9C_238/2014: Keine Rückweisung in Streitigkeiten aus der beruflichen Vorsorge; Gehörsanspruch bezüglich des anrechenbaren hypothetischen Einkommens (amtl. Publ.)

Nach einem Verkehrsun­fall erhielt A. zunächst eine volle und ab April 2001 eine halbe IV-Rente. Gle­ichzeit­ig erhielt er eine 30 %-Rente von der Unfal­lver­sicherung und darüber hin­aus eine IV-Rente von der beru­flichen Vor­sorge basierend auf einem Inva­lid­itäts­grad von 50 %. Im Okto­ber 2012 stellte die Vor­sorgekasse ihre Renten­leis­tun­gen wegen Über­entschädi­gung ein. Dage­gen wehrte sich A.

Im Ver­lauf des Ver­fahrens änderte die Vor­sorgekasse ihre regle­men­tarischen Bes­tim­mungen. Die Änderun­gen trat­en am 1. Mai 2013 in Kraft. In der Folge hiess die Sozialver­sicherungskam­mer des Gericht­shofes des Kan­tons Genf (Cham­bre des assur­ances sociales de la Cour de jus­tice de la République et can­ton de Genève) die Klage nur teil­weise gut. Der Gericht­shof war zur Überzeu­gung gelangt, eine Über­entschädi­gung liege seit Mai 2013 vor. A. gelangte deshalb ans Bun­des­gericht, das die Beschw­erde abwies (Urteil 9C_238/2014 vom 22. August 2014 E. 2.2).

A. stellte sich auf den Stand­punkt, dass die regle­men­tarischen Änderun­gen von der Vorin­stanz nicht hät­ten berück­sichtigt wer­den dür­fen, da diese nach der Ein­leitung des Ver­fahrens einge­treten seien (E. 3.2 und 4.1). Das Bun­des­gericht erin­nerte aber dies­bezüglich an seine Recht­sprechung, wonach die Leis­tungsansprüche aus der beru­flichen Vor­sorge nach dem Sachver­halt zu beurteilen sind, wie sie im Zeit­punkt der Urteils­fäl­lung vor­liegen (E. 4.2). Die Vorin­stanz hat­te deshalb die Änderun­gen im Regle­ment der Vor­sorgeein­rich­tung zu Recht berück­sichtigt (E. 4.3).

A. machte weit­er gel­tend, sein Gehör­sanspruch sei ver­let­zt wor­den, da ihm keine Gele­gen­heit zur Stel­lung­nahme bezüglich der Frage eingeräumt wor­den sei, ob das von der IV angerech­nete hypo­thetis­che Erwerb­seinkom­men bei der Berech­nung der Über­entschädi­gung zu berück­sichti­gen sei (E. 5.1). Das Bun­des­gericht wies zunächst darauf hin, dass die IV-Rente im Rah­men der ersten Säule auf­grund der Annahme fest­gelegt wird, dass ein aus­geglich­en­er Arbeits­markt beste­ht. Nicht zu unter­suchen ist daher, ob der Ver­sicherte eine teil­weise vorhan­dene Erwerb­s­fähigkeit tat­säch­lich auf dem konkreten Arbeits­markt ver­w­erten kann. In der beru­flichen Vor­sorge sind demge­genüber gestützt auf Art. 24 Abs. 2 BVV 2 nicht nur objek­tive, son­dern auch die sub­jek­tiv­en Umstände des Ver­sicherten zu berück­sichti­gen. Will daher die Vor­sorgeein­rich­tung die Leis­tun­gen kürzen, muss sie dem Ver­sicherten zuvor das rechtliche Gehör gewähren, damit er sich zu den sub­jek­tiv­en Umstän­den äussern kann. Den Ver­sicherten trifft dabei eine Mitwirkung­sobliegen­heit (vgl. zum Ganzen E. 5.2.2). Die Vor­sorgeein­rich­tun­gen haben sodann die Inter­essen in der konkreten Sit­u­a­tion abzuwä­gen (E. 5.2.3).

Im vor­liegen­den Fall hat­te die Vor­sorgekasse keine Gele­gen­heit zur Stel­lung­nahme ein­gräumt und somit den Gehör­sanspruch des Ver­sicherten ver­let­zt. Sie hat­te zwar zwei Schreiben an A. gerichtet, doch enthiel­ten diese keine Erk­lärun­gen zur Berech­nung des anrechen­baren hypo­thetis­chen Einkom­mens. In den Schreiben war A. auch nicht dazu aufge­fordert wor­den, sich zur Frage des hypo­thetis­chen Einkom­mens zu äussern (E. 5.3). Den­noch wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab.

Das Bun­des­gericht hielt fest, dass für die beru­flichen Vor­sorgeein­rich­tun­gen keine all­ge­meinen  Ver­wal­tungsver­fahrensvorschriften gel­ten. Eine Rück­weisung der Angele­gen­heit an die Vor­sorgeein­rich­tung kommt deshalb nicht in Betra­cht. Wer gegen eine Vor­sorgeein­rich­tung vorge­hen will, muss daher immer ein aus­führlich begrün­detes Rechts­begehren zur Entschei­dung in der Sache selb­st stellen. Es genügt nicht, lediglich die Gehörsver­let­zung fest­stellen zu lassen und eine Rück­weisung an die Vorin­stanz bzw. die Vor­sorgeein­rich­tung zu ver­lan­gen, ohne das Even­tu­al­begehren in der Sache aus­re­ichend zu begrün­den (E. 5.4.1 und 6).