5A_835/2012: Paulianische Anfechtung; Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht

Im vor­liegen­den Fall hat­te der spätere Kläger aus einem gewan­del­ten Grund­stück­kauf einen Rück­er­stat­tungsanspruch für den bezahlten Kauf­preis, kon­nte diesen jedoch in der fol­gen­den Betrei­bung nicht erhältlich machen und erhielt einen Ver­lustschein. Er focht daher ein späteres Grund­stück­geschäft durch den früheren Verkäufer und Schuld­ner des Rück­forderungsanspruchs mit ein­er Pau­liana nach SchKG 288 an (Absicht­san­fech­tung). Im ange­focht­e­nen Geschäft hat­te der Schuld­ner seinem Sohn mehrere Grund­stücke zu einem gerin­gen Preis verkauft, wobei der Kauf­preis dadurch beglichen wurde, dass der Sohn für ver­schiedene Reisen seines Vaters aufkam.

Die Absichtspau­liana ste­ht unter der Voraus­set­zung, dass (im Nor­mal­fall) der Anfech­tungskläger beweist, dass die ange­focht­ene Hand­lung die Gläu­bigerge­samtheit schädigt (Gläu­biger­schädi­gung) und dass diese Hand­lung mit entsprechen­der Absicht erfol­gte (Schädi­gungsab­sicht), und dass dies für den begün­stigten Drit­ten erkennbar war (Erkennbarkeit).

Vor BGer nicht mehr strit­tig war hier, dass eine Gläu­biger­schädi­gung vor­lag. Zwar war darauf verzichtet wor­den, den genauen Wert der über­tra­ge­nen Grund­stücke festzustellen: Da sich die Gegen­leis­tung in der teil­weisen Finanzierung von Reisen erschöpft hat­te, war die Gegen­leis­tung offen­bar ohne Rück­sicht auf den Wert der Grund­stücke erfol­gt, so dass den Gläu­bigern Haf­tungssub­strat ent­ging. Auch die Schädi­gungsab­sicht des Beklagten stand fest, weil sich dessen finanzielle Ver­hält­nisse in der rel­e­van­ten Zeit ver­schlechterten und weil die Parteien auf die Über­weisung des Gegen­wertes der Grund­stücke Zug um Zug verzichtet hat­ten; eine gle­ich­w­er­tige Gegen­leis­tung sei daher gar nie beab­sichtigt gewe­sen. Strit­tig war jedoch die Frage, ob die Schädi­gungsab­sicht erkennbar war.

Zur Erkennbarkeit fasst das BGer zunächst seine Recht­sprechung zusammen: 

Als erkennbar im Sinne von Art. 288 SchKG hat all das zu gel­ten, was bei Anwen­dung der durch die konkreten Ver­hält­nisse gebote­nen Aufmerk­samkeit ohne Fahrläs­sigkeit erkan­nt wer­den kon­nte (vgl. BGE 30 II 160 E. 5 S. 164; 21 I 279 E. 6 S. 286 f.). Es genügt, wenn der Dritte bei der ihm nach den Umstän­den zumut­baren Aufmerk­samkeit die Gläu­biger­schädi­gung als natür­liche Folge der ange­focht­e­nen Hand­lung hätte vorherse­hen kön­nen und müssen (“a pu et dû prévoir”; BGE 99 III 89 E. 4b S. 91 f.; 83 III 82 E. 3b S. 86). Eine unbeschränk­te Erkundi­gungspflicht wird damit nicht aufgestellt. Vielmehr kann Sorgfalt nur ver­langt wer­den, wenn und soweit dazu Anlass beste­ht. Im All­ge­meinen braucht sich nie­mand darum zu küm­mern, ob durch ein Rechts­geschäft die Gläu­biger seines Kon­tra­hen­ten geschädigt wer­den oder nicht. Nur wenn “deut­liche Anze­ichen” (Urteil 5C.3/2007 vom 9. August 2007 E. 3.4) dafür sprechen, dass eine Schädi­gung beab­sichtigt ist, darf vom Begün­stigten eine sorgfältige Prü­fung ver­langt wer­den, ob jene Absicht wirk­lich beste­he (BGE 37 II 303 E. 6 S. 310; 30 II 160 E. 5 S. 165), und entste­ht für ihn die Obliegen­heit, den Schuld­ner zu befra­gen und die notwendi­gen Erkundi­gun­gen einzuziehen. In Würdi­gung sämtlich­er Umstände des konkreten Einzelfalls ist zu beurteilen, ob der Dritte die Schädi­gungsab­sicht des Schuld­ners im Zeit­punkt der Vor­nahme der anfecht­baren Hand­lung wirk­lich erkan­nt hat (Tat­frage) oder bei pflicht­gemäss­er Aufmerk­samkeit hätte erken­nen kön­nen und müssen (Rechts­frage; vgl. zur Abgren­zung: BGE 21 I 279 E. 6 S. 286 f. und die sei­therige Recht­sprechung, z.B. BGE 33 II 665 E. 4 S. 668; gesamthaft zum Ganzen zulet­zt BGE 135 III 276 E. 8.1 S. 286; 134 III 452 E. 4.2 S. 456). 

Das OGer hat­te fest­gestellt, dass der Sohn und Käufer von den finanziellen Ver­hält­nis­sen seines Vaters Ken­nt­nis hat­te. Er sei mit den Ver­hält­nis­sen auf der Lenz­er­hei­de jedoch nicht ver­traut gewe­sen und kan­nte die dor­ti­gen Mark­t­preise nicht. Auch habe der Sohn keine Ken­nt­nis davon gehabt, dass sein Vater mit dem Kaufver­trag das Ziel ver­fol­gt habe, Ver­mö­genswerte dem Zugriff der Gläu­biger zu entziehen. Daher fehle die Erkennbarkeit.

