4A_460/2013: Verletzung des rechtlichen Gehörs bejaht, weil das Schiedsgericht eine rechtserhebliche Argumentation unberücksichtigt gelassen hat

Im Entscheid 4A_460/2013 vom 4. Feb­ru­ar 2014 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob das Schieds­gericht das Argu­ment der Beschw­erde­führerin, wonach ein gültiger Haf­tungsauss­chluss vere­in­bart wor­den war, in Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs unberück­sichtigt gelassen habe.

Die Beschw­erde­führerin warf dem Schieds­gericht eine Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs gemäss Artikel 190 Abs. 2 lit. d IPRG vor. Das Bun­des­gericht wieder­holte in seinem Entscheid zunächst die Grund­sätze der Gehörsver­let­zung. Danach umfasst der Anspruch auf rechtlich­es Gehör in einem kon­tradik­torischen Ver­fahren gemäss Art. 182 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG nicht auch
den Anspruch auf Begrün­dung eines inter­na­tionalen Schied­sentschei­ds. Den­noch ergibt sich daraus eine min­i­male
Pflicht
der Schied­srichter, die entschei­der­he­blichen Fra­gen zu prüfen und zu behan­deln. Diese Pflicht ver­let­zt das Schieds­gericht, wenn es aufgrund
eines Verse­hens oder eines Missver­ständ­niss­es recht­ser­he­bliche Behaup­tun­gen, Argu­mente, Beweise oder Beweisanträge einer
Partei unberück­sichtigt lässt
. Erge­ht ein Schied­sentscheid, ohne die für den Aus­gang des Stre­its offen­bar erhe­blichen Elemente
über­haupt anzus­prechen, obliegt es den Schied­srichtern oder der Gegen­partei, diese Unter­las­sung in ihrer jew­eili­gen Vernehm­las­sung zur Beschw­erde zu
recht­fer­ti­gen, indem sie entwed­er dar­legen, dass die berück­sichtigten Punkte
ent­ge­gen den Behaup­tun­gen des Beschwerdeführers
für die konkrete Fal­l­lö­sung nicht erhe­blich waren oder dass sie vom Schieds­gericht impliz­it entkräftet wor­den sind
.
Hinge­gen muss sich das Schieds­gericht nicht mit jedem einzelnen
Vor­brin­gen der Parteien auseinan­der­set­zen
, weshalb ihm nicht als  Gehörsver­let­zung vorge­wor­fen wer­den kann, es habe einen für den Entscheid unwesentlichen Punkt wed­er aus­drück­lich noch
sin­ngemäss ver­wor­fen.

Das Bun­des­gericht hat nicht zu prüfen, ob der Schiedsspruch bei Berück­sich­ti­gung des rechtserheblichen
Vor­brin­gens tat­säch­lich anders aus­ge­fall­en wäre
. Auf­grund der formellen Natur
des Gehör­sanspruchs führt eine Ver­let­zung dieses Grund­satzes vielmehr
ungeachtet der materiellen Begrün­de­theit des Vor­brin­gens zur Aufhe­bung des
ange­focht­e­nen Entscheids.

Die Beschw­erde­führerin machte gel­tend, dass sie sich von Beginn an auf den ver­traglichen Haf­tungsauss­chluss berufen habe. Nach­dem das Schieds­gericht mit Teilschiedsspruch  entsch­ieden hat­te, dass der Beschw­erde­führerin kein grob­fahrläs­siges Handeln
vorzuw­er­fen ist, habe sie dargelegt, dass der Haf­tungsauss­chluss gültig sei. 

Trotz dieser Vor­brin­gen habe sich das Schieds­gericht im
ange­focht­e­nen End­schiedsspruch in kein­er Weise und an kein­er Stelle mit dem ver­traglichen Haftungsausschluss
auseinan­derge­set­zt und habe sie ohne Berück­sich­ti­gung dieses gegen eine Ver­tragshaf­tung ins Feld geführte
Haup­tar­gu­ment zum Ersatz der Aufwen­dun­gen verurteilt. Das Bun­des­gericht folge der Argu­men­ta­tion der Beschw­erde­führerin (E.3.2.2):

