4A_522/2013: Abstrakte Erfüllungsortsvereinbarung ohne zuständigkeitsbegründende Wirkung (amtl. Publ.)

In ein­er han­del­srechtlichen Auseinan­der­set­zung zwis­chen ein­er GmbH und ein­er AG war die Zuständigkeit umstrit­ten. Die Beschw­erde­führerin schuldete der Beschw­erdegeg­ner­in Regale, die in Deutsch­land pro­duziert und nach Öster­re­ich geliefert und dort mon­tiert wur­den. Aus der Schweiz erfol­gte einzig die Rech­nungsstel­lung (Urteil 4A_522/2013 vom 12. Mai 2014, E. 2.3).

Unbe­strit­ten war zwis­chen den Parteien, dass keine gültige Gerichts­standsvere­in­barung i.S.v. Art. 23 LugÜ vor­lag (E. 2.1). Das Bun­des­gericht hat­te aber zu prüfen, ob sich aus den all­ge­meinen Ver­trags­be­din­gun­gen eine gerichts­stand­srel­e­vante Erfül­lung­sortsvere­in­barung ableit­en liess. Diese Frage verneinte das Bundesgericht:

2.2.2. […] Erfül­lung­sortsvere­in­barun­gen sind freilich nur dann gerichts­stand­srel­e­vant, wenn sie einen Bezug zur Ver­tragswirk­lichkeit haben, d.h. die Leis­tung auch tat­säch­lich an dem vere­in­barten Ort stat­tfind­et. Rein prozes­su­al aus­gerichtete, abstrak­te Erfül­lung­sortsvere­in­barun­gen haben keine zuständigkeits­be­grün­dende Wirkung. […] Bei solchen Vere­in­barun­gen han­delt es sich um verkappte Gerichts­standsvere­in­barun­gen, die den Anforderun­gen (ins­beson­dere For­mvorschriften) nach Art. 23 LugÜ unterstehen […]. 

2.2.3. In der Lehre wird sodann mit überzeu­gen­der Begrün­dung vertreten, dass im Rah­men von Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ nur ein gewählter Leis­tung­sort der charak­ter­is­tis­chen Verpflich­tung zuständigkeits­be­grün­dende Wirkung ent­fal­ten kann […]. Denn im Gegen­satz zum vere­in­barten Gerichts­stand nach Art. 23 LugÜ gehört der Gerichts­stand des Erfül­lung­sorts zu den objek­tiv­en Gerichtsstän­den. Diese fol­gen ein­er eige­nen ratio, näm­lich der Her­stel­lung von Sach- und Beweis­nähe des Ver­fahrens am (tat­säch­lichen) Erbringung­sort der charak­ter­is­tis­chen Leis­tung […]. Damit verträgt sich nicht, wenn der Gerichts­stand für die nicht-charak­ter­is­tis­che Leis­tung (also in aller Regel der Geldzahlung) vom tat­säch­lichen Erbringung­sort der charak­ter­is­tis­chen Leis­tung abges­pal­ten wer­den kön­nte, indem ein abwe­ichen­der Zahlung­sort vere­in­bart wird. Denn son­st würde die durch Art. 5 Ziff. 1 LugÜ angestrebte Wahrung der Sach- und Beweis­nähe ger­ade aufgegeben […]. Erfül­lung­sortsvere­in­barun­gen sind daher nur dann gerichts­stand­srel­e­vant i.S. von Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ, wenn durch sie der Leis­tung­sort für alle ver­traglichen Pflicht­en ein­heitlich bes­timmt wird […].

2.3. Aus den Fest­stel­lun­gen im ange­focht­e­nen Entscheid ergibt sich, dass die Beschw­erde­führerin die der Beschw­erdegeg­ner­in geschulde­ten Regale nach eige­nen Angaben in Deutsch­land pro­duziert hat­te. Zwis­chen den Parteien ist sodann unbe­strit­ten, dass die Regale in der Folge nach Öster­re­ich geliefert und dort mon­tiert wur­den. Nach Angaben der Beschw­erde­führerin sei einzig die Rech­nungsstel­lung aus der Schweiz erfol­gt.
Daraus fol­gt, dass der tat­säch­liche Erfül­lung­sort der charak­ter­is­tis­chen Ver­tragsleis­tung, also die Her­stel­lung und Mon­tage der Regale, jeden­falls nicht in der Schweiz liegt. Wenn daher § 15.4 der AGB bes­timmt, dass der “Erfül­lung­sort für den Leis­tungs­ge­gen­stand und für alle Zahlun­gen, andere Gel­dansprüche und emp­fan­genen Wech­sel” am jew­eili­gen Geschäftssitz der Beschw­erde­führerin, also “zurzeit W.” sei, so entspricht dies für die charak­ter­is­tis­che Ver­tragsleis­tung nicht dem tat­säch­lichen Erfül­lung­sort. In Bezug auf die charak­ter­is­tis­che Ver­tragsleis­tung han­delt es sich mithin um eine abstrak­te Erfül­lung­sortsvere­in­barung, die keine zuständigkeits­be­grün­dende Wirkung nach Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ ent­fal­tet (oben E. 2.2.2). In Bezug auf die Zahlungsansprüche ist die Erfül­lung­sortsvere­in­barung sodann zuständigkeit­srechtlich eben­falls unbeachtlich, da damit der Zahlungs­gerichts­stand von dem­jeni­gen der charak­ter­is­tis­chen Leis­tung in unzuläs­siger Weise abges­pal­ten würde (oben E. 2.2.3).