9C_28/2016: Freie Prüfung der Überentschädigung in der beruflichen Vorsorge (amtl. Publ.)

Ein Mas­chin­ist und All­rounder war bei der Bâloise-Sam­mel­s­tiftung für die oblig­a­torische beru­fliche Vor­sorge ver­sichert. Nach einem Verkehrsun­fall erhielt er von der IV-Stelle eine ganze Rente inklu­sive Kinder­rente für zwei Kinder. Die SUVA richtete eine Kom­ple­men­tär­rente aus. Die beru­fliche Vor­sorgeein­rich­tung anerkan­nte den Anspruch eben­falls, kürzte jedoch die BVG-Rente wegen Über­entschädi­gung. Sie stützte sich dabei auf ein Vali­deneinkom­men ab, das in den SUVA-Akten aus­gewiesen war und welch­es, anders als von der IV-Stelle angenom­men, auf ein­er über­pro­por­tionalen hypo­thetis­chen Lohn­er­höhung für die Zeit nach dem Unfall basierte.

Nach­dem der Verun­fallte zum drit­ten Mal Vater wurde und eine weit­ere Kinder­rente zu prüfen war, nahm dies die Vor­sorgeein­rich­tung zum Anlass, ihre Über­entschädi­gungs­berech­nung ein­er umfassenden Prü­fung zu unterziehen. Dabei ging sie von ein­er anderen Lohnen­twick­lung aus, was zu ein­er stärk­er gekürzten Rente führte.

Der Mas­chin­ist reichte beim Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Graubün­den Klage ein, die das Gericht abwies. Das Bun­des­gericht wies die dage­gen erhobene Beschw­erde eben­falls ab (Urteil 9C_28/2016 vom 30. Jan­u­ar 2017).

Zu prüfen war, ob die beru­fliche Vor­sorgeein­rich­tung die Über­entschädi­gungs­berech­nung nach Hinzutreten ein­er weit­eren Kinder­rente ein­er umfassenden Neubeurteilung unterziehen und von einem tief­er­en mut­masslich ent­gan­genen Einkom­men als bish­er aus­ge­hen durfte (E. 2). Das Bun­des­gericht bejahte die Zuläs­sigkeit ein­er umfassenden Neuprü­fung der Über­entschädi­gungs­berech­nung (E. 5.1).

Das Bun­des­gericht erwog im Wesentlichen, das im IV-Ver­fahren fest­gelegte Vali­deneinkom­men müsse grund­sät­zlich auch in der berufsvor­sorg­erechtlichen Über­entschädi­gungs­berech­nung berück­sichtigt wer­den (Kon­gruen­z­grund­satz). Das von der IV-Stelle fest­gelegte Vali­deneinkom­men entspreche ver­mu­tungsweise dem mut­masslich ent­gan­genen Ver­di­enst nach Art. 24 Abs. 1 BVV 2 (E. 3.2).

Die geset­zliche Konzep­tion sehe eine weit­ge­hende materiell­rechtliche Koor­di­na­tion zwis­chen der ersten und der zweit­en Säule vor. Nach ständi­ger Recht­sprechung sei bei Vor­liegen eines Revi­sion­s­grun­des i.S.v. Art. 17 ATSG der Rente­nanspruch von den IV-Behör­den in tat­säch­lich­er und rechtlich­er Hin­sicht all­seit­ig und ohne Bindung an frühere Beurteilun­gen zu prüfen. Dieser Grund­satz sei gemäss Bun­des­gericht ana­log auf die berufsvor­sorg­erechtliche Anpas­sung ein­er Über­entschädi­gung nach Art. 24 Abs. 5 BVV 2 anzuwen­den. Erfährt ein einzel­ner Berech­nungs­fak­tor eine wesentliche Änderung, die eine Leis­tungsan­pas­sung von min­destens 10% bewirkt, prüft die Vor­sorgeein­rich­tung all­seit­ig und ohne Bindung an früher ermit­telte Fak­toren, ob und in welchem Umfang eine Über­entschädi­gung vor­liegt (E. 4.2).