Das Bundesgericht hat sich in einem für die amtliche Sammlung vorgesehen Urteil mit der Auslegung von Art. 292 Abs. 1 ZPO befasst. Nach dieser Vorschrift wird die einseitig eingereichte Scheidungsklage nach den Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt, wenn die Ehegatten bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch nicht seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben und mit der Scheidung einverstanden sind.
Im vorliegenden Fall hatte die Ehefrau beim BezGer Brugg eine Scheidungsklage gemäss Art. 290 ZPO eingereicht. Der Ehemann beantragte, die Klage sei wegen fehlender Einhaltung der Frist nach Art. 114 ZGB abzuweisen, und erklärte, dass er seinerseits eine Scheidungsklageg beim RegGer Bern-Mittelland eingereicht habe. Das BezGer Brugg stellte in einem Zwischenentscheid fest, dass die Prozessvoraussetzungen für ein Ehescheidungsverfahren erfüllt seien, weil der Ehemann seinen Scheidungswillen durch die eigene Scheidungsklage zum Ausdruck gebracht habe, und das Verfahren gemäss Art. 292 Abs. 1 ZPO fortzuführen sei.
Das BGer stützt diese Auffassung und verweist darauf, dass Art. 292 Abs. 1 ZPO die Nachfolgenorm von aArt. 116 ZGB ist. Diese Bestimmung sah die sinngemässe Anwendbarkeit der Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren vor, wenn ein Ehegatte die Scheidung nach Getrenntleben oder wegen Unzumutbarkeit verlangte und der andere Ehegatte ausdrücklich zustimmte oder Widerklage erhob.
In Übereinstimmung mit der Lehre ging das BGer davon aus, dass die Zustimmung aufgrund des Wortlautes von aArt. 116 ZGB ausdrücklich und im betreffenden Verfahren gegenüber dem Gericht, vor dem die Scheidungsklage hängig war, erfolgen musste. Verweigerte der beklagte Ehegatte die Zustimmung formell, hatte er aber an einem anderen Gerichtsstand selbst auf Scheidung geklagt, konnte aArt. 116 ZGB keine direkte Anwendung finden. Das BGer war der Auffassung, dass der beklagte Ehegatte mit seinem andernorts vorgebrachten eigenen Scheidungsbegehren unmissverständlich zum Ausdruck bringe, dass auch er die Auflösung der Ehe anstrebe bzw. materiell die Scheidung wolle, weshalb aArt. 116 ZGB analog anzuwenden sei (Urteil 5A_523/2007 E. 5.2; BGE 137 III 421).
Diese Rechtsprechung überträgt das BGer in Übereinstimmung mit der Lehre auf Art. 292 Abs. 1 ZPO, wobei diese Vorschrift aufgrund der Änderungen im Wortlaut nunmehr direkt und nicht nur analog anzuwenden ist:
3. […] Anders als bei aArt. 116 ZGB ist nicht mehr von einer ausdrücklichen Zustimmung, sondern davon die Rede, dass der beklagte Ehegatte “mit der Scheidung einverstanden” sein muss. Dieses Einverständnis kann sich durchaus auch in einer eigenen Scheidungsklage manifestieren. Ausschlaggebend ist, dass kein Zweifel daran besteht — der Ehemann hat im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgebracht, dass er andernorts auf Scheidung geklagt hat -, dass beide Ehegatten die Scheidung wollen, mithin über den Scheidungspunkt als solchen materiell Einigkeit besteht […].
Nach dem BGer gilt seine Rechtsprechung, die hinsichtlich internationaler Sachverhalte erging, erst recht für Binnensachverhalte:
3. […] Während es im internationalen Verhältnis gute Gründe für die Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes geben kann bzw. die Ehegatten divergierende Interessen mit Bezug auf spezifische Gerichtsstände haben können (Vertrautheit mit den Verhältnissen; rechtliche Auswirkungen auf die Nebenfolgen der Scheidung; Belegenheit von güterrechtsrelevanten Vermögensgegenständen; Teilung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche; weite Anreise zum Gericht; sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Gericht und/oder dem lokalen Anwalt; etc.), treten diese Momente im Binnenverhältnis stark in den Hintergrund.