1B_19/2014/BGE 140 IV 181: Unterscheidung zwischen Echtzeit- und rückwirkender Überwachung bei Emails (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te sich im vor­liegen­den, bere­its als BGE 140 IV 181 veröf­fentlicht­en Urteil mit der Unter­schei­dung zwis­chen der Echtzeitüberwachung i.S.v. StPO 269 und der rück­wirk­enden Überwachung bei Emails zu beschäfti­gen. Diese Unter­schei­dung ist deshalb wesentlich, weil bei der Echtzeitüberwachung auch vom Kom­mu­nika­tionsinhalt Ken­nt­nis genom­men wer­den kann, während bei der rück­wirk­enden Überwachung lediglich Randdaten
erhoben wer­den, die im Wesentlichen darüber Auskun­ft geben,
wer wann mit wem Verbindung gehabt hat. Dieser Unter­schied entspricht dem Anwen­dungs­bere­ich des Fer­n­meldege­heimniss­es, das nur den Kom­mu­nika­tionsvor­gang schützt und vor dessen Beginn und nach dessen Abschluss nicht greift. 

Das Kri­teri­um zur Unter­schei­dung zwis­chen der Echtzeitüberwachung, bei der in den Kom­mu­nika­tion­vor­gang einge­grif­f­en wird, und der rück­wirk­enden Überwachung, bei der das nicht der Fall ist, ist die Daten­herrschaft. Mit Bezug auf Brief­post hält das BGer fest, dass eine Überwachung dann vor­liegt, wenn die Behör­den auf den abgeschick­ten Brief zugreifen, bevor er beim Empfänger angekom­men ist. Ist der Brief dage­gen beim Empfänger angekom­men und befind­et er sich in dessen Herrschafts­bere­ich, ist der Über­tra­gungsvor­gang abgeschlossen. Dies ist der Fall, wenn der Brief im Briefkas­ten des Empfängers liegt. Liegt er in einem Post­fach, hat die Post dage­gen weit­er­hin Zugriff­s­möglichkeit­en, so dass das Fer­n­meldege­heim­nis noch greift: 

Legt die Post den Brief in das Post­fach des Empfängers, befind­et er sich eben­falls in dessen Herrschafts­bere­ich. […] Im Unter­schied zum Briefkas­ten hat die Post ihre Herrschaft jedoch noch nicht aufgegeben. Sie kann auf das Post­fach weit­er­hin jed­erzeit zugreifen. Es beste­ht somit eine geteilte Daten­herrschaft […].  Da die Post nach wie vor Herrschafts­macht hat, muss der Empfänger — der das Post­fach nicht ständig kon­trol­lieren kann — weit­er­hin darauf ver­trauen kön­nen, dass sie ihre Stel­lung nicht miss­braucht und die Ver­traulichkeit der Dat­en wahrt. Der Empfänger ver­di­ent deshalb nach wie vor den Schutz des Fer­n­meldege­heimniss­es  […].

Die Zustel­lung eines Emails sei mit der Zustel­lung eines Briefes in das Post­fach ver­gle­ich­bar. Wird auf eine Email auf dem Serv­er des Providers zuge­grif­f­en, bevor der Empfänger seine Mails abgerufen hat , ist der
Datenüber­tra­gungsvor­gang nicht abgeschlossen. Dieser Zugriff stellt deshalb eine Echtzeitüberwachung dar
:

Das E‑Mail gelangt auf dem Serv­er des Fer­n­melde­di­en­stan­bi­eters (“Provider”) des Empfängers in dessen E‑Mail-Kon­to. Dies entspricht dem Ein­le­gen des Briefes in das Post­fach. Der Empfänger erhält erst dann Ken­nt­nis vom Ein­gang des E‑Mails, wenn er sein Kon­to abruft […]. Ab diesem Zeit­punkt bes­timmt allein der Empfänger, was mit dem E‑Mail geschieht. Er kann es sofort löschen. Er kann es auf seine lokale Daten­ver­ar­beitungsan­lage herun­ter­laden und auf dem Serv­er des Providers ent­fer­nen. Er kann das E‑Mail aber auch auf dem Serv­er des Providers belassen, wom­it er darauf weit­er­hin von über­all her Zugriff hat. Belässt der Empfänger das E‑Mail auf dem Serv­er des Providers, bewahrt er es dort auf. Damit kann es wie der im Post­fach belassene Brief beschlagnahmt wer­den. […].

Bevor der Empfänger sein E‑Mail-Kon­to abgerufen hat, dauert der Datenüber­tra­gungsvor­gang an. Auf die bis zu jen­em Zeit­punkt auf dem Serv­er des Providers gespe­icherten E‑Mails kann deshalb nur durch eine Überwachungs­mass­nahme gegrif­f­en wer­den. Dabei han­delt es sich um eine Echtzeit-Überwachung, da das E‑Mail auf dem Weg vom Absender zum Empfänger heim­lich abge­fan­gen wird […]. Dieses Abfan­gen zeich­net nach der Begriff­sum­schrei­bung von Zif­fer 3 Anhang VÜPF die Echtzeit-Überwachung aus. Damit darf vom Kom­mu­nika­tion­sin­halt Ken­nt­nis genom­men werden.