Die Rüge der Gehörsver­let­zung ist begrün­det. Die
Beschw­erde­führerin zeigt zutr­e­f­fend auf, dass sie ihren Stand­punkt einer
voll­ständi­gen Wegbe­din­gung der Haf­tung für Schä­den der
fraglichen Art in Zif­fer 22.1 des Ver­trags vom 10. März 2006 im Laufe des
Schiedsver­fahrens mehrfach vor­ge­tra­gen und sich auch in ihrer Eingabe vom 8. Okto­ber 2012 nach
ergan­genem Teilschiedsspruch vom 19. März 2012 auf dieses Argu­ment berufen
hat. Der vorge­brachte Haf­tungsauss­chluss ist offensichtlich
entschei­d­wesentlich, war er doch ein mass­ge­blich­er Grund für die
Schied­srichter, das Ver­fahren zweizuteilen und im Hin­blick auf seine
Zuläs­sigkeit nach Art. 100 f. OR die Frage der Grob­fahrläs­sigkeit vorab
zu klären. Nach­dem das Schieds­gericht mit Teilschiedsspruch vom 19. März 2012
ein grob­fahrläs­siges Ver­hal­ten der Beschwerdeführerin
als nicht erwiesen erachtet und dies zu ihren Gun­sten entsprechend
fest­gestellt hat­te, blieb die Wegbe­din­gung der Haftung
im Zusam­men­hang mit dem wegen ver­späteter Nachbesserung erlit­te­nen Schaden (Ersatz der Aufwen­dun­gen für den Bezug von zusät­zlichem Wasserdampf
bei Drit­ten) dem­nach weit­er bedeut­sam. Obwohl die Frage des Haf­tungsauss­chlusses nach Zif­fer 22.1 des Ver­trags vom 10. März
2006 für die Beurteilung der eingeklagten
Ersatzansprüche offen­sichtlich recht­ser­he­blich war, erwäh­nt ihn das Schieds­gericht im ange­focht­e­nen Endschiedsspruch
lediglich bei der Zusam­men­fas­sung der von den Parteien vertretenen
Stand­punk­te, verzichtet in seinen rechtlichen Erwä­gun­gen jedoch gän­zlich auf eine Auseinan­der­set­zung mit diesem Argu­ment der  Beschw­erde­führerin

Aus den Erwä­gun­gen im
ange­focht­e­nen Entscheid ergeben sich keine
konkreten Hin­weise
darauf, dass der Ein­wand des vertraglichen
Haf­tungsauss­chlusses vom Schieds­gerichtt impliz­it entkräftet wor­den wäre
.
Wed­er die Schied­srichter, die auf eine Vernehmlassung
verzichtet haben, noch die Beschw­erdegeg­ner­in ver­mö­gen Gegenteiliges
aufzuzeigen. Die Beschw­erdegeg­ner­in ver­sucht die Unter­las­sung zudem zu Recht
nicht etwa mit der fehlen­den Erhe­blichkeit des fraglichen Ein­wands für die
konkrete Fal­l­lö­sung zu recht­fer­ti­gen; soweit sie sin­ngemäss vor­bringt, es
han­dle sich bei den zuge­sproch­enen Aufwen­dun­gen für
die Dampf­beschaf­fung bei Drit­ten um unmit­tel­baren Schaden, der
vom Haf­tungsauss­chluss nach Zif­fer 22.1 nicht erfasst und daher vertraglich
nicht aus­geschlossen wor­den sei, stellt sie sich vielmehr auf den Standpunkt,
der Ein­wand sei inhaltlich unbe­grün­det und hätte vom Schieds­gericht bei materieller Prü­fung ver­wor­fen wer­den müssen. Damit ver­mag sie den
Vor­wurf, das Schieds­gericht habe seine min­i­male Pflicht zur Prü­fung des Ein­wands des vertraglichen
Haf­tungsauss­chlusses mis­sachtet, nicht zu entkräften
, son­dern bestre­it­et die
materielle Begrün­de­theit dieses rechtlichen Vor­brin­gens und verken­nt damit
die formelle Natur des Gehör­sanspruchs. Die Verurteilung der Beschw­erde­führerin zur Zahlung von EUR
552’597.–, zuzüglich Zins, als Ersatz der ent­stande­nen Aufwen­dun­gen für die
Beschaf­fung von zusät­zlichem Wasser­dampf bei Drit­ten (Dis­pos­i­tiv-Zif­fer
V.A.1.b des End­schiedsspruchs) erfol­gte dem­nach unter Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs (Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG).