5A_889/2016: Säumnisurteil aus den VAE als definitiver Rechtsöffnungstitel / Art. 27 IPRG (amtl. Publ.)

Im vor­liegen­den Urteil hat­te das Bun­des­gericht zu entschei­den, ob ein Säum­nisurteil aus den Vere­inigten Ara­bis­chen Emi­rat­en (VAE) als defin­i­tiv­er Recht­söff­nungsti­tel taugt, und äusserte sich dabei ins­beson­dere zur Voraus­set­zung der „gehöri­gen Ladung“ gemäss Art. 27 IPRG. Dem Urteil lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Die A. Lim­it­ed ist in den VAE dom­iziliert. Sie will gegen die Schweiz­er B. AG Forderun­gen auf dem Betrei­bungsweg durch­set­zen und stützte sich hier­bei auf ein Säum­nisurteil aus den VAE. Die B. AG erhob Rechtsvorschlag, weswe­gen die A. Lim­it­ed darum ersuchte, das Urteil zu anerken­nen und für voll­streck­bar zu erk­lären und in der Betrei­bung die defin­i­tive Recht­söff­nung zu erteilen. Die erstin­stan­zlich erteilte Recht­söff­nung führte schliesslich zu einem ersten Urteil des Bun­des­gerichts (Urteil 5A_672/2015 vom 2. Sep­tem­ber 2016).

In der Folge fällte das Oberg­ericht ein neues Urteil und entsch­ied wiederum, das aus­ländis­che Säum­nisurteil nicht zu anerken­nen und die defin­i­tive Recht­söff­nung zu ver­weigern. Hierge­gen erhob die A. Lim­it­ed die vor­liegende Beschw­erde ans Bundesgericht.

Das Oberg­ericht hat­te zunächst geprüft, ob das aus­ländis­che Urteil von einem staatlichen Gericht oder von einem Schieds­gericht stammte (E. 2). Es war zum Schluss gekom­men, dass das sog. „DIFC-Gericht“ der staatlichen Gerichts­barkeit der Finanzfrei­han­del­zone “Dubai Inter­na­tion­al Finan­cial Cen­tre” ange­höre. Vor Bun­des­gericht umstrit­ten war in der Folge, ob dieses Urteil in der Schweiz anerkan­nt und voll­streck­bar erk­lärt wer­den könne, und ins­beson­dere, ob die B. AG im Sinne von Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG „gehörig geladen“ wor­den war (E. 2).

Das Bun­des­gericht machte zunächst all­ge­meine Aus­führun­gen zur Bedeu­tung von Art. 27 IPRG (E. 5.1 und 5.2):

Art. 27 IPRG ist Aus­druck des formellen schweiz­erischen Ordre pub­lic [… dazu] gehört das […] Erforder­nis ein­er gehöri­gen Vor­ladung im aus­ländis­chen Erken­nt­nisver­fahren. Darunter ist die Vor­ladung zur ersten Ver­hand­lung vor das urteilende Gericht […] bzw. all­ge­mein das ver­fahren­sein­lei­t­ende Schrift­stück […] zu ver­ste­hen, das heisst die im Urteilsstaat vorge­se­hene Urkunde, durch deren Zustel­lung der Beklagte erst­mals Gele­gen­heit erhält, von dem gegen ihn ange­hobe­nen Ver­fahren Ken­nt­nis zu nehmen […] Diese erste Ladung soll den Beklagten formell auf das gegen ihn gerichtete Ver­fahren aufmerk­sam machen und ihm die Organ­i­sa­tion sein­er Vertei­di­gung ermöglichen. Dazu zählen das Erscheinen vor Gericht, die Ein­re­ichung ein­er Klageant­wort und die Bestel­lung eines Prozessvertreters bzw. die Beze­ich­nung eines Zustel­lungs­bevollmächtigten. “Gehörig” ist die Ladung, wenn sie den Anforderun­gen des Rechts am Wohn­sitz bzw. am Aufen­thalt­sort des Gelade­nen entspricht. Gemeint ist das Recht des effek­tiv­en Zustel­lung­sortes, das den Inhalt, die Form und den Zeit­punkt der Ladung bes­timmt […] Das Erforder­nis der gehöri­gen Ladung ist eine Schutzbes­tim­mung zugun­sten des inländis­chen Beklagten, der im Aus­land eingeklagt und verurteilt wird, ohne dass er davon wusste und ohne dass er Gele­gen­heit hat­te, sich dort zu verteidigen.“

