Das BGer hatte im vorliegenden, zur amtlichen Publikation vorgesehenen Entscheid über die Frage zu befinden, ob sich ein Vertrauensarzt dadurch der Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB) schuldig gemacht hat, dass er seine gesamte vertrauensärztliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit — und nicht nur ein Arbeitsfähigkeitszeugnis — an die Arbeitgeberin des Patienten übermittelt hat. Das BezGer ZH hatte den Arzt verurteilt, was das OGer ZH im August 2016 bestätigt hat.
Auch das BGer bestätigt die Verurteilung:
- Auch der Vertrauensarzt ist “Arzt” i.S.v. Art. 321 StGB. Dass er im Auftrag des Arbeitgebers tätig wird, ändert daran nichts, denn
[s]owohl der Arzt, der vom Patienten selber aufgesucht wird, als auch der Vertrauensarzt, der von einem Arbeitgeber eingesetzt wird, werden wegen ihrer berufsspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten in Anspruch genommen. Auch der vom Arbeitgeber eingesetzte Vertrauensarzt muss über umfassende Informationen über den Gesundheitszustand des Exploranden verfügen, um der ihm übertragenen Aufgabe sachgerecht nachkommen zu können. Der Arbeitnehmer, der zu einer vertrauensärtzlichen Untersuchung aufgeboten wird, darf darauf vertrauen, dass diese Informationen nicht ohne Weiteres an den Arbeitgeber weitergeleitet werden. - Folglich ist eine Weiterleitung des Berichts an den Arbeitgeber i.d.R. nur mit Einwilligung des Patienten zulässig. Die Einwilligung des Patienten erfolge i.d.R. konkludent durch den Wunsch des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber ein Arztzeugnis zuzustellen, aber nur im Rahmen von Art. 328b OR, also nur für die notwendigen Angaben (Tatsache, Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit und ob es sich um eine Krankheit oder einen Unfall handelt), nicht aber die Diagnose.
- In subjektiver Hinsicht habe sich der Arzt über “derart elementare, jedermann einleuchtende Vorschriften” hinweggesetzt, dass es ihm offenbar gleichgültig war, sensible Daten ohne Einwilligung weiterzuleiten, insbesondere
- der Leitfaden “Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag” SAMW/FMH, der ausdrücklich festhält, dass das Arbeitsunfähigkeitszeugnis an den Arbeitgeber keine Diagnose enthalten darf;
- das Manual der Schweizerischen Gesellschaft für Vertrauens- und Versicherungsärzte; das ebenfalls darauf hinweist, nur notwenidge Angaben in das Zeugnis aufzunehmen;
- seine Erfahrung als Arzt;
- die mangelnde Aufklärung über den Umfang der Informationen, die der Arzt dem Arbeitgeber übermitteln wolle, was gegen eine (wirksame) Einwilligung sprach;
- Art. 57 Abs. 7 KVG, wonach die Weitergabe von Informationen durch Vertrauensärzte an Versicherer ebenfalls auf die notwendigen Angaben zu beschränken ist.