2C_106/2015: Die Beschränkung der Strassenprostitution im Zürcher Niederdorf auf den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 02.00 Uhr ist mit der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar

Im Urteil vom 26. Juni 2015 äusserte sich das BGer zu einem Beschluss des Zürcher Stad­trats, mit welchem die Strassen­pros­ti­tu­tion im Gebi­et Nieder­dorf auf den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 02.00 Uhr beschränkt wurde. Den Beschluss des Zürcher Stad­trats zogen u.a. drei Pros­ti­tu­ierte an das BGer, welch­es die Beschw­erde abweist.

Die Beschw­erde­führerin­nen brin­gen vor, dass die Beschränkung der Strassen­pros­ti­tu­tion im Gebi­et Nieder­dorf auf den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 02.00 Uhr mit den Grund­sätzen der Wirtschafts­frei­heit (Art. 27 und 94 BV) nicht zu vere­in­baren sei. Das BGer find­et die Kri­tik der Beschw­erde­führerin­nen ver­ständlich, macht zuerst aber einige generelle Aus­führun­gen zum Schutzbere­ich der Wirtschaftsfreiheit:

Die Wirtschafts­frei­heit (Art. 27 BV) schützt die Ausübung jed­er auf Erwerb gerichteten pri­vat­en Tätigkeit und damit auch die Ausübung der Pros­ti­tu­tion […]. Ein­schränkun­gen der Wirtschafts­frei­heit sind zuläs­sig, wenn sie auf ein­er geset­zlichen Grund­lage beruhen, im öffentlichen Inter­esse liegen, ver­hält­nis­mäs­sig sind und den Kernge­halt des Grun­drechts nicht ein­schränken (Art. 36 BV) sowie wenn sie nicht vom Grund­satz der Wirtschafts­frei­heit abwe­ichen (Art. 94 Abs. 4 BV). Das Vor­liegen eins öffentlichen Inter­ess­es und die Ver­hält­nis­mäs­sigkeit prüft das Bun­des­gericht bei der Beschränkung von Grun­drecht­en frei. Es aufer­legt sich aber Zurück­hal­tung, soweit die Beurteilung von ein­er Würdi­gung der örtlichen Ver­hält­nisse abhängt, welche die kan­tonalen Behör­den bess­er überblick­en […]. Nicht vere­in­bar mit der Wirtschafts­frei­heit wäre eine Regelung, welche die Ausübung der Pros­ti­tu­tion generell ver­bi­etet […] (E. 4.1.).

Auf die Rüge der Beschw­erde­führerin­nen hin, wonach die Beschränkung der Strassen­pros­ti­tu­tion auf lediglich vier Stun­den unver­hält­nis­mäs­sig sei und fak­tisch einem völ­li­gen Ver­bot gle­ichkomme, antwortet das BGer, dass es ohne weit­eres ein­leuchte, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit kaum sin­nvoll betrieben wer­den könne, wenn ihre Ausübung auf vier Stun­den pro Tag beschränkt werde. Zu beacht­en sei jedoch, dass es vor­liegend nicht um die Ausübung der Pros­ti­tu­tion über­haupt gehe, son­dern nur um die Pros­ti­tu­tion auf öffentlichem Grund:

Die bun­des­gerichtliche Recht­sprechung hat zwar anerkan­nt, dass sich auch auf die Wirtschafts­frei­heit berufen kann, wer gesteigerten Gemeinge­brauch von öffentlichem Grund für wirtschaftliche Tätigkeit­en in Anspruch nimmt, namentlich auch für die Ausübung der Pros­ti­tu­tion […]. Indessen beste­ht dieser Anspruch nicht in gle­ich­er Weise wie in pri­vat­en Räum­lichkeit­en, son­dern nur soweit die Zweckbes­tim­mung des öffentlichen Grun­des dies erlaubt […]. Das Bun­des­gericht spricht von einem “bed­ingten” Anspruch auf gesteigerten Gemeinge­brauch […]. Die Bedeu­tung von Art. 27 BV liegt in diesem Zusam­men­hang vor allem darin, die Gle­ich­be­hand­lung der Konkur­renten sicherzustellen bzw. bei der Regelung des gesteigerten Gemeinge­brauchs auf faire Wet­tbe­werb­sver­hält­nisse hinzuwirken […]. Hinge­gen ver­schaf­fen die Grun­drechte keinen Anspruch auf eine beliebige Benützung des öffentlichen Grun­des für pri­vate Aktiv­itäten […] (E. 4.5.). 

Das BGer kommt zum Schluss, dass es wesentlich sei, dass die Pros­ti­tu­tion nicht nur in Form der Strassen­pros­ti­tu­tion aus­geübt wer­den könne, son­dern auch in Salons. Die Anwer­bung von Kun­den sei nicht einzig auf öffentlichen Strassen möglich. Vielmehr gebe es dafür auch andere Möglichkeit­en (Inser­ate, Inter­net usw.). Vor diesem Hin­ter­grund sei das öffentliche Inter­esse (keine neg­a­tiv­en Begleit­er­schei­n­un­gen der Strassen­pros­ti­tu­tion für Anwohn­er, Pas­san­ten und Gewer­be­treibende) höher zu gewicht­en als das Inter­esse der Beschw­erde­führerin­nen, für ihre pri­vate wirtschaftliche Tätigkeit den öffentlichen Raum in Anspruch nehmen zu können.