4A_532/2016: Teilweise Gutheissung einer Schiedsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs

Im Entscheid 4A_532/2016 vom 30. Mai 2017 erachtete das Bun­des­gericht die Rüge der Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs als begrün­det und hob den Schiedsspruch in teil­weis­er Gutheis­sung der Beschw­erde auf.

Der Rechtsstre­it stand im Zusam­men­hang mit einem Touris­mus­pro­jekt betr­e­f­fend den Bau und den Betrieb eines Hotels und Casi­nos in der Stadt X. im Westjordanland.

Die dem Pro­jekt zugrunde liegen­den Verträge wur­den von der A. AG (Klägerin, Beschw­erde­führerin), State of Pales­tine (alias Pales­tin­ian Author­i­ty) (Beklagte 1, Beschw­erdegeg­ner­in 1), der B. Com­pa­ny (Beklagte 2, Beschw­erdegeg­ner­in 2) und weit­eren Ver­tragsparteien unterze­ich­net. Der Hauptver­trag (“Gen­er­al Agree­ment”) wurde im Dezem­ber 1996 unterze­ich­net. Das Casi­no “E.” wurde zwis­chen 1998 und 2000 erfol­gre­ich betrieben. Das Hotel “E.” wurde im Juli 2000 eröffnet. Nach Aus­bruch der zweit­en Intifa­da musste die Klägerin das Casi­no im Okto­ber 2000 schliessen, während sie den Betrieb des Hotels “E.” weit­er­führen kon­nte. Nach der Schlies­sung des Casi­nos schlossen die Parteien im Dezem­ber 2000 zwei weit­ere Vere­in­barun­gen (“2000 Agree­ments”). Ab März 2012 ver­langte die Klägerin gegenüber der Beklagten 1 die Ausstel­lung neuer Lizen­zen für das Touris­mus­pro­jekt, wobei sie darauf hin­wies, dass das Nich­tausstellen ver­längert­er Lizen­zen eine Ver­let­zung des Gen­er­al Agree­ment und der 2000 Agree­ments bedeute. Im Dezem­ber 2013 leit­ete die Klägerin ein Schiedsver­fahren nach den Swiss Rules of Inter­na­tion­al Arbi­tra­tion (2012) der Swiss Cham­bers’ Arbi­tra­tion Insti­tu­tion gegen die Beklagten ein.

Mit Schiedsspruch vom 2. August 2016 wies das Schieds­gericht mit Sitz in Zürich die Klage ab. Es erachtete das Gen­er­al Agree­ment und die 2000 Agree­ments als gültig zus­tandegekom­men, erwog jedoch, dass das zwin­gend anwend­bare palästi­nen­sis­che Recht, das Glücksspiele unter Strafe stellt, einem Anspruch auf Real­er­fül­lung (in Form der Verpflich­tung zur Ausstel­lung von Lizen­zen) ent­ge­gen­ste­he, weshalb die Rechts­begehren nach Zif­fer 1 abzuweisen seien; gegebe­nen­falls beste­he ein Anspruch auf Schaden­er­satz wegen Ver­tragsver­let­zung. Das Rechts­begehren Zif­fer 2, mit dem die Klägerin den wegen des verun­möglicht­en Casi­no­be­triebs ent­gan­genen Gewinn zwis­chen Anfang 2008 und Ende 2014 gel­tend machte, wies das Schieds­gericht ins­beson­dere auf­grund des vere­in­barten Haf­tungsauss­chlusses sowie man­gels ein­er adäquat kausal verur­sacht­en Ver­mö­gen­sein­busse ab. Auch die mit dem Rechts­begehren Zif­fer 3 eingeklagte Rück­er­stat­tung bezahlter Steuern wies das Schieds­gericht ab.

