­tion in Switzer­land, 2. Aufl. 2010, Rz. 179, 256; BBl 1983 I 460).

Das Bun­des­gericht prüfte in einem näch­sten Schritt die Frage, ob die Schiedsvere­in­barung nach Art. 178 Abs. 2 IPRG gültig zus­tande gekom­men wor­den war. Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass die Schiedsvere­in­barung nach bul­gar­ischem Recht als das sowohl auf die Schiedsvere­in­barung als auch auf den Arbeitsver­trag anwend­bare Recht ungültig war (E. 3.4.1):

Die Gültigkeit ein­er Schiedsvere­in­barung beurteilt sich gemäss Art. 178 Abs. 2 IPRG in inhaltlich­er Hin­sicht nach dem von den Parteien gewählten, dem auf die Stre­it­sache, ins­beson­dere dem auf den Hauptver­trag anwend­baren oder dem schweiz­erischen Recht. Soweit der Ver­weis auf die Bes­tim­mungen des bul­gar­ischen Rechts in Zif­fer 16 des Arbeitsver­trags als Rechtswahl hin­sichtlich des Zus­tandekom­mens der Schied­sklausel ver­standen wird und auf den Arbeitsver­trag bul­gar­isches Recht anwend­bar ist, wie dies in der Beschw­erdeant­wort vorge­bracht wird, ist angesichts der zwin­gen­den Bes­tim­mungen über den Abschluss von Schiedsvere­in­barun­gen mit der Beschw­erdegeg­ner­in von der Ungültigkeit der Schied­sklausel auszugehen.

Das Bun­des­gericht unter­suchte daraufhin, ob die Schiedsvere­in­barung nach Schweiz­er Recht gültig zus­tande gekom­men war. Das Bun­des­gericht verneinte diese Frage. Es befand, dass sich nach Mass­gabe des Ver­trauen­sprinzips kein hin­re­ichend klar­er Partei­wille ent­nehmen liess, wonach Stre­it­sachen aus dem Ver­trag von der staatlichen Gerichts­barkeit auszunehmen und ein­er Entschei­dung durch ein Schieds­gericht zu unter­stellen seien (E. 3.4.3):

Zif­fer 16 des Arbeitsver­trags hält ein­er­seits fest, dass die Parteien im Falle des Scheit­erns ein­er gütlichen Eini­gung allfäl­lige Stre­it­igkeit­en dem zuständi­gen Gericht unter­bre­it­en (“the dis­pute shall be referred for resolv­ing by the com­pe­tent court”). Ein Auss­chluss der staatlichen Gerichts­barkeit lässt sich daraus nicht ent­nehmen; im Gegen­teil spricht die all­ge­meine For­mulierung für die Beibehal­tung der staatlichen Gerichts­barkeit. Die Parteien anerken­nen zwar in der gle­ichen Ver­tragsklausel die Zuständigkeit des TAS (“The par­ties to the con­tract rec­og­nize the Court of Arbi­tra­tion for Sport …”), ver­weisen jedoch gle­ichzeit­ig auf die Bes­tim­mungen des bul­gar­ischen Rechts (“… as in this case … the pro­vi­sions of Bul­gar­i­an leg­is­la­tion will apply”), das ein
Schiedsver­fahren nicht zulässt, son­dern zwin­gend von der staatlichen Gerichts­barkeit aus­ge­ht. Es erscheint daher zumin­d­est als fraglich, ob sich der ver­traglichen Abmachung nach dem Ver­trauen­sprinzip ein hin­re­ichend klar­er Wille ent­nehmen lässt, Stre­it­sachen aus dem Ver­trag von der staatlichen Gerichts­barkeit auszunehmen und ein­er Entschei­dung durch ein Schieds­gericht zu unter­stellen (vgl. auch Urteil 4A_244/2012 vom 17. Jan­u­ar 2013 E. 4.4). Dass die Ver­tragsklausel von Zif­fer 16 nach Treu und Glauben auf den mut­masslichen Willen der Parteien schliessen liesse, dem Kläger wahlweise den Rechtsweg an das TAS oder die staatlichen Gerichte in Bul­gar­ien zu eröff­nen, macht der Beschw­erde­führer zu Recht nicht gel­tend. Der Util­itäts­gedanke, nach dem möglichst ein Ver­tragsver­ständ­nis zu suchen ist, das die Schiedsvere­in­barung beste­hen lässt, greift im Übri­gen erst, wenn als Ausle­gungsergeb­nis fest­ste­ht, dass die Parteien die Stre­it­sache von der staatlichen Gerichts­barkeit aus­nehmen woll­ten (BGE 138 III 29 E. 2.2.3 S. 36; 130 III 66 E. 3.2 S. 71 f.; je mit Hinweisen).
Der Beschw­erde­führer hat bei den staatlichen Gericht­en in Bul­gar­ien zwei Kla­gen gegen die Beschw­erdegeg­ner­in ein­gere­icht, mit denen er Ansprüche aus dem Arbeitsver­trag vom 11. Jan­u­ar 2008 gel­tend macht; er hat mit seinem Vorge­hen zu erken­nen gegeben, dass er selb­st von der Beibehal­tung der staatlichen Gerichts­barkeit aus­ge­gan­gen war. Darauf, dass die Ver­tragspart­ner­in eine Vere­in­barung nach Treu und Glauben in einem gewis­sen Sinne hätte ver­ste­hen müssen, darf sich die Gegen­partei jedoch nur berufen, soweit sie selb­st die Bes­tim­mung tat­säch­lich so ver­standen hat (vgl. BGE 105 II 16 E. 3a S. 19; Urteile 4A_538/2011 vom 9. März 2012 E. 2.2; 4A_219/2010 vom 28. Sep­tem­ber 2010 E. 1, nicht publ. in: BGE 136 III 528; KRAMER, in: Bern­er Kom­men­tar, 1986, N. 122 ff. und N. 146 zu Art. 1 OR). Der Beschw­erde­führer kann sich daher nach Treu und Glauben nicht auf ein Ausle­gungsergeb­nis berufen, das gar nicht seinem dama­li­gen Ver­tragsver­ständ­nis entspricht.
Eine Ausle­gung von Zif­fer 16 des Arbeitsver­trags nach dem Ver­trauen­sprinzip kann somit nicht zum Auss­chluss der staatlichen Gerichts­barkeit zugun­sten eines Schieds­gerichts und damit zur Wirk­samkeit der Schied­sklausel führen. Entsprechend hat das TAS seine Zuständigkeit im Ergeb­nis zu Recht verneint.