4A_475/2016: Gültiger Rechtsmittelverzicht einer Partei eines internen Schiedsverfahrens während laufender Rechtsmittelfrist (amtl. Publ.)

Im Entscheid 4A_475/2016 vom 28. März 2017 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob die Partei eines inter­nen Schiedsver­fahrens in Ken­nt­nis des Schiedsspruchs gültig auf dessen Anfech­tung verzichtet hatte.

Das Bun­des­gericht erk­lärte ein­lei­t­end, dass die Parteien eines inter­nen Schiedsver­fahrens nicht  zum Voraus auf die Anfech­tung des Schiedsspruchs verzicht­en kön­nen (vgl. demge­genüber Art. 192 Abs. 1 IPRG, der im Bere­ich der inter­na­tionalen Schieds­gerichts­barkeit für Parteien im Aus­land die Möglichkeit eines Verzichts auf Rechtsmit­tel vor­sieht). Während ein Verzicht auf ein Rechtsmit­tel gegen ein noch nicht ergan­ge­nes Urteil im All­ge­meinen ungültig sei, werde der frei­willige Verzicht auf ein Rechtsmit­tel in voller Ken­nt­nis des Urteils grund­sät­zlich als zuläs­sig ange­se­hen. Die Ungültigkeit des Vorausverzichts besage daher nicht, dass die Parteien auch nach Erlass des inter­nen Schied­sentschei­ds nicht gültig auf die Ein­re­ichung des Rechtsmit­tels verzicht­en kön­nten; vielmehr kön­nen sie gemäss Bun­des­gericht in Ken­nt­nis des Entschei­ds nicht nur auf die Beschw­erde verzicht­en, indem sie während der Frist kein Rechtsmit­tel ergreifen, son­dern sie kön­nen schon während der Rechtsmit­tel­frist verbindlich und entsprechend unwider­ru­flich den Verzicht erk­lären, soweit dies frei­willig und ohne Wil­lens­man­gel geschieht. Der Verzicht könne dem Schieds­gericht oder der Gegen­partei erk­lärt werden.

Im vor­liegen­den Fall war unbe­strit­ten, dass der Rechtsvertreter der Beschw­erde­führerin — nach­dem der Schied­sentscheid den Parteien zugestellt wor­den war — dem Vertreter der Beschw­erdegeg­ner­in in ein­er E‑Mail erk­lärt hatte:

Ich nehme Bezug auf die heutige Tele­phonkon­ferenz in der genan­nten Sache und bestätige Ihnen gerne, dass unsere Kli­entin A.________ AG — auch im Hin­blick auf die erhal­tene Infor­ma­tion, dass Ihre Kli­entin SIX Swiss Exchange AG gegen den Schied­sentscheid vom 24. Juni 2016 keine Beschw­erde an das Bun­des­gericht erheben wird — sich entsch­ieden hat, dage­gen eben­falls keine solche Beschw­erde zu erheben.

Der Vertreter der Beschw­erdegeg­ner­in antwortete darauf eben­falls mit E‑Mail dem Vertreter der Beschw­erde­führerin was folgt:

Besten Dank für Ihre Nachricht, welche ich — soweit sie den Rechtsmit­telverzicht anbe­langt — seit­ens mein­er Man­dan­tin gerne bestätige.

Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass der Wort­laut der Erk­lärung der Beschw­erde­führerin auch ohne Ver­wen­dung des Wortes “Verzicht” klar erschien: danach hat­te die Beschw­erde­führerin entsch­ieden, eben­falls keine Beschw­erde zu erheben, nach­dem sie erfahren hat­te, dass die Gegen­partei keine Beschw­erde erheben würde.

Die Beschw­erde­führerin ver­trat dage­gen den Stand­punkt, sie habe (ent­ge­gen dem Wort­laut) nicht einen verbindlichen Rechtsmit­telverzicht erk­lärt, son­dern eine blosse Absicht geäussert. Das Bun­des­gericht fol­gte dieser Argu­men­ta­tion nicht und erk­lärte, dass der Kon­text, in dem die Beschw­erde­führerin ihre Erk­lärung abgab, deren Inhalt nicht zu verän­dern vermochte.

Schliesslich bemerk­te das Bun­des­gericht, dass sich die Beschw­erde­führerin zu Recht nicht auf einen Wil­lens­man­gel berufen hat­te, der die Erk­lärung ihres gültig bevollmächtigten Vertreters (Art. 32 Abs. 1 OR) in Frage hätte stellen kön­nen. Ob diese Erk­lärung angesichts der inter­nen Wil­lens­bil­dung im Zeit­punkt der Erk­lärung ihrem tat­säch­lichen Willen entsprach, liess sich nicht abschliessend fest­stellen und kon­nte gemäss Bun­des­gericht offen­bleiben. Denn es stand gemäss Bun­des­gericht fest, dass die Beschw­erdegeg­ner­in diese Erk­lärung als Beschw­erde­v­erzicht ver­standen hat­te. Sie hat­te auch ihrer­seits keine Beschw­erde erhoben, obwohl sie mit einem Teil ihrer Anträge eben­falls unter­legen war. Die Beschw­erdegeg­ner­in habe die Erk­lärung der Beschw­erde­führerin nicht nur tat­säch­lich als Verzicht auf die Ein­re­ichung des Rechtsmit­tels ver­standen, sie durfte sie gemäss Bun­des­gericht nach den Umstän­den auch so ver­ste­hen. Die Beschw­erde­führerin hat­te damit in Ken­nt­nis des Schied­sentschei­ds gegenüber der Beschw­erdegeg­ner­in verbindlich erk­lärt, auf die Erhe­bung der Beschw­erde an das Bun­des­gericht zu verzicht­en. Dieser gültig erk­lärte Verzicht war gemäss Bun­des­gericht unwider­ru­flich, weshalb es auf die Beschw­erde nicht eintrat.