Offen liess das BGer, was gilt, wenn der Beklagte rein zufäl­lig oder auf einem anderen als dem vorgeschriebe­nen Weg Ken­nt­nis vom Ver­fahren erhielt und auch so aus­re­ichend Zeit für die Organ­i­sa­tion sein­er Vertei­di­gung hat­te (E. 5.2).

In der Folge erwog das Bun­des­gericht, dass die Vorin­stanz vor­liegend den Zweck von Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG verkan­nt habe (E. 6.1). Zwar sei mit dem Begriff “laden” landläu­fig die Vor­ladung zu ein­er Gerichtsver­hand­lung gemeint (E. 6.2). Der Sinn der Bes­tim­mung beste­he aber darin, dass die beklagte Partei mit der gehöri­gen Ladung auf das Ver­fahren im Aus­land aufmerk­sam gemacht und in die Lage ver­set­zt werde, ihre Vertei­di­gung zu organ­isieren. Dazu war nicht notwendig, dass der beklagten Partei bere­its eine Frist zur Klageant­wort ange­set­zt oder der erste Ver­hand­lung­ster­min bekan­nt gegeben wurde. Denn (E. 6.3) die B. AG hat­te auf­grund der Angaben im Zusteller­suchen „nicht nur im abstrak­ten Sinn Ken­nt­nis davon, dass gegen sie vor dem DIFC-Gericht in Dubai ein “Gerichtsver­fahren wegen ein­er Zahlungs­forderung” ein­geleit­et wor­den war […, son­dern] wusste auch darüber Bescheid, dass es der Sache nach um eine “Klage auf ausste­hende Gebühren aus einem […] Ver­trag über Finanzber­atungsleis­tun­gen” geht […] Auch der Ort der Ver­hand­lung wurde ihr bere­its mit­geteilt […]“.
Bei dieser Aus­gangslage sei nicht ersichtlich, inwiefern die B. AG nicht im Stande gewe­sen sein sollte, mit Blick auf die Durch­führung des Ver­fahrens das Notwendi­ge vorzukehren.

Entsch­ied [die B. AG] sich dafür, der aus­drück­lichen Auf­forderung des DIFC-Gerichts keine Folge zu leis­ten und den Erhalt der zugestell­ten Akten­stücke nicht zu bestäti­gen, so hat sie es sich selb­st zuzuschreiben, wenn sie in der Folge “vom DIFC-Gericht keine Post mehr” erhielt […] Mit der gerichtlichen Auf­forderung, den Erhalt der Klage­doku­mente zu bestäti­gen, wurde der [B. AG] nach­weis­lich ein ver­fahren­sein­lei­t­en­des Schrift­stück […] förm­lich zugestellt, angesichts dessen sie sich im Klaren darüber sein musste, dass gegen sie vor dem DIFC-Gericht ein Prozess angestrengt wurde und dass sie sich darauf vorzu­bere­it­en hat­te. Damit ist der Garantie der gehöri­gen Ladung, von deren Ein­hal­tung Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG die Anerken­nung ein­er im Aus­land ergan­genen Entschei­dung abhängig macht, Genüge getan.“

Dem­nach wurde die Beschw­erde gut­ge­heis­sen, das Urteil des DIFC-Gerichts anerkan­nt und für voll­streck­bar erk­lärt und in der Betrei­bung die defin­i­tive Recht­söff­nung erteilt.