Das BGer wider­spricht dem aus ver­schiede­nen Gründen: 

Das BGer hat­te schon früher fest­ge­hal­ten, dass die Unent­geltlichkeit der fraglichen Ver­fü­gung ein Ver­dachtsmo­ment begrün­den kann. 

Das muss sin­ngemäss auch dann gel­ten, wenn die aus­ge­tauscht­en Leis­tun­gen zueinan­der in einem der­art krassen Missver­hält­nis ste­hen, dass das abgeschlossene Geschäft prak­tisch als Schenkung erscheint. 

Das sei hier der Fall gewesen:

Entschei­dend ist nun aber, dass der Boden­preis für Bauland in einem bekan­nten Ferienort nach der all­ge­meinen Lebenser­fahrung bes­timmt nicht so tief sein kann, dass er im Ergeb­nis weniger als Fr. 1.– pro Quadrat­meter beträgt. Das gilt sog­ar dann, wenn auf den besagten Grund­stück­en nicht mehr gebaut wer­den darf, weil die Aus­nutzungsz­if­fer für andere Bau­vorhaben kon­sum­iert wurde, wie dies vor­liegend der Fall zu sein scheint. Denn das Grund­stück kann dann immer noch für Nach­barn von Inter­esse sein, die sich mehr Umschwung garantieren wollen und dafür wohl nicht den vollen Preis für Bauland, aber doch einen angemesse­nen Preis zu entricht­en bere­it sind.

[…]
Im Grund­satz stellt es eine Bin­sen­wahrheit dar, dass Bauland in einem bekan­nten Ferienort so bil­lig ein­fach nicht sein kann. Das besagt die Lebenser­fahrung.

Hier galt dies ums mehr, weil sich der Sohn vor Ort auskan­nte, “weil dort seine Heimat ist und er dort seine Wurzeln behält”, er muss sich daher “eine nähere Ver­trautheit mit den örtlichen Gegeben­heit­en vorhal­ten lassen”:

Wohl kann nicht ver­langt wer­den, dass jed­er­mann den unge­fähren Boden­preis an seinem Geburts- und Jugen­dort kenne. Es ver­ste­ht sich aber von selb­st, dass man ein­er solchen Per­son ohne Weit­eres und in erhöhtem Masse zutrauen kann und muss, einen der­art tiefen Preis, wie er vor­liegend vere­in­bart wurde, nicht im Ernst als den tat­säch­lichen Wert der Kauf­sache wider­spiegel­nd hinzunehmen. Vielmehr muss eine solche Preis­ab­machung den Käufer aufhorchen lassen und zu weit­erge­hen­den Abklärun­gen ver­an­lassen. Das Gesagte gilt für jed­er­mann. Hat die betr­e­f­fende, mit den örtlichen Ver­hält­nis­sen bewan­derte Per­son darüber hin­aus aber eine höhere Aus­bil­dung genossen, die ihre ana­lytis­chen und kri­tis­chen Fähigkeit­en zu steigern geeignet ist, gilt die Aus­sage umso mehr. Und eine nochmals höhere Stufe der Aufmerk­samkeit muss von dem­jeni­gen erwartet wer­den, der über eine akademis­che Aus­bil­dung in ökonomis­ch­er Rich­tung ver­fügt, wie dies auf den Beschw­erdegeg­n­er zutrifft.

Dazu kam vor­liegend der Umstand, dass der Sohn den Kauf­preis nicht sofort durch eine Geldzahlung beglichen, son­dern bis ins Jahr 2009 durch die Über­nahme von Ferien­spe­sen seines Vaters getil­gt hat.

Indem der Beschw­erdegeg­n­er seine Ver­tragspflicht auf die erwäh­nte Art erfüllte, ist er für Leis­tun­gen aufgekom­men, die sein Vater unwieder­bringlich ver­braucht hat, mit der Folge, dass der als Kauf­preis vere­in­barte Geld­be­trag gar nie in das Ver­mö­gen des Vaters gelangte und damit auch der Zwangsvoll­streck­ung ent­zo­gen blieb. Nun entspricht es aber ein­er Erfahrungstat­sache, dass wirtschaftliche Zusam­men­hänge dieser Art ein­er Per­son, die — wie der Beschw­erdegeg­n­er — über eine akademis­che Aus­bil­dung in ökonomis­ch­er Rich­tung ver­fügt und sog­ar pro­moviert hat, schlech­ter­d­ings nicht ver­bor­gen bleiben konnten. 

Dazu kam noch, dass der Vater die ehe­liche Liegen­schaft kurz zuvor auf seine Ehe­frau über­schrieben hat­te, was der Sohn wusste. 

Aus all diesen Grün­den durfte der Sohn auf­grund der all­ge­meinen Lebenser­fahrung und von all­ge­mein bekan­nten Tat­sachen das Grund­stück­kaufgeschäft mit seinem Vater nicht vor­be­halt­los abschliessen. 

Vielmehr hat­te er mehr als genug Anlass zu weit­eren Abklärun­gen, die ihm rasch und ohne Mühe Klarheit ver­schafft hät­ten: Es hätte genügt, dass er sich einige wenige Auskün­fte über die örtlichen Boden­preise von Immo­bilien­agen­turen hätte geben lassen und dass er anschliessend seinen Vater zur Rede gestellt hätte.
Weil der Sohn solche Abklärun­gen unter­lassen hat­te, musste er sich im Ergeb­nis man­gel­nde Sorgfalt und Aufmerk­samkeit vor­w­er­fen lassen.