5A_338/2013: Fortführung der einseitigen Scheidungsklage als Scheidung auf gemeinsames Begehren nach andernorts vorgebrachtem eigenen Scheidungsbegehren (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hat sich in einem für die amtliche Samm­lung vorge­se­hen Urteil mit der Ausle­gung von Art. 292 Abs. 1 ZPO befasst. Nach dieser Vorschrift wird die ein­seit­ig ein­gere­ichte Schei­dungsklage nach den Bes­tim­mungen über die Schei­dung auf gemein­sames Begehren fort­ge­set­zt, wenn die Ehe­gat­ten bei Ein­tritt der Recht­shängigkeit noch nicht seit min­destens zwei Jahren getren­nt gelebt haben und mit der Schei­dung ein­ver­standen sind.

Im vor­liegen­den Fall hat­te die Ehe­frau beim BezGer Brugg eine Schei­dungsklage gemäss Art. 290 ZPO ein­gere­icht. Der Ehe­mann beantragte, die Klage sei wegen fehlen­der Ein­hal­tung der Frist nach Art. 114 ZGB abzuweisen, und erk­lärte, dass er sein­er­seits eine Schei­dungsklageg beim Reg­Ger Bern-Mit­tel­land ein­gere­icht habe. Das BezGer Brugg stellte in einem Zwis­ch­enentscheid fest, dass die Prozessvo­raus­set­zun­gen für ein Eheschei­dungsver­fahren erfüllt seien, weil der Ehe­mann seinen Schei­dungswillen durch die eigene Schei­dungsklage zum Aus­druck gebracht habe, und das Ver­fahren gemäss Art. 292 Abs. 1 ZPO fortzuführen sei.

Das BGer stützt diese Auf­fas­sung und ver­weist darauf, dass Art. 292 Abs. 1 ZPO die Nach­folgenorm von aArt. 116 ZGB ist. Diese Bes­tim­mung sah die sin­ngemässe Anwend­barkeit der Vorschriften über die Schei­dung auf gemein­sames Begehren vor, wenn ein Ehe­gat­te die Schei­dung nach Getren­ntleben oder wegen Unzu­mut­barkeit ver­langte und der andere Ehe­gat­te aus­drück­lich zus­timmte oder Widerk­lage erhob.

In Übere­in­stim­mung mit der Lehre ging das BGer davon aus, dass die Zus­tim­mung auf­grund des Wort­lautes von aArt. 116 ZGB aus­drück­lich und im betr­e­f­fend­en Ver­fahren gegenüber dem Gericht, vor dem die Schei­dungsklage hängig war, erfol­gen musste. Ver­weigerte der beklagte Ehe­gat­te die Zus­tim­mung formell, hat­te er aber an einem anderen Gerichts­stand selb­st auf Schei­dung geklagt, kon­nte aArt. 116 ZGB keine direk­te Anwen­dung find­en. Das BGer war der Auf­fas­sung, dass der beklagte Ehe­gat­te mit seinem ander­norts vorge­bracht­en eige­nen Schei­dungs­begehren unmissver­ständlich zum Aus­druck bringe, dass auch er die Auflö­sung der Ehe anstrebe bzw. materiell die Schei­dung wolle, weshalb aArt. 116 ZGB ana­log anzuwen­den sei (Urteil 5A_523/2007 E. 5.2; BGE 137 III 421).

Diese Recht­sprechung überträgt das BGer in Übere­in­stim­mung mit der Lehre auf Art. 292 Abs. 1 ZPO, wobei diese Vorschrift auf­grund der Änderun­gen im Wort­laut nun­mehr direkt und nicht nur ana­log anzuwen­den ist:

3. […] Anders als bei aArt. 116 ZGB ist nicht mehr von ein­er aus­drück­lichen Zus­tim­mung, son­dern davon die Rede, dass der beklagte Ehe­gat­te “mit der Schei­dung ein­ver­standen” sein muss. Dieses Ein­ver­ständ­nis kann sich dur­chaus auch in ein­er eige­nen Schei­dungsklage man­i­festieren. Auss­chlaggebend ist, dass kein Zweifel daran beste­ht — der Ehe­mann hat im erstin­stan­zlichen Ver­fahren selb­st vorge­bracht, dass er ander­norts auf Schei­dung geklagt hat -, dass bei­de Ehe­gat­ten die Schei­dung wollen, mithin über den Schei­dungspunkt als solchen materiell Einigkeit besteht […]. 

Nach dem BGer gilt seine Recht­sprechung, die hin­sichtlich inter­na­tionaler Sachver­halte erg­ing, erst recht für Bin­nen­sachver­halte:

3. […] Während es im inter­na­tionalen Ver­hält­nis gute Gründe für die Begrün­dung eines bes­timmten Gerichts­standes geben kann bzw. die Ehe­gat­ten divergierende Inter­essen mit Bezug auf spez­i­fis­che Gerichtsstände haben kön­nen (Ver­trautheit mit den Ver­hält­nis­sen; rechtliche Auswirkun­gen auf die Neben­fol­gen der Schei­dung; Bele­gen­heit von güter­recht­srel­e­van­ten Ver­mö­gens­ge­gen­stän­den; Teilung sozialver­sicherungsrechtlich­er Ansprüche; weite Anreise zum Gericht; sprach­liche Ver­ständi­gungss­chwierigkeit­en mit dem Gericht und/oder dem lokalen Anwalt; etc.), treten diese Momente im Bin­nen­ver­hält­nis stark in den Hin­ter­grund.