Die Klägerin erhob Beschw­erde gegen diesen Schiedsspruch. Die Beschw­erde­führerin brachte unter anderem vor, das Schieds­gericht habe hin­sichtlich der Verpflich­tung der Beschw­erdegeg­ner­in 1, die Lizenz für das Hotel und die weit­eren für das Touris­mus­pro­jekt erforder­lichen Lizen­zen mit Laufzeit bis zum 13. Sep­tem­ber 2028 auszustellen, recht­ser­he­bliche Behaup­tun­gen, Argu­mente und Beweise mis­sachtet. Mit ihrem Rechts­begehren Zif­fer 1 (i) habe sie beantragt, die Beschw­erdegeg­ner­in 1 sei zu verpflicht­en, eine Casi­no­lizenz gültig bis zum 13. Sep­tem­ber 2028 auszustellen. Mit Antrags-Zif­fer 1 (ii) habe sie zudem sep­a­rat die Ausstel­lung der weit­eren für das Touris­mus­pro­jekt notwendi­gen Lizen­zen ver­langt. Sie habe in ihren Rechtss­chriften wieder­holt klargemacht, dass das Touris­mus­pro­jekt nicht nur den Bau und Betrieb eines Casi­nos, son­dern auch eines Hotel­re­sorts umfasse.

Das Bun­des­gericht erachtete die Rüge der Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs als begrün­det. Die Beschw­erde­führerin habe neben der Ausstel­lung ein­er bis 13. Sep­tem­ber 2028 gülti­gen exk­lu­siv­en Casi­no­lizenz für die palästi­nen­sisch kon­trol­lierten Gebi­ete (Antrags-Zif­fer 1 [i]) in einem geson­derten Teil­begehren aus­drück­lich die Ausstel­lung der weit­eren für das Hotel und das Casi­no in X. erforder­lichen Lizen­zen und Bewil­li­gun­gen (“of all oth­er licens­es and per­mits nec­es­sary in order to oper­ate  the hotel and casi­no in X.” [Her­vorhe­bung hinzuge­fügt]) mit Laufzeit bis 13. Sep­tem­ber 2028 beantragt (Antrags-Zif­fer 1 [ii]). Even­tu­aliter habe sie die Fest­stel­lung der Berech­ti­gung zum Betrieb des Casi­nos und des Hotels in X. (“enti­tled to con­tin­ue the oper­a­tion of  the casi­no and hotel in X.” [Her­vorhe­bung hinzuge­fügt]) bis 13. Sep­tem­ber 2028 beantragt (Antrags-Zif­fer 1 [iii]). Entsprechend habe es das Schieds­gericht unter der Über­schrift “Qual­i­fi­ca­tion of Claimant’s Claim No. 1” als offen­sichtlich ange­se­hen, dass die Beschw­erde­führerin ihre Inter­essen entwed­er durch ein auf Erteilung der erforder­lichen Lizen­zen und Bewil­li­gun­gen gerichtetes Leis­tung­surteil oder durch ein Urteil zu schützen ver­sucht, das die Berech­ti­gung zum Betrieb des Casi­nos  und des Hotels für die ver­längerte Laufzeit fest­stellt (“and it is enti­tled to oper­ate the E. Casi­no  and the Hotel for the extend­ed term” [Her­vorhe­bung hinzuge­fügt]). In der Folge habe das Schiedgericht die Rechts­begehren nach Zif­fer 1 (i) wie auch nach Zif­fer 1 (ii) mit der Begrün­dung abgewiesen, das Glücksspielver­bot nach palästi­nen­sis­chem Strafrecht ver­bi­ete die Ausstel­lung von Lizen­zen für den Betrieb von Casi­nos. Obwohl sich die Beschw­erde­führerin im Schiedsver­fahren auf die Zuläs­sigkeit des Hotel­be­triebs berufen habe, liesse sich dem Schied­sentscheid keine Begrün­dung dazu ent­nehmen, ob und weshalb vom strafrechtlichen Glücksspielver­bot auch die beantragten Lizen­zen zum Betrieb des Hotels “E.” betrof­fen sein sollen. Das Schieds­gericht sei im ange­focht­e­nen Entscheid mit keinem Wort darauf einge­gan­gen, weshalb das Rechts­begehren nach Zif­fer 1 (ii), in dem unter anderem die zum Betrieb des Hotels in X. erforder­lichen Lizen­zen und Bewil­li­gun­gen mit ein­er Laufzeit bis 2028 erwäh­nt wer­den, nicht wenigestens teil­weise — also mit Bezug auf das Hotel “E.”, das nach den tat­säch­lichen Fest­stel­lun­gen im ange­focht­e­nen Entscheid im Gegen­satz zum Casi­no nicht geschlossen wor­den sei, son­dern min­destens bis 2014 offenge­blieben sei — hätte gut­ge­heis­sen wer­den können.

Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass ent­ge­gen der Ansicht der Beschw­erdegeg­ner­in­nen sich aus den Erwä­gun­gen im ange­focht­e­nen Schied­sentscheid keine Hin­weise darauf ergeben wür­den, dass das von der Beschw­erde­führerin vorge­brachte Argu­ment der Zuläs­sigkeit des Hotel­be­triebs impliz­it entkräftet wor­den wäre. Das Schieds­gericht habe in sein­er Vernehm­las­sung vor Bun­des­gericht auch nicht etwa vorge­bracht, das Vor­brin­gen sei sin­ngemäss wider­legt wor­den, son­dern habe im Gegen­teil bestätigt, die Frage nicht geprüft zu haben, dies mit der Begrün­dung, die sep­a­rate Erteilung ein­er Hotel­lizenz (unab­hängig vom Betrieb des Casi­nos) sei zu keinem Zeit­punkt Gegen­stand des Rechtsstre­its gewe­sen. Ent­ge­gen der Ansicht des Schieds­gerichts schliesse der im Rah­men sein­er Vernehm­las­sung ins Feld geführte Umstand, wonach die Beschw­erde­führerin mehrfach bestätigt habe, dass sie das Hotel ohne Ein­schränkun­gen seit Eröff­nung bis zum heuti­gen Tag betreibe, jedoch nicht aus, dass ihr Rechts­begehren Zif­fer 1 (ii) auch auf die Erteilung ein­er sep­a­rat­en Hotel­lizenz abgezielt habe, zumal sich die Laufzeit der beantragten Lizenz und der erforder­lichen Bewil­li­gun­gen weit in die Zukun­ft (d.h. bis 13. Sep­tem­ber 2028) erstrecke, und eine Lizenz mit entsprechen­der Laufzeit bish­er offenkundig nicht erteilt wor­den sei.

Der Vor­wurf, das Schieds­gericht habe seine min­i­male Pflicht zur Prü­fung des Argu­ments der Zuläs­sigkeit der Ausstel­lung ein­er Hotel­lizenz sowie der erforder­lichen Bewil­li­gun­gen für den Hotel­be­trieb mis­sachtet, erwies sich gemäss Bun­des­gericht daher als begrün­det. Die Abweisung des Rechts­begehrens Zif­fer 1 (ii) sei unter Ver­let­zung des Gehör­sanspruchs (Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG) der Beschw­erde­führerin erfol­gt. Das Bun­des­gericht erk­lärte, das Schieds­gericht werde nach Rück­weisung der Stre­it­sache unter Wahrung des rechtlichen Gehörs zu prüfen haben, ob gegebe­nen­falls unbe­se­hen des strafrechtlichen Glücksspielver­bots ein Anspruch auf Erteilung der für den Hotel­be­trieb in X. erforder­lichen Lizen­zen und Bewil­li­gun­gen mit ein­er Laufzeit bis 13. Sep­tem­ber 2028 beste­he und das Rechts­begehren Zif­fer 1 (ii) zumin­d­est teil­weise gutzuheis­sen sei.