4A_628/2015: Schiedsverfahren wird sistiert, wenn eine Partei die Pflicht verletzt, zuerst ein zwingend vorgesehenes Schlichtungsverfahren durchzuführen (amtl. Publ.)

Im Entscheid 4A_628/2015 vom 16. März 2016 befasste sich das Bun­des­gericht mit ein­er Klausel, gemäss der die Parteien vor Ein­leitung eines Schiedsver­fahrens ein Schlich­tungsver­fahren durch­führen müssen.

Die Beschw­erde­führerin und die Beschw­erdegeg­ner­in schlossen einen Ver­trag, der eine Klausel enthielt, wonach sämtliche Stre­it­igkeit­en zwis­chen den Parteien zunächst Gegen­stand eines Schlich­tungsver­suchs unter Anwen­dung der ADR (Alter­na­tive Dis­pute Res­o­lu­tion) Regeln der Inter­na­tionalen Han­del­skam­mer (ICC) bilden wür­den. Die durch die Schlich­tung nicht erledigten Stre­it­igkeit­en wür­den als let­ztes Mit­tel durch ein Schieds­gericht gemäss der UNCITRAL Schieds­gericht­sor­d­nung entsch­ieden wer­den. Im Orig­i­nal lautete die Klausel wie folgt:

Tout dif­férend sur­venant entre les Par­ties dans l’exé­cu­tion ou dans l’in­ter­pré­ta­tion du présent Con­trat qui ne peut être résolu par les Par­ties, fera dans un pre­mier temps, l’ob­jet d’une ten­ta­tive de con­cil­i­a­tion en appli­ca­tion du Règle­ment ADR (Alter­na­tive Dis­putes Res­o­lu­tion) de la Cham­bre de Com­merce Inter­na­tionale (CCI).
Tout dif­férend entre les Par­ties découlant de l’exé­cu­tion ou de l’in­ter­pré­ta­tion du présent Con­trat non résolu par voie de con­cil­i­a­tion sera tranché en dernier ressort par voie d’ar­bi­trage con­for­mé­ment au Règle­ment d’Ar­bi­trage de la CNUDCI (UNCITRAL) par trois (3) arbi­tres nom­més con­for­mé­ment à ce règlement.
Le droit applic­a­ble sera le droit.…..
Le lieu de l’ar­bi­trage sera Genève, Suisse.
La langue de l’ar­bi­trage sera le français. Cepen­dant, si néces­saire l’anglais pour­ra être utilisé.

Am 8. Sep­tem­ber 2014 reichte die
Beschw­erdegeg­ner­in bei der ICC ein Schlich­tungs­ge­such ein. Daraufhin wurde eine Schlichterin
ernan­nt. Eine erste Tele­fonkon­ferenz war für den 16. Dezem­ber 2014 geplant. Diese fand aber nicht statt, da die Parteien sich nicht auf bes­timmte Modal­itäten eini­gen kon­nten. Am 8. Jan­u­ar 2015 nahm die Schlich­terin erneut Kon­takt auf mit den Parteien, um den weit­eren Ver­lauf des Schlich­tungsver­fahrens zu disku­tieren. Am 16. Jan­u­ar 2015 stellte die Beschw­erdegeg­ner­in der Beschw­erde­führerin eine Schied­sanzeige zu. Am gle­ichen Tag schick­te sie der Schlich­terin ein Schreiben zu, mit dem sie das Scheit­ern der Schlich­tungsver­hand­lung fest­stellte. Die Beschw­erde­führerin erk­lärte in einem Schreiben an die Schlich­terin, dass kein Anlass beste­hen würde, das Schlich­tungsver­fahren für been­det zu erk­lären. Mit Schreiben vom 21. Jan­u­ar 2015 informierte die Schlich­terin die Parteien, dass sie das Schlich­tungsver­fahren nicht für been­det erk­lären könne, ohne dass die in Artikel 5 Abs. 1 der anwend­baren ADR-Regeln vorgesehene
Diskus­sion stattge­fun­den habe. Die Beschw­erdegeg­ner­in blieb demge­genüber bei ihrer Hal­tung, dass das Schlich­tungsver­fahren been­det sei. Daraufhin erk­lärte die Schlich­terin, dass sie das Ver­hal­ten der Beschw­erdegeg­ner­in als Rück­zug ihres Gesuchs um Schlich­tungsver­hand­lung ausle­gen würde.

Im Rah­men des Schiedsver­fahrens machte die Beschw­erde­führerin von Beginn
an die Einrede
der Unzuständigkeit des Schieds­gerichts gel­tend. Mit Entscheid vom 13.
Okto­ber 2015 erk­lärte sich das Schieds­gericht für zuständig. Die
Beschw­erde­führerin erhob daraufhin Beschw­erde vor Bun­des­gericht und beantragte die
Aufhe­bung des
Schiedsspruchs und die Fest­stel­lung der Unzuständigkeit ratione tem­po­ris des
Schiedsgerichts.

