6B_129/2017: (Un-)Verwertbarkeit von Beweisen bei wiederholten Einvernahmen oder späteren Konfrontationseinvernahmen nach vorherigen Einvernahmen ohne Teilnahme des Beschuldigten (amtl. Publ.)

In einem für die amtliche Samm­lung bes­timmten Urteil fasst das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zu Beweisver­w­er­tungsver­boten im Fall von mehreren Beschuldigten zusam­men. Es weist erneut darauf hin, dass insoweit danach zu dif­feren­zieren ist, ob die beschuldigten Per­so­n­en in ein und dem­sel­ben Ver­fahren oder in getren­nt geführten Ver­fahren ver­fol­gt werden.

Die Parteien eines Strafver­fahrens haben das Recht, bei Beweis­er­he­bun­gen durch die Staat­san­waltschaft und die Gerichte anwe­send zu sein und ein­ver­nomme­nen Per­so­n­en Fra­gen zu stellen (Art. 147 Abs. 1 StPO). Eine Ver­let­zung dieser Rechte führt bei Ein­ver­nah­men im sel­ben Ver­fahren zu einem Beweisver­w­er­tungsver­bot gegenüber der Partei, die an der Beweis­er­he­bung nicht anwe­send war (Art. 147 Abs. 4 StPO).

In unter­schiedlichen Ver­fahren kommt den Beschuldigten hinge­gen im jew­eils anderen Ver­fahren keine Parteis­tel­lung zu. Es beste­ht daher kein geset­zlich­er Anspruch auf Teil­nahme an den Beweis­er­he­bun­gen und an den Ein­ver­nah­men der anderen beschuldigten Per­so­n­en im eigen­ständi­gen Unter­suchungs- oder Hauptver­fahren (Art. 147 Abs. 1 StPO e contrario).

Zur Begrün­dung führt das Bun­des­gericht aus:

1.4 […] Diese mas­sive Ein­schränkung der Teil­nah­merechte von Beschuldigten in getren­nten Ver­fahren im Ver­gle­ich zu Mitbeschuldigten im gle­ichen Ver­fahren ist vom Geset­zge­ber impliz­it vorge­se­hen und hinzunehmen […]. Durch eine Ver­fahren­stren­nung geht der beschuldigten Per­son (bezo­gen auf Beweis­er­he­bun­gen in anderen Ver­fahren) auch das Ver­w­er­tungsver­bot des Art. 147 Abs. 4 StPO ver­loren, weil sie insoweit keine Ver­let­zung ihres Teil­nah­merechts gel­tend machen kann.

Die Durch­führung ein­er Ein­ver­nahme ohne Teil­nahme des Beschuldigten ste­ht ein­er Wieder­hol­ung der Beweis­er­he­bung allerd­ings nicht grund­sät­zlich ent­ge­gen. Wird aber die Ein­ver­nahme wieder­holt oder zu einem späteren Zeit­punkt eine Kon­fronta­tion­sein­ver­nahme durchge­führt, darf die Straf­be­hörde nicht auf die Ergeb­nisse der voraus­ge­gan­genen Ein­ver­nah­men zurück­greifen, soweit diese einem Beweisver­bot unterliegen.

Das Bun­des­gericht dazu hält fest:

1.6.2. […] Sind Beweise in keinem Fall ver­w­ert­bar und aus den Strafak­ten zu ent­fer­nen, hat dies auch Kon­se­quen­zen für die weit­ere Unter­suchungs­führung. Die aus unver­w­ert­baren Ein­ver­nah­men erlangten Erken­nt­nisse dür­fen wed­er für die Vor­bere­itung noch für die Durch­führung erneuter Beweis­er­he­bun­gen ver­wen­det werden.

Im vor­liegend beurteil­ten Fall wurde dem Beschw­erde­führer wurde die Möglichkeit ver­wehrt, bei allen im sel­ben Ver­fahren durchge­führten Ein­ver­nah­men von mitbeschuldigten Per­so­n­en und Auskun­ftsper­so­n­en teilzunehmen.

In den später durchge­führten Kon­fronta­tion­sein­ver­nah­men wur­den die Mitbeschuldigten oder Belas­tungszeu­gen nicht mehr aufge­fordert, sich zum Gegen­stand der Ein­ver­nahme zu äussern (vgl. Art. 143 Abs. 4 StPO), und sie wur­den auch nicht mehr zur Sache befragt. Vielmehr beschränk­te sich die Straf­be­hörde darauf, aus den voraus­ge­gan­genen, nicht ver­w­ert­baren Befra­gun­gen län­gere Pas­sagen wortwörtlich wiederzugeben, woraufhin sich die ein­ver­nomme­nen Per­so­n­en mit der Antwort beg­nügten, das stimme so oder es sei nichts zu ergänzen.

Die Vorin­stanz stützte sich in ihrer Beweiswürdi­gung ganz wesentlich auf diese nach Art. 147 Abs. 4 StPO unver­w­ert­baren Beweise ab. Das Bun­des­gericht ver­weist die Sache daher in Gutheis­sung der Beschw­erde zur Neubeurteilung an die Vorin­stanz zurück.