4A_430/2015: Kontokorrentvertrag; internationale Zuständigkeit (amtl. Publ.)

Dem Bun­des­gericht bot sich in diesem Urteil die Gele­gen­heit, sich zum Anwen­dungs­bere­ich von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ zu äussern.

Gegen­stand des Ver­fahrens war die Klage ein­er Gen­fer Banknieder­las­sung gegen ihren in Frankre­ich, nahe der Schweiz­er Gren­ze wohn­haften Kun­den, da dessen Kon­to eine Unter­deck­ung aufwies. Gestützt auf die von den Parteien anlässlich der Begrün­dung des Ver­tragsver­hält­niss­es abgeschlossene Gerichts­standsvere­in­barung leit­ete die Bank die Klage in Genf ein. Der Bankkunde erhob im Prozess unter anderem die Einrede der Unzuständigkeit, da die Gerichts­standsvere­in­barung ungültig sei. Er machte gel­tend, ein Kon­sument im Sinne von Art. 15 LugÜ zu sein, weshalb gemäss Art. 16 f. LugÜ die Klage an seinem Wohn­sitz in Frankre­ich hätte anhängig gemacht wer­den müssen.

Für das Bun­des­gericht stellte sich die Frage, ob die Voraus­set­zun­gen von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ erfüllt waren. Diese Bes­tim­mung set­zt all­ge­mein voraus, dass der stre­it­ge­gen­ständliche Ver­trag nicht der beru­flichen oder gewerblichen Tätigkeit ein­er Partei (dem Kon­sumenten) zugerech­net wer­den kann. Zusät­zlich muss die andere Ver­tragspartei entwed­er eine beru­fliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohn­sitzs­taat des Kon­sumenten ausüben (Art. 15 Abs. 1 lit. c 1. Halb­satz LugÜ) oder ihre Tätigkeit auf den Wohn­sitzs­taat des Kon­sumenten aus­richt­en (Art. 15 Abs. 1 lit. c 2. Halb­satz LugÜ).

Gemäss Bun­des­gericht set­zt diese Zusatzbe­din­gung voraus, dass der stre­it­ge­gen­ständliche Ver­trag mit dem Wohn­sitzs­taat des Kon­sumenten im Zusam­men­hang ste­ht. Ein schutzwürdi­ges Inter­esse beste­ht nur bei dem­jeni­gen Kon­sumenten, der in seinem Wohn­sitzs­taat bewor­bene Waren oder Dien­stleis­tun­gen eines aus­ländis­chen Anbi­eters in Anspruch nimmt. Ein Kon­sument, der sich aus eigen­er Ini­ti­ta­tive an einen aus­ländis­chen Anbi­eter wen­det, ohne hierzu durch ein Ange­bot oder Wer­bung in seinem Wohn­sitzs­taat ver­an­lasst wor­den zu sein, ist sich hinge­gen über den inter­na­tionalen Charak­ter des Ver­trages im Klaren. Zudem akzep­tiert ein solch­er Kon­sument das Risiko, einen Prozess im Aus­land führen zu müssen (E. 3.1).

Das Bun­des­gericht erachtete die Voraus­set­zun­gen von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ im vor­liegen­den Fall als nicht erfüllt. Ein­er­seits ver­wies es auf die verbindlichen Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz, wonach die Bank zwar in Frankre­ich über Tochterge­sellschaften und Nieder­las­sun­gen ver­fügt, diese jedoch in kein­er Art und Weise in das laufende Ver­tragsver­hält­nis mit dem beklagten Bankkun­den involviert waren. Vielmehr wur­den sämtliche Hand­lun­gen aus Genf her­aus vorgenom­men, weshalb — so das Bun­des­gericht — die Bank hin­sichtlich dieses Bankkun­den keine beru­fliche oder gewerbliche Tätigkeit in dessen Wohn­sitzs­taat ausübte (E. 3.2).

Ander­er­seits hielt das Bun­des­gericht fest, dass die Bank ihre Tätigkeit in Genf nicht auf Frankre­ich aus­gerichtet hat. Die Vorin­stanz hat­te dies­bezüglich verbindlich fest­gestellt, dass die Bank kein­er­lei Wer­bung betreibt, mit dem Ziel, Kon­sumenten ausser­halb der Schweiz dazu zu brin­gen, mit ein­er Schweiz­er Nieder­las­sung der Bank in Kon­takt zu treten. Aus der Tat­sache, dass Schweiz­er Banken im Aus­land einen sehr guten Rut geniessen, kann gemäss Bun­des­gericht nicht abgeleit­et wer­den, dass eine Schweiz­er Bank ihre Tätigkeit im Sinne des LugÜ auf das Aus­land aus­richtet. Vielmehr han­delt es sich dabei um ein charak­ter­is­tis­ches Merk­mal dieses Schweiz­er Wirtschaftssek­tors (E. 3.3).

Der eingeklagte Bankkunde — so das Bun­des­gericht abschliessend — entsch­ied aus eigen­em Antrieb, mit ein­er Nieder­las­sung in Genf in ein Ver­tragsver­hält­nis zu treten. Damit bleibt kein Raum für die Anwen­dung von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ (E. 3.4):

L’art. 15 par. 1 let. c CL ne vise pas spé­ci­fique­ment ce type de rela­tion de voisi­nage trans­frontal­ier, où le con­som­ma­teur n’a pas besoin d’une pro­tec­tion juridique par­ti­c­ulière parce qu’il traite couram­ment avec des four­nisseurs de l’E­tat lim­itro­phe et qu’il peut tout aus­si couram­ment assumer le risque d’un procès dans cet Etat.