Das Bun­des­gericht erläuterte, dass es die Rüge der Ver­let­zung ein­er Stre­it­bei­le­gungsvere­in­barung, deren Ein­hal­tung eine zwin­gende Voraus­set­zung für das Schiedsver­fahren bildet, unter dem Blick­winkel von Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG behan­delt. Diese Anknüp­fung dik­tiere aber nicht notwendi­ger­weise die Sank­tion, mit der die Ein­leitung eines Schiedsver­fahrens ohne Ein­hal­tung der zwin­gen­den Stre­it­bei­le­gungsvere­in­barung belegt wird.

Das Bun­des­gericht gelangte nach ein­er Ausle­gung der Stre­it­bei­le­gungsvere­in­barung zum Schluss, die Parteien hät­ten die Gültigkeit der Schiedsvere­in­barung von der Durch­führung eines Schlich­tungsver­fahrens abhängig gemacht, das in jed­er Hin­sicht im Ein­klang mit den ADR-Regeln ste­hen würde. Das war vor­liegend nicht der Fall. Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass die in Artikel 5 Abs. 1 der anwend­baren ADR-Regeln vorge­se­hene Diskus­sion oblig­a­torisch ist und die Parteien sich vor deren Abhal­tung nicht vom Schlich­tungsver­fahren zurückziehen kön­nen. Eine Diskus­sion im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 der ADR-Regeln fand im vor­liegen­den Fall aber nie statt.

Das Bun­des­gericht erachtete das Ver­hal­ten der Beschw­erde­führerin nicht als rechtsmiss­bräuch­lich und sah deshalb keinen Anlass, sich mit der von einem Teil der Lehre am Entscheid 4A_18/2007 geäusserten Kri­tik einge­hen­der auseinanderzusetzen.

Schliesslich wandte sich das Bun­des­gericht der Frage zu, wie die Ver­let­zung ein­er Stre­it­bei­le­gungsvere­in­barung zu sank­tion­ieren sei. Das Bun­des­gericht erachtete die Schaden­er­satzpflicht nicht als eine befriedi­gende Sank­tion. Erstens greift eine solche Sank­tion zu spät und zweit­ens ist es für die Geschädigte sehr schw­er, wenn nicht gar unmöglich, den erlit­te­nen Schaden zu quan­tifizieren. Deshalb erweisen sich einzig Sank­tio­nen prozes­sualer und nicht ver­tragsrechtlich­er Natur als wirksam.

Auf die Klage nicht einzutreten oder sie abzuweisen und das Schiedsver­fahren so zu been­den erachtete das Bun­des­gericht nicht als eine angemessene Lösung. Denn mit der Beendi­gung des Schiedsver­fahrens endet auch das Schied­srichter­man­dat. So müsste das Schieds­gericht neu kon­sti­tu­iert wer­den, wenn das vor­ange­hende Schlich­tungsver­fahren nicht mit einem Ver­gle­ich erledigt wer­den kann. Ob in dieser Kon­stel­la­tion die ursprünglich von den Parteien ernan­nten Schied­srichter erneut ernan­nt wer­den kön­nen, erscheint fraglich. Die Beendi­gung des ursprünglichen Schiedsver­fahrens führt somit zu ein­er Ver­längerung und Ver­teuerung des Ver­fahrens. Schliesslich kann auch die Ver­jährung dro­hen, da in der inter­na­tionalen Schieds­gerichts­barkeit eine mit Art. 372 Abs. 1 lit. b ZPO ver­gle­ich­bare Norm fehlt. 

Die zu bevorzu­gende Lösung beste­ht dem­nach darin, das Schiedsver­fahren zu sistieren und den Parteien eine Frist anzuset­zen, die es ihnen ermöglicht, das Schlich­tungsver­fahren durchzuführen. Mit der Sistierung muss das Schieds­gericht auch mit­teilen, unter welchen Bedin­gun­gen es das sistierte Ver­fahren fort­führen werde und den Parteien eine Frist anset­zen, bis wann das Schlich­tungsver­fahren been­det sein müsse. Andern­falls hätte es eine ren­i­tente Partei in der Hand, der Gegen­seite den Erhalt eines Schiedsspruchs innert vernün­ftiger Frist zu verun­möglichen, indem sie das Schlich­tungsver­fahren in die Länge zieht.

Im vor­liegen­den Fall hob das Bun­des­gericht den Schiedsspruch auf und wies die Sache ans Schieds­gericht zur neuen Beurteilung
im Sinne der Erwä­gun­gen zurück.