Das Bundesgericht nahm eine Auseinandersetzung zwischen einem Uhren-Konzern und einer Grosshändlerin für Ersatzteile zum Anlass, seine Rechtsprechung zum erforderlichen Rechtsschutzinteresse bei negativen Feststellungsklagen in internationalen Verhältnissen abzuändern. Hintergrund war der Entschluss des Uhren-Konzerns, ein selektives Vertriebssystem einzuführen und dabei die Zusammenarbeit mit der Grosshändlerin (Beklagte) einzustellen. Die Beklagte forderte drei Unternehmen des Uhren-Konzerns (Klägerinnen) auf, bis am 20. April 2016 die Wiederaufnahme der Belieferung zu bestätigten. Andernfalls würde sie ohne weitere Ankündigung Klage wegen Verstoss gegen das europäische Kartellrecht einleiten. Die Klägerinnen leiteten am 19. April 2016 eine negative Feststellungsklage beim Handelsgericht des Kantons Bern ein, woraufhin die Beklagte am High Court of Justice in London am 29. April 2016 gegen die Klägerinnen klagte. Das Handelsgericht Bern verneinte gestützt auf die lex fori ein genügendes Feststellungsinteresse der Klägerinnen und trat auf deren Klage nicht ein.
In Abänderung seiner mit BGE 136 III 523 etablierten Rechtsprechung, wonach das Interesse des Schuldners, einen Gerichtsstand zu fixieren (“forum running”), kein hinreichendes Rechtsschutzinteresse darstellt, hiess das Bundesgericht die Beschwerde der Klägerinnen gut. Es erwog (E. 5.4):
Zusammenfassend ist festzustellen, dass jedenfalls im internationalen Verhältnis das Interesse einer Partei, bei einem bevorstehenden Gerichtsverfahren einen ihr genehmen Gerichtsstand zu sichern, als genügendes Feststellungsinteresse zu qualifizieren ist. Vorzubehalten ist freilich auch hier das stets geltende Verbot des Rechtsmissbrauchs.
Das Bundesgericht bestätigte zunächst, dass das LugÜ keine eigenständige Definition des Rechtsschutzinteresses enthalte. Die Frage des Rechtsschutzinteresses sei damit nach Landesrecht zu beurteilen (E. 3.2).
Sodann entschied das Bundesgericht die bislang offen gelassene Frage, ob das materiell anwendbare Recht oder die lex fori anwendbar ist für die Beurteilung, ob ein besonderes Feststellungsinteresse bei einer (negativen) Feststellungsklage gegeben sein müsse. Es verwies dabei auf die Regelung des Feststellungsinteresses in der ZPO. Dies zeige, dass der Gesetzgeber selber das Feststellungsinteresse als prozessrechtlich qualifiziere. Das Bundesgericht folgte deshalb dem Kantonsgericht Bern sowie der praktisch einhelligen Lehre, wonach das Feststellungsinteresse anhand der verfahrensrechtlichen lex fori zu beurteilen ist (E. 4).
Was das für die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage erforderliche hinreichende Feststellungsintersse betrifft, erwog das Bundesgericht, dass — in Abänderung zu BGE 136 III 523 — die Übertragung des im binnenrechtlichen Verhältnis vertretenen Gesichtspunkts, wonach auf die Interessen eines behaupteten Gläubigers Rücksicht genommen werden müsse und dieser nicht zur vorzeitiger Prozess- und damit Beweisführung gezwungen werden solle, auf internationale Streitigkeiten nicht sachgerecht sei. Die Beklagte selber habe denn auch den Prozess angedroht, weshalb nicht von einem Zwang zur vorzeitigen Prozessführung gesprochen werden könne (E. 5.2.2).
Zudem qualifizierte das Bundesgericht das Interesse einer Partei, im internationalen Verhältnis bei einem bevorstehenden Gerichtsverfahren einen ihr genehmen Gerichtsstand zu sichern, als hinreichendes Feststellungsinteresse. Es verwies dabei auf BGE 141 III 68, wo das Bundesgericht die Voraussetzungen, unter denen eine negative Feststellungsklage des betriebenen Schuldners zuzulassen ist, gelockert hatte, und erwog, dass in forum running-Situationen die Interessenlage vergleichbar sei. In der Schweiz klagewillige Personen seien, so das Bundesgericht, aufgrund der bisherigen restriktiven Rechtsprechung zum forum running im internationalen Verhältnis benachteiligt gewesen. Das tatsächliche Interesse, einen Prozess in der Schweiz und nicht im Ausland führen zu müssen, und deshalb eine negative Feststellungsklage in der Schweiz einzuleiten, könne allein wegen der unterschiedlichen Verfahrensrechte, der unterschiedlichen Verfahrenssprache, Dauer und Kosten der Verfahren etc. erheblich sein (E. 5.2.2).
Das Bundesgericht wies sodann auf die Missbrauchsmöglichkeit mittels Torpedo-Klagen hin (d.h. auf die Klageerhebung in einem für die Langsamkeit ihrer Gerichte bekannten Land um Leistungsklagen zu blockieren). Dieses Problem müsse indessen, so das Bundesgericht, über eine Änderung der Kernpunkttheorie (gemäss Rechtsprechung des EuGH zur Rechtshängigskeitssperre gemäss EuGVVO haben Leistungs- und negative Feststellungsklagen den gleichen Gegenstand) oder des LugÜ geregelt werden. Sodann würden Torpedo-Klagen nicht ein Problem des Gleichrangs von Leistungs- und negativen Feststellungsklagen darstellen, sondern seien die Folge der höchst unterschiedlichen Effizienz der Justizsysteme innerhalb des Geltungsbereichs des LugÜ (E. 5.3.3).
Die Klägerinnen beriefen sich sodann auf das vom EuGH zur EuGVVO etablierte effet utile-Prinzips und machten geltend, dass einschränkende Voraussetzungen an die negative Feststellungsklage die vom LugÜ zuständigkeitsrechtlich gewährleistete Gleichrangigkeit von Leistungs- und negativer Feststellungsklage beeinträchtigen würde. In der Lehre werden zum LugÜ unterschiedliche Ansichten dazu vertreten, ob dieses Prinzip nur die Auslegung der Bestimmungen des LugÜ selbst betrifft oder ob es darüber hinaus auch dazu führen kann, dass Vorschriften des nationalen Rechts, welche die Wirksamkeit des LugÜ unterlaufen könnten, nicht oder nur modifiziert angewendet werden dürfen. Weil das Bundesgericht das Vorliegen eines hinreichendes Feststellungsinteresses gestützt auf Schweizer Recht bejahte, liess es die Frage, ob nationales Recht auch ausserhalb des Regelungsbereichs des LugÜ aufgrund des effet utile-Prinzips einschränkend auszulegen sei, offen (E. 5.1).