4A_137/2015: Ärztliche Dokumentationspflicht und Beweislast bezüglich hypothetischer Einwilligung des Patienten (amtl. Publ.)

Im Ver­laufe des Geburtsvor­gangs nahm der beklagte Arzt bei der Klägerin einen Damm­schnitt vor und been­dete die Geburt mit­tels Saug­glocke. Es kam zu einem Damm­riss, der vom Beklagten unmit­tel­bar nach der Geburt genäht wurde. Die Klägerin warf dem Arzt nach­her vor, er habe durch unsorgfältige Vorge­hensweise während und nach der Geburt bei ihr einen Riss des Schliess­muskels im Anus und dadurch eine bleibende Stuh­linkon­ti­nenz verursacht.

Das Bezirks­gericht Zürich hiess die Klage teil­weise gut. Das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich bestätigte das erstin­stan­zliche Urteil, worauf der Beklagte Beschw­erde ans Bun­des­gericht erhob. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde gut, hob den kan­tonalen Entscheid auf und wies die Klage ab (Urteil 4A_137/2015 vom 19. August 2015).

Vor Bun­des­gericht war unter anderem umstrit­ten, ob der Arzt verpflichtet gewe­sen wäre, eine Rek­talun­ter­suchung nach der Geburt zu doku­men­tieren. Da keine Rek­talun­ter­suchung in den ärztlichen Akten doku­men­tiert war, ging das Oberg­ericht von ein­er Ver­let­zung der ärztlichen Doku­men­ta­tion­spflicht aus und nahm an, die Klägerin sei rek­tal nicht unter­sucht wor­den (E. 5).

Das Bun­des­gericht erwog im Wesentlichen, die ärztliche Doku­men­ta­tion­spflicht als auf­tragsrechtliche Nebenpflicht gehe nicht über die medi­zinisch begrün­dete Doku­men­ta­tion­spflicht hin­aus (E. 5.2). Mass­gebend war deshalb, ob die Doku­men­ta­tion der Rek­talun­ter­suchung im Jahr 1993 aus medi­zinis­chen Grün­den notwendig und üblich war. Dies war gemäss den Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz nicht der Fall, weshalb der Nach­weis ein­er Sorgfalt­spflichtver­let­zung wegen unter­lassen­er Rek­talun­ter­suchung nicht erbracht war (E. 5.3, 6.3, 6.3.1).

Weit­er hat­te das Bun­des­gericht zu klären, ob die Vorin­stanz zu Unrecht eine hypo­thetis­che Ein­willi­gung der Klägerin bejaht hat­te. Die Klägerin hat­te gel­tend gemacht, der Beklagte habe die ärztliche Aufk­lärungspflicht ver­let­zt (E. 8).

Dies­bezüglich hielt das Bun­des­gericht fest, es obliege dem Arzt zu beweisen, dass er die Pati­entin aus­re­ichend aufgek­lärt und diese in den Ein­griff eingewil­ligt habe. Liege keine solche Ein­willi­gung vor, müsse der Arzt nach­weisen, dass die Pati­entin hypo­thetisch in den Ein­griff eingewil­ligt hätte. Die Pati­entin tre­ffe jedoch eine Mitwirkung­sobliegen­heit. Sie müsse glaub­haft machen oder wenig­stens die per­sön­lichen Gründe anführen, warum sie sich der Oper­a­tion wider­set­zt hätte, ins­beson­dere wenn sie die Risiken gekan­nt hätte (E. 8.1).

Die Klägerin hat­te indessen keine spez­i­fis­chen per­sön­lichen Gründe für eine Ver­weigerung des Ein­griffs gel­tend gemacht (E. 8.3). Für das Bun­des­gericht war deshalb nicht zu bean­standen, dass die Vorin­stanz angesichts der unbe­strit­ten kom­p­lika­tion­slosen Schwanger­schaft und des langjähri­gen Arzt-Patien­ten­ver­hält­niss­es eine hypo­thetis­che Ein­willi­gung der Klägerin annahm (E. 8.4.1).