4A_637/2015: Personenschaden als Reflexschaden (amtl. Publ.)

Die Ehe­frau des Beschw­erde­führers fuhr mit ihrem Per­so­n­en­wa­gen auf der A1 in Rich­tung Bern. Der Beschw­erde­führer sass auf dem Beifahrersitz. Als sich eine andere Fahrerin bei der Ein­fahrt Lenzburg in den Verkehr ein­fü­gen wollte, geri­et deren Fahrzeug ins Schleud­ern. Es kam zu ein­er Streifkol­li­sion mit dem Fahrzeug der Ehe­frau des Beschw­erde­führers, wobei der Beschw­erde­führer eine HWS-Dis­tor­sion Grad II erlitt.

Der Beschw­erde­führer klagte beim Bezirks­gericht Lenzburg und machte einen Teil des von ihm behaupteten Erwerb­saus­fallschadens gel­tend. Das Bezirks­gericht hiess die Klage teil­weise gut. Das Oberg­ericht des Kan­tons Aar­gau wies die Klage dage­gen auf Beru­fung und Anschluss­beru­fung hin ab. Das Bun­des­gericht wies die dage­gen gerichtete Beschw­erde ab (Urteil 4A_637/2015 vom 29. Juni 2016).

Der Beschw­erde­führer argu­men­tierte im Wesentlichen, er sei beim Unfall ver­let­zt wor­den und habe die Beschw­er­den und Schmerzen der­art fehlver­ar­beit­et, dass er heute unter ein­er somato­for­men Schmerzstörung lei­de. Er sei Direk­t­geschädigter (E. 3).

Das Bun­des­gericht befasste sich aus­führlich mit dem natür­lichen und dem adäquat­en Kausalzusam­men­hang und fasste seine bish­erige Recht­sprechung lehrbuchar­tig zusam­men (E. 3.1 und E. 4.5).

Im Ergeb­nis schützte das Bun­des­gericht die tat­säch­lichen Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz, wonach kein­er­lei Zusam­men­hang zwis­chen der somato­for­men Schmerzstörung und dem Unfall beste­hen würde. Die somato­forme Schmerzstörung sei nur insoweit auf den Unfall zurück­zuführen, als dadurch die Ehe­frau des Beschw­erde­führers ver­let­zt wor­den sei und dies beim Beschw­erde­führer zu ein­er Über­las­tung geführt habe. Das Miter­leben des Unfalls an sich und die beim Unfall erlit­te­nen Ver­let­zun­gen waren gemäss Oberg­ericht und Bun­des­gericht nicht natür­lich kausal für die somato­forme Schmerzstörung. Der Beschw­erde­führer sei nicht direkt geschädigt wor­den. Er habe auf­grund sein­er beson­deren Beziehung zu sein­er Ehe­frau einen Reflexschaden erlit­ten (E. 3.2, 3.4, 4 und 4.1).

Bezüglich des adäquat­en Kausalzusam­men­hanges hielt das Bun­des­gericht fest, dass die Zivil­gerichte nicht an sozialver­sicherungsrechtliche Urteile gebun­den sind und diese deshalb bei der Beweiswürdi­gung nicht berück­sichtigt wer­den müssen (E. 4.3.3).

Fraglich war für das Bun­des­gericht, ob die Recht­sprechung zu den Schockschä­den herange­zo­gen wer­den kann. Im Unter­schied zu den Fällen mit Schockschä­den, bei denen Ange­hörige einen Schock unmit­tel­bar auf­grund der Nachricht über den Unfall erlei­den, hat­te der Beschw­erde­führer den Unfall sel­ber miter­lebt und dabei auch Ver­let­zun­gen erlit­ten. Dieses Miter­leben und die Ver­let­zun­gen waren aber nicht natür­lich kausal für die somato­forme Schmerzstörung (E. 4.6).

Die Ursache für die somato­forme Schmerzstörung lag in den Mehrfach­be­las­tun­gen nach dem Unfall, die zu ein­er Über­las­tung führten (E. 4.7). Der Beschw­erde­führer sei zwar auf­grund der ehe­lichen Bei­s­tand­spflicht gehal­ten gewe­sen, seine Ehe­frau zu unter­stützen und zu pfle­gen. Dass sich dabei mit ein­er Latenz von eini­gen Monat­en eine somato­forme Schmerzstörung entwick­elte, könne jedoch gemäss Bun­des­gericht bil­liger­weise nicht mehr den Haftpflichti­gen des Unfalls zugerech­net wer­den (E. 4.8).

Das Bun­des­gericht sah auch keine beson­deren Umstände, auf­grund welch­er der Schaden des pfle­gen­den Ange­höri­gen aus­nahm­sweise aus Bil­ligkeit­ser­wä­gun­gen und ohne Gefahr ein­er Haf­tungsausufer­ung den Haftpflichti­gen des Unfalls zugerech­net wer­den kön­nte (E. 4.8).