Das Bundesgericht entschied in diesem Urteil die zu Art. 31 ZPO und Art. 113 IPRG bislang kontrovers diskutierte Frage, was hinsichtlich der Bestimmung der örtlichen Zuständigkiet zu gelten habe, wenn ein Vertrag mehrere Nichtgeldleistungen zum Inhalt hat, von denen nicht ohne Weiteres eine allein als charakteristisch erscheint. Es hielt fest
“dass ein Vertrag mehrere charakteristische Leistungen beinhalten kann, die je gemäss Art. 31 ZPO und Art. 113 IRPG einen Gerichtsstand am Erfüllungsort begründen.”
Hintergrund war ein vor dem Handelsgericht Bern hängiges Verfahren, in welchem das Handelsgericht seine Zuständigkeit bejahte. Zwischen den Parteien war unbestritten, dass der zwischen ihnen abgeschlossene (mündliche) Vertrag im Zusammenhang mit der Erstellung einer Tankstelle sowohl werkvertragliche als auch auftragsrechtliche Elemente enthält. Das Handelsgericht qualifizierte den Vertrag als “Architekten- respektive Planervertrag”, somit als gemischten Vertrag, und erwog, die Planungs- und Beratungsaufgaben seien dem Werkvertragsrecht zuzuordnen, die Überwachungs- und Beratungsaufgaben dem Auftragsrecht. Ein eindeutiger Schwerpunkt lasse sich bei diesen beiden Aufgabenbereichen nicht feststellen. Es schloss, der Vertrag beinhalte mehrere charakteristische Leistungen. Da die Beklagte die Bauleitungs- und Überwachungsaufgaben am Lageort der Tankstelle zu erbringen gehabt habe, liege einer der Erfüllungsorte gemäss Art. 31 ZPO im Kanton Bern.
Das Bundesgericht wies zunächst auf die verschiedenen, in der Lehre vertretenen Auffassungen hin. Gemäss der Mehrheitsmeinung können zumindest in bestimmten Fällen mehrere Leistungen eines Vertrages charakteristisch sein, und es sei gegebenenfalls mehr als ein zuständigkeitsbegründender Erfüllungsort anzuerkennen. Insbesondere wenn sich zwei charakteristische Leistungen gegenüberstehen würden, wie etwa beim Tausch, soll an beiden Erfüllungsorten eine Gerichtszuständigkeit gegeben sein. Entsprechendes wird aber auch für den Fall erwogen, dass eine Vertragspartei mehrere charakteristische Leistungen zu erbringen habe. Demgegenüber lehnen es einzelne Autoren generell ab, mehr als eine Leistung als charakteristisch im Sinne von Art. 31 ZPO zu qualifizieren. Sie argumentieren, wo es nicht möglich sei, eine einzige charakteristische Leistung zu identifizieren, sei ganz auf den Gerichtsstand am Erfüllungsort zu verzichten, sofern die Leistungen nicht am gleichen Ort zu erfüllen seien. Dadurch könne eine unerwünschte Verfielfachung der Gerichtsstände verhindert werden (E. 3.1).
Folgende Erwägungen führten das Bundesgericht (wie bereits das Handelsgericht) zum Schluss, der Mehrheitsmeinung zu folgen:
- Der Gesetzeswortlaut von Art. 31 ZPO und Art. 113 ZPO schliesse nicht aus, dass ein Vertrag mehr als eine charakteristische Leistung zum Gegenstand habe und somit gegebenenfalls auch mehrere Erfüllungsorte vorliegen könnten. Das Bundesgericht verwies dabei auf die Botschaft zum heutigen Art. 113 IPRG, wo ausdrücklich ausgeführt werde, wo es nicht möglich sei, eine einzelne charakteristische Leistung “zu isolieren”, “beide Leistungen als solche zu betrachten beziehungsweise auf die konkret eingeklagte abzustellen” seien. Wenn sodann in der Botschaft zur ZPO erläutert werde, dass jeder Vertrag “in der Regel nur eine charakteristische Leistung” habe, lasse dies Raum für Ausnahmen. Die Formulierung dürfe nicht dahingehend verstanden werden, dass mit Art. 31 ZPO jede Mehrzahl von Erfüllungsorten ausgeschlossen werden sollte (E. 3.3.1).
- Die Beschränkung auf eine einzige charakteristische Leistung und ihren Erfüllungsort pro Vertrag lasse sich auch nicht durch die Überlegungen begründen, die bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts im internationalen Verhältnis angebracht seien. Das Abstellen auf den engsten Zusammenhang nach Art. 117 Abs. 1 IPRG solle letztlich verhindern, dass einzelne Aspekte eines Vertrages nach unterschiedlichem Recht beurteilt werden. Bei der Gerichtszuständigkeit bestehe demgegenüber keine vergleichbare Interessenlage, die eine ausschliessliche Zuständigkeit an einem Ort gebieten würde, könne doch jedes zuständige Gericht sämtliche Ansprüche beurteilen, die sachlich zusammenhängen würden. Art. 31 ZPO und Art. 113 IPRG würden denn auch nicht darauf abzielen, die Gerichtszuständigkeit an einem einzigen Ort zu konzentrieren, sondern würden den Gerichtsstand am Erfüllungsort alternativ zu jenem am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei zur Verfügung stellen. Es sei demnach weder erforderlich noch angebracht, für die Bestimmung der Zuständigkeit gemäss Art. 31 ZPO sowie Art. 113 IPRG auf das Kriterium des engsten Zusammenhangs im Sinne von Art. 117 Abs. 1 IPRG abzustellen, um eine von mehreren charakteristischen Leistungen als alleine massgebliche zu identifizieren (E. 3.3.2).
- Eine Beschränkung auf einen einzigen Erfüllungsort pro Vertrag oder ein gänzlicher Verzicht auf den Erfüllungsortsgerichtsstand bei Vorliegen von mehreren charakteristischen Vertragsleistungen sei auch unpraktikabel. Unter den Parteien könne nämlich umstritten sein, ob eine Vereinbarung bloss einen einzigen oder mehrere selbständige Verträge beinhalte. Würde der Auffassung gefolgt, dass jeder Vertrag höchstens eine charakteristische Leistung aufweise, könnte die Zuständigkeit des Gerichts von der materiellrechtlichen Beurteilung dieser Frage abhängen, was der Rechtssicherheit abträglich wäre (E. 3.3.3).
Offen liess das Bundesgericht die Frage, ob das Handelsgericht Bern zu Unrecht auf den Erfüllungsort einer nicht strittigen Leistung zur Begründung ihrer Zuständigkeit abgestellt hätte. Die Beklagte rügte, es könne nicht sein, dass eine klagende Partei das Recht erhalte, eine Vertragsleistung am Ort einer anderen, nicht im Streit stehenden Vertragsleistung einzuklagen. Vielmehr sei eine Klage lediglich an dem Ort möglich, an dem “die charakteristische streitgegenständliche Leistung” erfüllt worden sei beziehungsweise hätte erfüllt werden müssen, wie dies etwa auch nach Art. 5 LugÜ der Fall sei. Das Bundesgericht wies einzig darauf hin, dass in der Literatur zum Teil unter Verweis auf die Botschaft zum heutigen Art. 113 IPRG die Auffassung vertreten werde, beim Vorliegen von mehreren charakteristischen Leistungen sei lediglich auf diejenige abzustellen, die konkret im Streit stehe.