Die ZPO 183 III kodifiziert indirekt den bereits früher geltenden Grundsatz, dass das Gericht seiner Entscheidung “eigenes Fachwissen” zugrunde legen darf:
4.1. Das Gericht kann auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen bei einer oder mehreren sachverständigen Personen ein Gutachten einholen (Art. 183 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das gerichtliche Gutachten verschafft dem Gericht die Fachkenntnisse, die es benötigt, um bestimmte rechtserhebliche Tatsachen wahrnehmen und/oder beurteilen zu können […]. [Ausführungen zum gerichtlichen Umgang mit Gutachten].
Freilich kann das Gericht auch seinen eigenen Sachverstand nutzen und auf die Einholung eines Gutachtens verzichten, wenn es aufgrund seiner Besetzung selbst über die — den Anforderungen des konkreten Falles genügende — Sachkunde verfügt, um bestimmte Aspekte des Sachverhalts feststellen und/oder würdigen zu können. Dies hat das Bundesgericht schon vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung festgehalten […]. Den Grundsatz, dass sich der Beizug von Sachverständigen erübrigt, wenn ein mitwirkendes Gerichtsmitglied über das erforderliche Erfahrungswissen verfügt, hat der Gesetzgeber nun in Art. 183 Abs. 3 ZPO kodifiziert […].
Mit dem Ausdruck “Fachwissen” fordert das Gesetz besondere, über die allgemeine Lebenserfahrung hinausgehende Sachkenntnisse, wozu typische Branchenkenntnisse, nicht mehr allgemein verständliche wirtschaftliche und technische Erfahrungssätze, insbesondere wissenschaftliche Erfahrungssätze, gehören […].
Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt dabei folgende Anforderungen:
Will sich das Gericht auf solche eigene Kenntnisse stützen, muss es dies transparent deklarieren. Um das rechtliche Gehör der Parteien zu wahren, hat die Offenlegung frühzeitig zu erfolgen, nicht etwa erst im Rahmen der Urteilsberatung oder gar ‑eröffnung. Damit die Parteien die Möglichkeit erhalten, entsprechend zu reagieren, muss ihnen das richterliche Fachwissen umgehend offen gelegt werden, das heisst sobald es im Beweisverfahren eine Rolle zu spielen beginnt […]. Zu diesem Zweck muss das Fachwissen — bzw. das “Fachvotum” eines bestimmten Gerichtsmitglieds — mündlich oder schriftlich in den Prozess eingeführt und zu den Akten erhoben werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Parteien nicht schlechtergestellt sind, als wenn das Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt hätte […].
Dieses Erfordernis frühzeitiger Offenlegung hatte das OGer SO hier im Zusammenhang mit einer Liegenschaftenschätzung verletzt:
[…] Angesichts dessen musste dem Obergericht die Überzeugungskraft der gutachterlichen Verkehrswertschätzung als ernsthaft erschüttert erscheinen. Entsprechend hätte das Obergericht […] Grund gehabt, zur Klärung seiner Zweifel ergänzende Beweise zu erheben, umso mehr, als seine Vorbehalte gegenüber der Schätzung des Experten offensichtlich inhaltlicher Natur sind. Denn inhaltliche Mängel eines Gutachtens kann das Gericht nur ausnahmsweise selbst richtigstellen, nämlich dann, wenn es selbst über das notwendige Fachwissen verfügt (E. 4.1); bei Zweifeln an der Überzeugungskraft eines Sachverständigenbefunds ist die Einholung eines weiteren Gutachtens in der Regel unumgänglich […]. Wie auch die Beschwerdegegnerin feststellt, schreitet das Obergericht denn auch sogleich zur Tat und ermittelt den Verkehrswert nach einer eigenen Methode […] . Damit aber setzt es unweigerlich seinen eigenen Sachverstand an die Stelle desjenigen des Experten F., legt seiner Beweiswürdigung mit anderen Worten eigenes Fachwissen zugrunde. Dies für die Parteien erst im Rahmen der Eröffnung des begründeten Urteils erkennbar zu machen, lässt sich nach dem Gesagten nicht mit dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) vereinbaren und verstösst gegen die ausdrückliche Vorschrift von Art. 183 Abs. 3 ZPO […].